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Wie die Logistik sich gerade neu erfindet

Von Regina Henkel

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Ob aus der Luft oder von unter der Erde, die neuesten Ideen zur Paketzustellung lesen sich wie ein Science Fiction Roman. In der Tat ist die Logistik-Branche gerade dabei, sich selbst neu zu erfinden: Mit Paketdrohnen, die einsame Dörfer oder verstopfte Städte mit Paketen beliefern, Rohrpost aus einem unterirdischen Tunnelnetz, mit LKW, die per 3D-Drucker bestellte Produkte selbst produzieren und so weiter. Hinter vielen der gerade diskutierten Zukunftsmodelle steckt Online-Riese Amazon. CEO Jeff Bezos hat die Logistik zur Chefsache erklärt und treibt damit das Thema weltweit voran.

Zukunft fliegt in der Luft?

Viele dieser Ideen freilich befinden sich noch in der Testphase. Die Pläne für die Prime-Air-Drohne aber, die Amazon derzeit durchzusetzen versucht, sind weit ausgereifter, als Marktbegleiter erwartet hatten. Der Online-Händler will nicht einfach nur Pakete mit fliegenden Quadrokoptern befördern. Er will ein komplexes Liefernetz, mit dem potentielle Empfänger beliefert werden können, egal wo diese sich gerade aufhalten. Auch der Aufbau von Versorgungs- und Aufladestationen für die Flugapparate gehört zur Vision.

Doch nicht nur Amazon setzt auf Drohnen. Auch die Deutsche Post experimentiert seit einigen Jahren damit. In einem Pilotprojekt legten die kleinen Paketkopter zwanzigmal den Weg vom Festland bis zur Insel Juist zurück, um die Inselapotheke mit Medikamenten zu versorgen. Der Flug gelang auch bei Dunkelheit, Regen und Nebel - Bedingungen, unter denen ein Flugzeug nicht starten kann. Auch die Schweizer Post hat schon Versuche gestartet und entlegene Bergdörfer per Drohne mit Medikamenten versorgt. Trotz dieser Erfolge stehen die meisten Experten der Drohne als ernstzunehmender Zustelloption weiter skeptisch gegenüber. Ein Himmel voller Drohnen - das dürfte allein schon am Gesetzgeber scheitern - auch wenn sich Amazon mit der US-Luftfahrtbehörde für ein Pilotprojekt auf eine Flughöhe von rund 400 Fuß einigen konnte. Zudem ist die Wirtschaftlichkeit von Drohnen zumindest bisher noch nicht bewiesen.

Wenn nicht für den Kunden, für wen dann?

Aber warum setzen dann Online-Händler wie Amazon oder auch Alibaba so vehement auf Drohnen? Und warum investieren Logistiker viel Kapital in die Entwicklung neuer Zustellmodelle, wenn der Kunde doch eigentlich zufrieden ist? Daniela Zimmer, verantwortlich für die Programmplanung des Internet World Kongresses, der im nächsten März unter anderem die Logistik-Trends im E-Commerce genauer beleuchten wird, erklärt: „Aktuelle Forschungen belegen, dass es dem Kunden genügt, wenn seine Bestellung innerhalb von drei Tagen ankommt. Same Day Delivery, also die taggleiche Lieferung, die ja auch durch die Drohne sichergestellt werden soll, ist hauptsächlich ein von den Logistikern vorangetriebenes Thema.“ Nicht ohne Grund unterstellen einige Experten Online-Händlern wie Amazon, dass sie mit eigenen Logistikprojekten vornehmlich ihre Partner-Zustelldienste unter Druck setzen wollen. Doch das ist nicht alles. Auch der drohende Verkehrskollaps wird seit Jahren immer wieder angeführt, um die negativen Auswirkungen des E-Commerce zu zeigen.

