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Recht & Praxis: Warum untersucht die EU-Kommission die Vertriebspraktiken von Guess, Nike & Co?

Von Janina Wortmann

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Die EU-Wettbewerbshüter untersuchen derzeit die Lizenz- und Vertriebspraktiken diverser (Mode-)Unternehmen. Am 6. Juni 2017 hat die Europäische Kommission eine förmliche kartellrechtliche Untersuchung gegen das US-Modehaus Guess eingeleitet. Guess entwirft und vertreibt – auch mittels Lizenzen – Bekleidung und Accessoires unter zahlreichen Markenbezeichnungen, darunter „Guess?“ und „Marciano“. Laut Margrethe Vestager, der für Wettbewerbspolitik zuständigen EU-Kommissarin, liegen Informationen vor, dass Guess in seinen Vertriebsverträgen den Weiterverkauf an Verbraucher im EU-Ausland einschränkt. Möglicherweise werde auch Großhändlern der Verkauf an Einzelhändler in anderen Mitgliedstaaten untersagt.

Auch gegen den Sportartikelhersteller Nike läuft eine offizielle Untersuchung der EU-Kommission, die sich die Lizenz- und Vertriebspraktiken des Konzerns näher ansehen will. Auch hier steht der Verdacht im Raum, dass Nike Händler am grenzüberschreitenden Verkauf bestimmter Merchandising-Produkte, z.B. solcher mit dem Logo des spanischen Fußballclubs FC Barcelona, hindere.

Die EU-Kommission untersucht ferner die Praktiken des japanischen Sanrio-Konzerns, der u.a. Lizenzen für "Hello Kitty"-Produkte vergibt. Auch die Universal Studios, die Lizenzen für Filmfiguren (z.B. "Minions") vergeben, stehen im Fokus der Wettbewerbshüter.

Was ist der Grund für die kartellrechtlichen Untersuchungen?

Doch was ist der Hintergrund dieser kartellrechtlichen Untersuchungen? Grundsätzlich steht es Unternehmen frei, ihre Vertriebsverträge selbstständig und nach eigenen Wünschen zu gestalten. Unternehmen können dabei auch sogenannte selektive Vertriebssysteme aufsetzen, bei denen ihre Produkte nur von vorab ausgewählten, zugelassenen Händlern verkauft werden dürfen. Durch ein solches Selektivsystem können die Hersteller ihre Vertriebsnetze stärker kontrollieren.

EU-Kartellrecht verbietet Wettbewerbsbeschränkungen

Lizenz- und Vertriebsverträge können aber trotz dieser grundsätzlich gegebenen Gestaltungsfreiheiten gegen bestehendes EU-Recht verstoßen. Das gilt unabhängig davon, ob die betroffenen Unternehmen ihren Sitz in der EU haben oder nicht. Nach dem europäischen Kartellrecht sind alle Vereinbarungen verboten, die den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt verhindern, einschränken oder verfälschen. Ein zentraler Vorteil des Binnenmarktes soll es sein, dass der Verbraucher die Möglichkeit erhält, über Grenzen hinweg Einkäufe zu tätigen und so mögliche Preis- oder Qualitätsvorteile zu nutzen. Verbraucher dürfen also nicht daran gehindert werden, Waren im EU-Ausland einzukaufen. Schränken Unternehmen durch ihre Lizenz- oder Vertriebsverträge aber die Möglichkeit ihrer Händler ein, Ware in bestimmte EU-Länder zu verkaufen, so tritt das unerwünschte Hemmnis für die Verbraucher ein.

Sektoruntersuchung der EU-Kommission zum elektronischen Handel

Die EU-Kommission, die dies zu verhindern und den Binnenmarkt zu stärken sucht, hatte im Mai 2015 im Rahmen ihrer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt die "Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel" eingeleitet. Im Zuge dieser Untersuchung holte sie von knapp 1 900 Unternehmen, die im elektronischen Handel mit Verbrauchsgütern und digitalen Inhalten tätig sind, Informationen ein und prüfte rund 8 000 Vertriebs- und Lizenzvereinbarungen. In ihrem vor kurzem veröffentlichten Abschlussbericht hatte die Kommission festgestellt, dass mehr als 10 Prozent der befragten Einzelhändler bereits mit Einschränkungen des Auslandsverkaufs in ihren Vertriebsverträgen konfrontiert waren, die ihnen den Verkauf an Kunden in anderen Mitgliedstaaten erschweren.

Auf die Sektoruntersuchung hin haben eine Reihe von Unternehmen ihre Geschäftspraktiken von sich aus abgeändert. Die Kommission führt Unternehmen wie Mango (Punto Fa), die beiden zum Inditex-Konzern gehörenden Unternehmen Oysho und Pull & Bear sowie die beiden zu Arcadia gehörenden Unternehmen Dorothy Perkins und Topman an und berichtet, dass diese Unternehmen ihre Praktiken bereits angepasst haben.

Die Kommission ist aber offenbar der Meinung, dass die Sektoruntersuchung und die anschließend erfolgte freiwillige Umstellung der Geschäftspraktiken einiger Unternehmen nicht ausreichen, um den Binnenmarkt von unerwünschten Wettbewerbsbeschränkungen zu befreien. Die nunmehr eingeleiteten Untersuchungen machen deutlich, dass die Kommission ihre Aufgabe nach wie vor sehr ernst nimmt, Vertriebssysteme auf ihre kartellrechtliche Zulässigkeit hin zu überprüfen und von unerlaubten Gebietsbeschränkungen oder Kundengruppenbeschränkungen zu befreien. Außerdem zeigen die Untersuchungen, dass auch Modeunternehmen längst im Fokus der Kartellbehörden stehen. Die Modebranche sollte deshalb ihre Vertriebs- und Lizenzverträge und -praktiken hinterfragen und sie gegebenenfalls an das geltende EU-Recht anpassen. Unternehmen sollten dabei unter anderem auch beachten, dass die Schweiz zwar nicht zur EU gehört, Liefer- bzw. Verkaufsbeschränkungen hier aber ebenfalls als kartellrechtswidrig geahndet werden können.

Janina Voogd ist Rechtsanwältin und Senior Associate in der Praxisgruppe Gewerblicher Rechtsschutz im Münchener Büro der Sozietät Noerr LLP. Sie berät nationale und internationale Unternehmen in allen Bereichen des Marken- und Designrechts. Darüber hinaus berät sie im Wettbewerbsrecht sowie in Domain-Streitigkeiten. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Beratung von Unternehmen in der Modebranche. Janina Voogd ist Lehrbeauftragte für Marken- und Designrecht an der AMD Akademie Mode & Design in München.

Fotos: Guess Facebook

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