Digitale Mode: “Die Welt braucht nicht mehr physische Kleidung”
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Das erste, digitale Couture-Kleid des Amsterdamer Modelabels The Fabricant wurde Anfang des Monats für ganze 9500 US-Dollar in New York versteigert. Obwohl täuschend echt, existiert der fließend-fluoreszierende Entwurf nicht in Wirklichkeit sondern nur als digitale Datei. Hinter der Idee virtueller Kleidung steht nicht bloß eine bahnbrechende Vision über Mode, sondern auch darüber wie Menschen in Zukunft miteinander interagieren.
Das digitale Modehaus The Fabricant verkaufte sein Couture-Stück am 11. Mai bei einem Blockchain-Gipfel in New York. Nach dem Kauf wird der silberweise Bodysuit mit transparentem Überwurf auf ein hochauflösendes Foto von dem neuen Besitzer montiert – digital maßgeschneidert sozusagen. Die Blockchain-Gemeinde mag zugegebenermaßen gegenüber futuristischen Tech-Experimenten aufgeschlossener sein, aber auch für die breitere Modewelt ist die Idee ausschließlich virtueller Kleidung interessant.
"In einer Umgebung, die das Unmögliche möglich macht, die nichts als Daten verschwendet und nichts als die Phantasie ausschöpft, scheint die Idee der Körperlichkeit veraltet zu sein", erklärt das Start-up The Fabricant auf seinem Instagram-Profil und spielt weiter mit der Vorstellungskraft seiner Follower: "In dieser neuen Welt gibt es keine Fabriken, Lieferketten und Muster. Es gibt keine Lieferwagen, auf die man warten muss, keine Kleider zum Waschen und keine Schränke zum Entrümpeln."
Bekleidung für unser digitales Leben
Gefüllt mit Bildern voller virtueller Kleider und Accessoires, lesen sich die Instragram-Beiträge wie ein Manifest an der Dämmerung einer neuen Welt. Im Herzen von Amsterdam, in seinem verglasten Büro voller Grünpflanzen, legt Kerry Murphy, Mitgründer von The Fabricant, seine Vision an einem sonnigen Nachmittag dar. Das Internet hat neue Möglichkeiten für Menschen geschaffen miteinander zu interagieren, die es vorher nicht gab, sagt er. Aber das, was wir heute haben, sei nur der Beginn unseres digitalen Lebens.
"Wir haben bereits eine virtuelle Schicht auf unserer physischen Existenz aufgebaut – und das sind soziale Medien", sagt Murphy. Er spricht schnell, klingt optimistisch, ganz der unermüdliche Gründer. "Aber wenn man an soziale Medien denkt, geht es eigentlich noch ziemlich plump in dem Sinne zu, dass es nur die bis jetzt etablierte Ebene ist, in der wir angefangen haben unser Leben zu führen. Was wäre der nächste Schritt?"
Als plump bezeichnet er die aktuellen Formate von Text, Sprache und Video, die uns heutzutage auf sozialen Medien miteinander vernetzen. Unser Kontakt in der virtuellen Welt wird dem, wie wir physisch interagieren viel mehr ähneln, glaubt er. Anstatt uns gegenseitig getippte Nachrichten zu senden, könnten wir mit digitalen 3D-Versionen unserer selbst in Kontakt treten. Beispielsweise könnte unser Instagram-Profil ein Avatar sein, also eine digitale Figur, die uns auf der Plattform repräsentiert. The Fabricant, das Murphy zusammen mit der niederländischen Designerin Amber Slooten gegründet hat, hat bereits eine erste Kollektion für diese ‘digitalen Zwillinge’ entworfen.
"Jetzt kaufen wir so ziemlich die gleichen Artikel wie in den letzten 50 Jahren. Aber neben E-Commerce und neuen Plattformen gibt es keine klare Innovation per se. Es muss sich noch zeigen, wie die Digitalisierung die Modebranche definieren wird", sagte Marjorie Hernandez, Geschäftsführerin des Berliner Startups Lukso, telefonisch. Sie baut ein Blockchain-System für die gesamte Modebranche auf, das auch für Murphy interessant ist. The Fabricant plant seine digitale Kollektion unter anderem über die Plattform von Lukso zu verkaufen, die bis Ende des Jahres auf den Markt kommt. Mithilfe der Blockchain-Technologie bekommt jedes Stück digitale Couture eine einmalige Identifizierungsnummer - wie das für 9500 US-Dollar versteigerte Kleid. Somit wird jede digitale Bekleidungs-Datei einzigartig und kann nicht ohne Weiteres kopiert werden. Das erhöht den Sammlerwert.
Modetrends folgen ohne die Umwelt zu belasten
Der skandinavische Multibrand-Store Carlings hat im vergangenen Jahr eine digitale Kollektion lanciert, die damit wirbt, dass sie keine Auswirkungen auf die Umwelt hat. Die Hosen oder Mäntel aus der ersten Kollektion kosten bis zu 30 Euro und werden nach dem Kauf auf ein Foto des Kunden angebracht. Das Konzept scheint so erfolgreich gewesen zu sein, dass jetzt bereits der zweite Drop auf der Webseite angekündigt wird. Digitale Mode könnte unser Bedürfnis nach Neuheit und Selbstdarstellung befriedigen ohne die Umwelt dabei zu belasten: Ein virtuelles Kleid muss nur auf ein Foto einer Person montiert werden, bevor das Bild auf sozialen Medien gepostet und Teil unseres Lebens wird.