Tatsache ist: Noch gibt es den E-Commerce­Stau nicht. Prognosen jedoch sagen voraus, dass bis 2018 das Paketvolumen jedes Jahr um mindestens vier Prozent ansteigen wird. Gleichzeitig nimmt die Landflucht weiter zu. 2050 werden 84 Prozent der Deutschen in Städten leben, so eine Prognose der Vereinten Nationen. Es ist also damit zu rechnen, dass die städtische Infrastruktur bald mit einem weit höheren Verkehrsaufkommen klar kommen muss als heute. Ein entscheidender Grund für die Logistikbranche, sich heute schon nach neuen Modellen für die Zukunft umzuschauen.

Buntes Sammelsurium an Logistik-Ideen

Es gibt aber nicht nur die Drohne im bunten Ideen-Pool der Logistik-Branche. Beispielsweise die Paket-Pipeline in Großbritannien: In Zusammenarbeit mit der DHL und gefördert vom britischen Umweltministerium entwickelt Mole Solutions, ein Unternehmen aus Cambridge, derzeit ein unterirdisches Tunnelsystem, durch das mit Paketen gefüllte Kapseln auf einem Magnetfeld entlangschweben sollen. Erste Pipelines der Paketrohrpost sollen in Northampton installiert werden. Ist das Pilotprojekt erfolgreich, könnte schon in wenigen Jahren ein landesweites unterirdisches Rohrsystem ganz Großbritannien durchziehen. Auch China und Indien sollen schon Interesse bekundet haben, so Mole Solutions.

Ein weiteres Zukunftsmodell ist die Kofferraumlieferung, die in Deutschland DHL in Zusammenarbeit mit Amazon und Audi sowie Hermes in Zusammenarbeit mit BMW testen. Die Idee, Pakete in den Kofferraum parkender Autos zu liefern ist nicht neu. Im B2B-Bereich funktioniert das System schon länger; Miele­Techniker z.B. lassen sich seit über 15 Jahren von TNT die Ersatzteile direkt vom Miele-Werk in den Kofferraum ihres Dienstfahrzeugs liefern. Ein anderes Patent von Amazon, das allerdings weit weniger Presserummel verursacht als die Drohnen, ist das sogenanntes Anticipatory Shipping. „Im Gegensatz zu den Drohnen halten viele Experten das Modell des Anticipatory Shipping für tatsächlich tragfähig“, kommentiert Daniela Zimmer die aktuellsten Logistik-Entwicklungen. Ganz im Trend der Zeit verknüpft diese Idee Big Data mit dem Auslieferungsprozess: Waren ohne konkrete Bestellung werden dabei auf einem LKW als fahrendes Lager in der Region bereitgestellt, in der diese Waren laut Datenanalyse bald geordert werden. Ebenfalls die Lieferzeit drastisch verkürzen soll ein weiterer Patentantrag von Amazon. Damit möchte der Online-Riese Produkte sogar liefern, bevor der Kunde sie überhaupt bestellt hat – das Wissen hierfür basiert dabei auf der Klickhistorie und dem Kaufverhalten des Kunden. Wer also bislang immer die Neuerscheinungen eines bestimmten Autors bestellt hat, wird zukünftig automatisch von Amazon damit beliefert.

Amazon kann sich aber noch mehr in Sachen Logistik vorstellen: Ein weiteres Amazon-Patent beschreibt einen LKW mit einem 3D-Drucker, der die bestellte Ware erst während der Fahrt produziert. Zwar gibt es bei der Umsetzung dieser Idee noch viele technische Probleme, doch das anvisierte Ziel ist durchaus verlockend. Lieferungen könnten schneller abgewickelt werden als jemals zuvor und die Logistikkosten würden trotzdem sinken – schließlich lassen sich die Rohmaterialien für 3D-Druck erheblich leichter lagern und transportieren als das sperrige Fertigprodukt.

In Sachen E-Commerce-Logistik tut sich also gerade immens viel. Und was immer dabei ersonnen wird, es wird sich ebenso auf das Geschäft mit der Mode auswirken wie auf die Beziehung zwischen Händler und Konsument. Es lohnt sich daher, auch die Entwicklungen abseits der Modetrends im Blick zu behalten. Der Kongress der Internet World Messe vom 1.-2. März 2016 in München wäre die nächste Gelegenheit dazu.

Foto: DHL

Amazon