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Besuch bei Lenzing: mehr über die Herstellung von Kunstfasern

Von Florence Julienne

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Industriepark von Lenzing. Bild: Lenzing

Um besser zu verstehen, woraus sogenannte „künstliche“ (und nicht synthetische) Stoffe bestehen, hat sich FashionUnited ins Herz der österreichischen Faserindustrie begeben, zu Lenzing, einem Hersteller von Zellulosefasern. Man neigt dazu, „Zellulose“ zu sagen, aber das vereinfacht die Vielzahl der existierenden Kunstfasern, die aus Holz entwickelt werden und eine Alternative zum wasserintensiven Anbau von Baumwolle darstellen.

Lenzing stellt Viskose unter dem Namen Ecovero, Modal, Lyocell (Kleidung und Accessoires) und Veocel (Gesundheit und Hygiene) unter dem Namen Tencel her — ein Unternehmen, von dem der österreichische Konzern vor etwa 30 Jahren zunächst die Patente, dann die Marke und die gleichnamige Firma kaufte. Lenzing wollte Lyocell in den Vordergrund stellen und öffnete die Türen seiner Produktionsstätte in der Nähe von Salzburg für die Presse. Das Unternehmen betreibt weltweit mehrere dieser Produktionsstätten, wobei die in Thailand die größte ist.

Besuch des Industrieparks von Lenzing. Bild: Lenzing

Die Führung wird von Nikolaus Hüpfl geleitet, einem Österreicher, der angesichts des technischen Niveaus der Erklärungen glücklicherweise sehr gut Französisch spricht. Die Faser Tencel Lyocell wird aus Holz hergestellt. Hauptsächlich aus Eukalyptusholz, das ohne Pestizide und sehr schnell in den 1200 Kilometer langen Wäldern wächst, die Lenzing im Süden Brasiliens gehören. 20 Prozent dieser Wälder sind der Artenvielfalt gewidmet. Auch andere Hölzer - Buche für Viskose, aber auch Kiefer oder Birke - aus Österreich, Deutschland und Osteuropa sind an der Produktion von Zellulosefasern beteiligt.

Das geschnittene Holz wird in Form von Zellstoffschnitzeln angeliefert, die wie große, dicke, weißliche Blätter aussehen. In Mühlen werden sie zu Spänen zerkleinert. Ein Holzbrei ergibt sich, wenn diese in Lösungsmittel und Wasser eingeweicht werden, um Zellulose zu bilden.

Holzspäne. Bild: Lenzing

Lenzings erster Trumpf: ein Lösungsmittel mit geringeren Umweltauswirkungen

Der Holzschliff wird in einem organischen und wiederverwertbaren Lösungsmittel, dem NMMO (N-Methylmorpholin-N-Oxid), auggelöst. Das Lösungsmittel ist nicht exklusiv, wohl aber die thermischen und mechanischen Einflüsse, denen Lenzing das Holz aussetzt.

Aufgrund des Betriebsgeheimnisses darf die Presse den Raum, in dem die Mischung hergestellt wird, nicht betreten. Sie wandert also durch durchsichtige Rohrkorridore, von denen aus sie die Mischung sehen kann. Dieser Spaziergang durch die Gedärme des Unternehmens fühlt sich wie ein Tauchgang im Film „Alien“ an. Ein etwas erdrückendes Gefühl, zumal es hier sehr heiß ist.

Am Ende der Tunnel, in einem neuen Raum, stößt eine Maschine eine Art „Weißwurst“ aus, die mit fließendem Wasser zu einer zähflüssigen Mischung vermengt wird. Diese wird gefiltert und zu Fäden gepresst, die wie chinesische Fadennudeln aussehen.

Zelluloseherstellung bei Lenzing. Bild: Lenzing

Diese Filamente werden dann gebleicht, ohne Chlor, aber auf der Basis von Lösungsmitteln, darunter Ozon und Sauerstoffhydroxid. Aus den Maschinen kommen dann Schaumplatten, bis das makellose Weiß erreicht ist, mit dem das spätere Material gefärbt werden kann.

