20 Jahre Lanius: Von der Hanf-Jeans bis zum Roten Teppich
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Vor zwanzig Jahren trennte sich Claudia Lanius von ihrem Mann und dem gemeinsamen Hanf-Jeans-Unternehmen um ihre eigene Mode zu machen. Im gleichen Jahr gründete die gelernte Damenschneiderin Lanius. Zum Jubiläum spricht Claudia Lanius über langsames Wachstum als nachhaltige Modemarke und denkt über eine Kollektion für den Roten-Teppich nach.
Am Anfang des Fair Fashion Labels steht eine umstrittene Pflanze. Die meisten Menschen denken an Drogen oder Seile, wenn sie Hanf hören. Wenige wissen, dass die Nutzpflanze auch seit Jahrtausenden für Kleidung verwendet wird.
“Ich wusste gar nicht, dass Hanf so eine alte Tradition hat, ein schnell nachwachsender Rohstoff ist, der keine Fungizide oder Pestizide braucht”, erzählt die 51-jährige Claudia Lanius in ihrem Kölner Büro und legt ein knallgelbes Buch auf den Tisch: ‘Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf’.
Klicken Sie durch die Slideshow um mehr über die Anfänge von Lanius zu erfahren.
Foto: Büro von Claudia Lanius, Hess-Natur Katalog Seiten mit den ersten Kollektionen von The Hanf Company | FashionUnited
Durch das Buch setzt sie sich zum ersten Mal tiefgehend und umfassend mit einem Rohstoff auseinander – so wie sie sich noch mit vielen weiteren für ihre nachhaltigen Mode beschäftigen wird. Diese Akribie begleitet Claudia Lanius noch heute, die auch gleichzeitig über die modische Linie und Geschäfte bei ihrem Label bestimmt.
55 Prozent Hanf und 45 Prozent Baumwolle, sagt sie im Schnittraum des Lanius-Hauptquartiers in der Kölner Südstadt, als sie einen Karo-Mantel zwischen den anderen Mustern hervorzieht. Für die Jubiläumskollektion, für Frühjahr/Sommer 2019, ist sie wieder mit viel Hanf zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt.
Ihre Zeit als Lieferantin von Hanf-Jeans an den Ökomodeversender Hessnatur diente Claudia Lanius als Fundament in der nachhaltigen Kleidungsherstellung – zu einer Zeit als es noch kein GOTS oder andere Zertifizierungsstellen gab. Viel Wissen hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren angesammelt, das sich im Gespräch schnell in Nebensätzen wiederfindet, die Anekdoten werden, spannende Exkurse in Stoffkunde und über ihre Lieferanten, die Claudia Lanius über Jahre aufgebaut hat.
Worauf haben Sie bei der Gründung von Lanius am meisten Wert gelegt?
Die Anfangszeit, also die ersten zehn Jahre, waren extrem aufwendig und sehr lehrreich. In dieser Zeit habe ich die Kollektion aufgebaut und Lieferanten gefunden. Ich habe mich hier auf den europäischen Raum beschränkt. Das war mein Fundament: Lieferanten finden, die in dieser kleinen Menge mit mir zusammenarbeiten und ein ähnliches Gedankengut hatten wie ich. Ein Lieferant, der nur nebenbei etwas für mich herstellt, ist dabei nicht der Richtige für mich gewesen.
Zehn Jahre ist eine lange Zeit um ein Label aufzusetzen. Erfordert nachhaltig sein, vor allem auch Zeit?
Das langsame Wachstum von Lanius hat auch mit Qualität zu tun. Es ist schwer Bio-Baumwolle oder Seide als Produktgruppen dazu zu nehmen, wenn du bei der Nachhaltigkeit in die Tiefe gehen willst. Häufig müssen wir Stoffe oder Garne selbst entwickeln, da es diese so heute noch nicht auf dem Markt gibt - und vor zehn Jahren erst recht nicht. Wir haben Organic Cotton Stoffe selbst hergestellt und die Garne dafür eingekauft. Denn wenn wir keine Chemie auf den Stoffen einsetzen wollen, müssen die Garne ganz anders gedreht werden, oder müssen verzwirnt werden. Durch den Zwirn haben sie weniger Pilling, was wieder die Anti-Pilling-Ausrüstung erübrigt. So ist unsere Herangehensweise. Ich akzeptiere nicht etwas, nur weil es bisher immer so war.
Foto: Claudia Lanius und Designer Christian Rühl / Credit Felix Brueggemann
Was haben Sie in den letzten zehn Jahren gemacht?
