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Lebt der deutsche Handel in der Vergangenheit?

Von Martina Michalsky

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Einzelhandel

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Bearing Point und des IIHD Instituts hinken deutsche Händler den britischen und amerikanischen gleich mehrere Jahre hinterher, wenn es um die Einführung von Innovationen geht. Handelsunternehmen hierzulande scheitern zu oft bei der Umsetzung von Neuerungen und riskieren damit im schlimmsten Fall sogar ihre Zukunft.

Drei bis fünf Jahre hinkt der deutsche Handel dem britischen und amerikanischen hinterher. Das ist also in etwa so, als ob man versuchen würde, mit einem iPhone 4 zu begeistern, wenn alle anderen eine Apple-Watch tragen. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Bearing Point und des IIHD Instituts setzten die deutschen Händler Innovationen erst mit einer enormen Zeitverzögerung um, was in vielen Fällen zum Scheitern führt. Die Gründe dafür sind oft hausgemacht: der Fokus liegt meist auf der operativen Exzellenz statt auf einer zukunftsweisenden Strategie. Innovationen spiegeln sich dabei fast ausschließlich in kurzfristig angelegten Prozessoptimierungen wider, bei denen es um reine Effizienzsteigerungen geht und nicht um langfristige Entwicklungen.

Dabei könnte es so einfach sein ...

Laut der Studie werden werden Innovations-Portfolios meist nur unzureichend gemanagt, was zum Scheitern der gesamten Projektlandschaft führen kann. Zudem beurteilt der deutsche Handel Initiativen in vielen Fällen undifferenziert. So werden Innovations-Meilensteine häufig nicht wahrgenommen oder als nicht relevant eingeschätzt. Kay Manke, Partner bei Bearing Point sagt: „Dabei sind gerade die Denkweisen 'das betrifft uns nicht', 'unsere Kunden wollen das nicht' oder 'das haben wir noch nie gemacht' Legitimation für das bewusste Auslassen von Innovationen”. Also getreu dem Motto, ‘Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht’.

„Zudem wird häufig der sukzessive Wissens- und Kompetenzaufbau vernachlässigt, was insbesondere in Zeiten stetigen Wandels die Grundlage für die Schaffung immer wieder neuer Wettbewerbsvorteile und damit von Zeitvorsprüngen darstellt. Dabei geht es vor allem um das Erkennen relevanter, meist schwacher Signale, die starken Signalen, zum Beispiel abgeleitet aus finanzbasierten Kennzahlen, typischerweise vorausgehen", erklärt Professor Jörg Funder vom IIHD Institut.

Dabei könnte es laut der Studie so einfach sein, denn nur wenige, aber dafür grundlegende Innovationen bestimmen die Handelslandschaft der Zukunft.

Beispielsweise der Cross-Channel-Handel gewinnt mit mehreren Touchpoints als Teil einer Marke stark an Bedeutung. Der Fokus dieser Innovation liegt bei der integrierten Datengewinnung und -konsolidierung, die den Wegbereiter einer zunehmenden Digitalisierung des Handels darstellt.

Außerdem ‘Advanced Analytics’, Analysemethoden, die die Möglichkeit bieten, wieder näher an den Kunden heranzurücken, um somit dessen Anforderungen besser verstehen und erfüllen zu können. Deren Einführung erfordert jedoch auch weitreichende Veränderungen der Management- und Organisationsstrukturen, der IT-Infrastruktur sowie etablierter Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe.

Aber auch das Merchandising wird künftig zur Wissenschaft. “Vor dem Hintergrund der wachsenden Relevanz von Warenbeständen als Investment der Handelsunternehmen, steigender Risiken durch hohe Altwarenbestände und Ladenhüter und den Folgen hoher Retourenquoten, gewinnt das Thema Merchandising besonders im Textilhandel an Bedeutung. Technologische und wissenschaftliche Neuerungen von Systemen und Modellen der Warenplanung und -disposition bieten hohes Optimierungspotenzial”, heißt es in der Studie.

Ein weiterer Punkt ist ‘Mobile Commerce’, wobei besonders das Smartphone eine wichtige Rolle spielt. Es verbindet die Online- und Offline-Welt per QR-Codes und NFC miteinander, wodurch das Kundenerlebnis gesteigert wird. Außerdem wird die Filiale so zum Warenlager und Distributionszentrum, in dem der Kunde online bestellte Ware abholen kann. So wird ein wesentlicher Vorteil des stationären Handels ausgespielt - der direkte Erhalt der Ware.

Und zu guter Letzt, um beim Thema zu bleiben: Geschwindigkeit. Die Halbwertszeit von Innovationen und Wettbewerbsvorteilen nimmt ständig ab. Schnelligkeit wird zur Grundlage der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. So forciert zum Beispiel der Kundenwunsch nach sofortigem Erhalt der Ware die fortwährende Optimierung der Lieferzeiten im Online-Handel. Mit "Anticipatory Shipping" arbeitet zum Beispiel Amazon an einer innovativen Idee, Ware bereits zu versenden, bevor der Kunde diese tatsächlich bestellt hat.

Ob sich das tatsächlich durchsetzt, wird sich zeigen. Professor Funder ist sich allerdings sicher, dass dies nicht nur Zukunftsmusik ist. „Vieles von dem, was heute noch nach Science Fiction klingt, wird schon bald zur Realität. Bei der Adaption dieser Neuerungen werden sich zur Innovation bereite Händler schnell von ihren Konkurrenten absetzen", prognostiziert er.

„Dabei wird sich ein neues Bild des deutschen Handels ergeben: Die Kluft zwischen innovationsfähigen Handelsunternehmen, die ihren Wettbewerbern einen Schritt voraus sind, und altbewährten Händlern, die sich im Kampf um immer niedrigere Margen rein auf Effizienzsteigerungen und Prozessoptimierungen konzentrieren, wird in der Folge immer größer – die Chance, vor allem für letztere, im Wettbewerb langfristig zu bestehen, hingegen immer geringer", sagt Kay Manke.

Fotos: Ludwig Beck, Apropos

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