Der letzte Schritt: Diese Platten werden auf 138 Grad erhitzt. Hier geschieht die Magie, denn die Zellulose mutiert und nimmt ein watteartiges Aussehen an (obwohl der Begriff sehr schlecht gewählt ist, da es sich nicht um Baumwolle handelt). Sagen wir lieber faserig. Der Wasserdampf wird durch große Schornsteine ausgestoßen, die die Ästhetik des Industrieparks unterstreichen. Es entsteht ein etwas stechender Geruch, der manche an Sauerkraut erinnert; es handelt sich jedoch um Schwefelkohlenstoff.

Gewinnung von Zellulosefasern. Bild: Lenzing

Die gesammelten Fasern werden in Ballen verpackt und an die Spinnereien beziehungsweise Webereien oder Strickereien weitergeleitet. „Da die Fasern gleichmäßig sind, wird deren Arbeit erleichtert und es entsteht weniger Abfall“, erklärt Hüpfl. Der Konzern stellt jährlich über eine Million Tonnen Fasern her, ein Drittel davon ist Lyocell (70 Tonnen täglich). Die Preise sind an die von Baumwolle angeglichen, so dass die Margen für alle Arten von Märkten, vom Massenmarkt bis zum High-End-Segment, gleich bleiben.

Zweiter Trumpf: verantwortungsvolles Management

So endet die Besichtigung der Fabrik mit einem Besuch des Flusses Ager, der mit dem Attersee verbunden ist. Laut Hüpfl hat die Ager Trinkwasserqualität, was sich darin zeigt, dass das verwendete Wasser nach der Benutzung sauber wieder herauskommt.

Wasserlauf. Bild: Lenzing

Nachdem die geliehenen Utensilien abgeholt wurden, begibt sich das Team in den Besprechungsraum, um seine Kenntnisse über das Unternehmen zu vertiefen. Es wird viel über ökologische Verantwortung gesprochen; die Expert:innen stellen viele Fragen. Es stellt sich heraus, dass die Standards auf internationaler Ebene nicht angeglichen sind und es daher schwierig ist, über Leistungszahlen zu diskutieren.

Es gibt jedoch eine Verordnung, die das Ökodesign nachhaltiger Produkte regelt und in die auch Lenzing eingebunden ist: Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR). Ihre Ökodesign-Anforderungen zielen vorrangig auf folgende Verbesserungen ab: Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit, Vorhandensein bedenklicher Stoffe, Kohlenstoff- und Umweltbilanz.

Diese praktischen Auswirkungen führen dazu, dass bis 2028 ein digitaler Produktpass (DPP) auf dem Markt eingeführt werden soll. Lenzing sieht den ESPR als „den einflussreichsten Regulierungsmechanismus, um die komplexe Textilbranche in eine nachhaltigere und zirkulärere Zukunft zu führen“.

Zu den Projekten, die das Geschäft in eine noch umweltfreundlichere Richtung lenken sollen, zählt Lenzing die Lenzing Ecovero Defibra-Technologie, eine Faser, die aus recycelten Baumwollabfällen und Holzschnitzeln hergestellt wird. Die Baumwolle muss von guter Qualität sein, um widerstandsfähig zu sein, weshalb Lenzing ein Joint Development mit dem schwedischen Industrieunternehmen Södra, das auf die Entwicklung von Produkten auf Holzbasis spezialisiert ist, unterzeichnet hat. Das verwendete mechanische Verfahren ermöglicht laut Lenzing eine Stärkung der Faser, da es im Gegensatz zum chemischen Recycling die Struktur der Zellulose nicht verändert. Eine weitere Innovation ist Pellinova, eine Lederalternative aus zerkleinerten Handschuhabfällen.

Der Tag endet mit einem Pilotprojekt, das Andréa Jicman, Marketingmanagerin für Südeuropa, am Herzen zu liegen scheint. Derzeit besteht die Herausforderung von „Glacial threads, from forests to future textiles“ darin, die Gipfel der Gletscher, die aufgrund der globalen Erwärmung schmelzen, mit einem zellulosischen Material zu bedecken. Die bestehenden Abdeckungen bestehen aus Polyester (mit all den bekannten Problemen der Wiederverwertbarkeit von Polyester). Die Vorrichtung wird an den österreichischen Bergen angebracht, deren Bild im kollektiven Unterbewusstsein für die Ewigkeit bestimmt ist.

Florence Julienne führte die Reportage bei Lenzing durch und wurde von Lenzing dazu eingeladen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.uk. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

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