In den letzten zehn Jahren habe ich dann die Marke aufgebaut, indem ich das Geld investiert habe, das mir durch das organische Wachstum zur Verfügung stand. Ich habe immer vorsichtig und bescheiden kalkuliert. Ich bin selbstständig ohne Finanzier, ohne Gruppe im Rücken. Ich bin nicht der Typ Mensch, der gerne Kredite aufnimmt, die mich dann in die Bredouille bringen könnten. Meine Intention war es langsam zu wachsen. Mit der Seele und mit den Menschen hinterherzukommen, die hier bei mir arbeiten.
In einer schnelllebigen Modewelt ist ‘Seele’ ist ein gutes Stichwort. Die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken ferner Länder stehen oft in der Kritik, warum produzieren Sie als Fair Fashion Label in China?
Als ich das allererste Mal in einer großen Fabrik in China war, wo zweitausend Leute Hanfstoffe hergestellt haben und als ich das erste Mal einen Schlafraum gesehen habe, indem Menschen in Gitterbetten schlafen, habe ich mich umgedreht, geweint und gesagt: 'Das möchte alles ich nicht, das ist nicht meine Welt.' Aber dann habe ich mich selbst gefragt: 'Drehe ich mich jetzt um, und tue so, als ob ich das alles nicht sehe, oder gehe ich hin und versuche, es anders zu machen?' Ich habe mich für den zweiten Schritt entschieden.
Dann haben Sie Aichin gefunden, deren Fabrik in China mittlerweile sogar von den Mitarbeitern geführt wird…
Im kleinen Bereich etwas zu bewegen finde ich schön. Deswegen bin ich geblieben und produziere auch heute noch in China, obwohl es entgegen herrschender Vorurteile dort gar nicht mehr günstiger ist, sondern eher genauso teuer wie zum Beispiel in Portugal. Nein, ich bin dort nicht mehr aus Preisgründen, sondern weil ich mich der Produktionsstätte gegenüber verpflichtet fühle und auf die langjährige Zusammenarbeit großen Wert lege. Das was mich wirklich bewegt, ist in der Textilindustrie etwas zu ändern. An Projekten teilzunehmen, neue Dinge ins Leben zu rufen und andere vielleicht auch zu inspirieren, etwas anders zu machen.
In China zu produzieren ist auch ein Kompromiss als nachhaltiges Label. Was ist Ihr größter Kompromiss?
Der größte Kompromiss ist, dass ich einfach auf den Preis achten muss. Die Kundin ist preissensibel, was Mode angeht. Ich möchte, dass sich auch Menschen mit kleinem Geldbeutel Fair Fashion leisten können. Da muss ich Kompromisse machen, wo ich produziere und welche Materialien ich nehme. Das sind die größten Kosten.
Wie wirkt sich ein Kompromiss bei den Materialien auf die Kleidung aus?
Ein Ne 40er Garn ist günstiger, aber ein Ne 60er Garn ist feiner und somit teurer. Wenn man das 60er Garn auch noch zwirnt, lässt sich daraus ein äußerst langlebiges T-Shirt herstellen. Dieses T-Shirt würde aber mindestens 49 Euro kosten, mein Ziel ist es aber, dass es nur 39 Euro kostet. Man muss also Kompromisse finden. Für Basics haben wir aber unsere Eckpreislagen, die wir einhalten möchten, um möglichst konkurrenzfähig zum konventionellen Handel anbieten zu können.
Hin und wieder mache ich Styles wie die Longlife-Bluse. Dafür habe ich langstapelige Garne verarbeitet, die eine lange Haltbarkeit gewährleisten. Die Bluse ist mit einem Verkaufspreis von 149 Euro zwar deutlich teurer, aber wir haben sie gut verkauft.
Über Lanius:
- Gründungsjahr: 1999
- Läden: 4 eigene in Köln, 1 Franchise-Store in Zürich
- 60 Mitarbeiter, inklusive Läden
- Über 380 Händler, davon 20 Prozent klassisch-konventionell 30 Prozent Eco Fashion, 50 Prozent Mischläden.
Im Gegensatz zu der Zeit als Sie angefangen haben, ist Nachhaltigkeit ein Schlagwort in Modebranche geworden. Wie weit ist die Industrie gekommen?
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass es nicht mehr aus den Köpfen oder aus dem Markt wegzudenken ist, dass die Entwicklung konstant in diese Richtung weitergehen wird, sei es auf Seite der Hersteller, wie auch auf Seite der Kunden, die stetig mehr Transparenz einfordern. Die Digitalisierung spielt hier mit rein, da es viel leichter ist an Informationen heranzukommen.
Vom Mainstream sind wir aber noch weit entfernt. Naturtextilien machen zwei Prozent von der Gesamtproduktion aus, das ist eigentlich nichts. Aber wenn ich heute auf eine Messe in Paris oder München gehe, sehe ich, dass sich alle Hersteller mit dem Thema auseinandersetzen und Dinge verbessern.