Mit dem Aufstieg des Fast-Fashion Modells folgte die Modeindustrie Trends immer schneller, aber auch verschwenderischer. Wenn Kleidung rein digital wäre, müsste sich die Branche nicht um Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung in den Lieferketten sorgen oder um unverkaufte Restposten und wachsende Berge voller Kleidungsmüll. Viele Unternehmen leiden auch wirtschaftlich unter der Überdistribuierung von Kleidung am Markt, denn gerade Menschen in wohlhabenden Ländern besitzen bereits mehr zum Anziehen als sie eigentlich bräuchten und kaufen seltener zum vollen Preis. Aber werden Verbraucher Kleidung kaufen, die sie nicht tragen können?
"Digitale Sammlerstücke, digitale Mode, digitale Turnschuhe werden in naher Zukunft ein riesiger Markt sein", sagte Hernandez. Das Online-Spiel Fortnite Battle Royale habe einen Vorgeschmack auf das Potential virtueller Sammerstücke gegeben, erklärt sie. Spieler können dort sogenannte ‘Skins’ für ihre Charaktere kaufen, die bald zu einem Statussymbol unter Teenagern wurden. Schließlich hält Kleidung nicht nur warm, sie inszeniert den Träger auch. Warum sollte das also nicht ausschließlich in der digitalen Welt stattfinden, wo Menschen zusehends mehr Zeit verbringen, denkt Murphy:
"Ist es wirklich etwas, was den Massenmarkt in diesem Augenblick begeistern würde? Ich glaube nicht, aber ich kann es mir nur vorstellen, denn so ziemlich alle von uns sind auf sozialen Medien.” In fünf Jahren könnte es einen Markt für digitale Bekleidung geben, sagt er und klingt ungeduldig. Seine Frustration, seine zugegebenermaßen futuristische Vision gegenüber Ungläubigen zu wiederholen, scheint jetzt durch und Murphy wirkt ein wenig müde. Doch bald gibt er sich wieder zuversichtlich und fügt hinzu: “Jetzt fühle ich schon, dass wir bis zum nächsten Jahr nur mit dem Verkauf von digitaler Mode ein nachhaltiges Unternehmen sein können.” Bis dahin finanziert sich The Fabricant durch 3D-Projekte für Modeunternehmen. Für den Concept Store I.T aus Hongkong hat das Start-up zum Beispiel deren Jubiläumskollektion in 3D-Bildern nachgebildet.
An der Grenze zwischen Realität und Fiktion
Die erste Kollektion wurde im September vergangenen Jahres lanciert und jedes Jahr ist eine neue geplant. Wie reale Couture sind auch die detaillierten Entwürfe von The Fabricant zeitaufwendig und kostspielig. Allein die Visualisierung der ersten Kollektion dauerte mehr als einen Monat, die gseamte Entwicklung nahm mehr als ein Jahr in Anspruch. Dinge zu erschaffen, die in 3D echt aussehen, ist zur Zeit teurer als ein Foto-Shooting oder Video, deshalb werden Filme immer noch mit gedreht und 3D-Effekte nur spärlich genutzt, erklärt Murphy, der vor der Gründung von The Fabricant mit 3D-Animationen für die Filmindustrie arbeitete.
An der Grenze zwischen Realität und Fiktion sind auch die Stücke seines Modelabels geschneidert. “Wir machen etwas, was physisch nicht möglich wäre”, sagt Murphy, während er am Computer zeigt, wie Schnittmuster in 3D-Computerprogrammen zu digitalen Entwürfen zusammengesetzt werden, bevor sie mit weiterer Software animiert werden. Mit der Kleidung von The Fabricant wird der Träger nicht wie in Computerspielen Wolken anhaben, Feuer speien oder zum Dinosaurier werden, vielmehr sehen die Teile täuschend echt aus, obwohl sie in Realität nicht möglich wären. Die Schwerkraft sei zum Beispiel mit dem Fall des Stoffes aufgehoben oder diese Muster wären gar nicht möglich, erklärt Murphy während er mit den Fingern an den Nähten des gelben Overalls mit Oversize-Fellärmeln entlangfährt.
Nach dem Gespräch mit Kerry Murphy und zurück auf der Straße, blendet das Sonnenlicht. Der wolkenlos blaue Himmel und die Menschen an der Amsterdamer Spiegelgracht erscheinen plötzlich surreal, das Gebimmel der Fahrradklingeln läutet wie aus der Ferne. Und im Kopf klingt noch das Echo von Murphys letzten Worten nach: “Die Welt braucht nicht mehr physische Kleidung. Es gibt so viele schöne Dinge, die bereits existieren, braucht es noch ein weiteres? Unsere Antwort ist Nein.”
Bild: The Fabricant