Es gibt noch wenig nachhaltige Mode für Männer. Wäre das etwas für Lanius?
Wir planen keine Herrenkollektion. Ich sage mir da: „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Wir denken eher in Richtung ‘Zwischenkollektion’, oder wollen uns in der Wintersaison in Richtung ‘Roter Teppich-Garderobe’ orientieren. Ich habe bei Maria Lucas, einer bekannten Kostümbildnerin, gelernt. Sie hat für Roncalli und Salome gearbeitet, aber auch viele Abendkleider für Prominente gemacht. Ich kenne mich bei der festlichen Mode daher ganz gut aus und habe auch Anfragen aus dem Bereich bekommen. Das fände ich spannend. Ich könnte mich dann auch mehr im Premiumbereich austoben und Fair Fashion auf den Red Carpet bringen. Ein Feld, was noch viel zu dünn besetzt ist.
Klicken Sie durch die Slideshow um mehr von der Herbst/Winter 2019 Kollektion zu sehen.
Foto: LaniusLanius betreibt auch vier Läden in Köln, was haben Sie hier in der Zukunft vor?
Dieses Jahr beginnt eine neue Ära. Wir werden die Kölner Lanius-Multibrand-Stores zu 50 Prozent mit der Lanius-Kollektion bestücken. Der Fokus soll auf Fair-Fashion liegen und ich werde maximal zwei bis drei andere Fashion Labels wie Drykorn und Samsøe & Samsøe für den Modegrad hinzunehmen.
Wir wollen die Läden zunehmend stärker als Sprachrohr nutzen. Seit Oktober organisieren wir beispielsweise Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit. Das ist auch ganz schön um jüngere Menschen in den Laden zu locken, die viele Fragen haben. Aufsteller und Displays im Store klären außerdem über die Materialien auf, wie zum Beispiel: „Was ist Tencel? Wie fühlt sich das an und wo kommt es her?“
Apropos Aufklärung. Modekonzerne wie H&M oder Burberry sind wegen der Vernichtung von ungetragener Kleidung im vergangenen Jahr in die Kritik geraten. Was machen Sie mit Ihren Restposten?
Ich versuche, nicht zu viel zu produzieren. Da bin ich lieber einmal ausverkauft, als alles bis auf den letzten Pfennig auszureizen. Wir entwickeln schnellere Produktionszyklen und ordern auch nach, damit wir nicht zu viel auf Lager haben.
Wenn wir in einer Saison zu viel haben, fotografieren wir es in einem anderen Look noch einmal für unseren Onlineshop. Und das klappt. Im Kölner Stadtteil Sülz haben wir zudem ein Outlet, das ‘Lanius Magazin’, wo die allerletzten Kleidungsstücke zu einem reduzierten Preis verkauft werden.
Nicht einmal wurde bei uns Kleidung weggeschmissen. Zweimal haben wir Kleidungsstücke, die noch gut waren an Hilfsorganisationen in Afrika gespendet.
Im derzeitigen politischen Klima haben sich auch einige Modeunternehmen 2018 am politischen Diskurs beteiligt. Könnten Sie sich das auch für sich und Lanius vorstellen?
Wenn ich jetzt noch einmal neu anfangen würde, würde ich vielleicht Politikerin werden. Aber ich will meine Marke nicht mit Politik aufladen. Die Mode steht immer noch im Vordergrund. Ich habe zwar Statement-T-Shirts gemacht, aber mein Credo ist es, niemals mit dem erhobenen Zeigefinger Menschen zu überzeugen, sondern durch Positivität Wege, aufzuzeigen, die eine gute Alternative darstellen.
Also lieber Taten als Worte?
Wir haben kürzlich die #Noplastic-Initiative gegründet. Hier habe ich mich an meine Mitbewerber, wie Armedangels, LangerChen, Bleed, Hessnatur, Maas Natur und einige mehr gewandt, und dazu aufgerufen kein Plastik mehr für die Umverpackungen beim Transport der Kleidung zu verwenden. Aus einem gemeinsamen Roundtable ist nun eine Initiative entstanden mit der wir kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ziele verfolgen. Im ersten Schritt starten wir zur Frühjahr/Sommer Kollektion 2019 mit einem Testlauf, bei dem unsere Produkte in Papiertüten aus Pergamin versandt werden. Jeanshosen werden in Banderolen komplett ohne Polybags verschickt. Unser langfristiges Ziel ist es, vielleicht sogar einen neuen Rohstoff als Ersatz für die Polybag zu entwickeln. Diese stetige Fortbewegung erfüllt mich.
Foto: Claudia Lanius | Credit Olaf-Wull Nickel