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Nur Greenwashing oder mitten in der Transformation – Wo steht das Textilrecycling?

Von Regina Henkel

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Das Textilrecycling scheitert derzeit an sortierten Altkleidern. Bild: Ecotextile.com

Wenn es darum geht, textile Kreisläufe zu schließen, wird derzeit wohl bei keinem Thema so viel Greenwashing betrieben wie beim Recycling. Warum ist das so? Schließlich sammeln wir in Deutschland doch schon fleißig Altkleider für das Recycling? Wo genau steht das Textilrecycling und welche Hürden gilt es noch zu nehmen?

Wenn in der Modeindustrie von Recycling, recycelten Materialien oder recycelbaren Produkten die Rede ist, klingt das für viele Menschen nach einer tollen Lösung. Schnell entsteht die Vorstellung, dass aus der neuen recycelbaren Jacke wieder ein neues Textil wird. Die Recyclingcontainer auf der Straße und bei Händlern suggerieren, dass alle dort gesammelten Altkleider als Second-Hand-Kleidung einem guten Zweck zugeführt oder zu neuen, hochwertigen Produkten recycelt werden. Und Stoffe aus Recyclingfasern, die in Form von recyceltem Polyester heute schon weit verbreitet sind, erwecken den Eindruck, dass wir auf dem Weg zu einer textilen Kreislaufwirtschaft schon ein gutes Stück vorangekommen sind . Doch so richtig weit sind wir leider doch noch nicht.

Ist recyceltes Polyester aus Plastikflaschen Greenwashing?

Den Konsument:innen begegnet der Begriff Recycling derzeit vor allem beim recycelten Polyester (rPET), auf das in Etiketten, auf Hangtags oder in Marketingaktionen von Modebrands hingewiesen wird. Insgesamt hatte recyceltes Polyester im Jahr 2022 einen Anteil von 14 Prozent am gesamten Polyestermarkt. Das ist eine ordentliche Menge, wenn man bedenkt, dass heute mehr als die Hälfte aller weltweit produzierten Textilfasern aus Polyester bestehen.

Aber gerade einmal ein Prozent dieses globalen rPET wird heute aus Altkleidern gewonnen. 99 Prozent des rPET wurde dagegen aus recycelten Plastikflaschen hergestellt. Deshalb mehren sich inzwischen auch die Bedenken gegen diese Praxis. Zum einen versteht die EU-Gesetzgebung unter der geforderten erweiterten Herstellerverantwortung zunehmend auch, dass die Bekleidungsindustrie ihre eigenen Abfälle recycelt, also die Bekleidungsproduktion in Kreisläufe überführt, Ressourcen spart und Abfälle vermeidet, anstatt die Müllprobleme der Getränkeindustrie zu lösen. Zum anderen wird die Getränkeindustrie selbst von der Politik zunehmend in die Pflicht genommen und muss in den kommenden Jahren ebenfalls Kreisläufe aufbauen und den Rezyklatanteil in den Flaschen erhöhen. Bis 2030 soll der Rezyklatanteil in Getränkeflaschen bei 30 Prozent liegen, heute sind es rund 17 Prozent. Ökologisch macht das viel Sinn, denn Flaschen lassen sich nahezu endlos recyceln. Werden sie aber zu Textilien verarbeitet, endet dort der Kreislauf, weil Textilien im Moment noch nicht zu neuen Textilien recycelt werden. Vor allem Mischfasern landen hierzulande fast ausschließlich in der Verbrennung oder gehen ins Downcycling.

Das bleibt auch den Konsument:innen nicht verborgen. „Marken, die Polyester aus Plastikflaschen offensiv als nachhaltige Lösung vermarkten, laufen Gefahr, dass dies zunehmend als Greenwashing wahrgenommen wird“, erklärt René Bethmann, Materialspezialist und Senior Innovation Manager beim Outdooranbieter Vaude.

Textile-to-Textile Recycling: Es mangelt am Rohstoff

Das bedeutet, dass der Textilindustrie in den nächsten Jahren das bisherige Recyclingmaterial ausgehen wird. Die Lösung für dieses Problem ist natürlich, endlich mit dem echten Textilrecycling zu beginnen. Schließlich gibt es keine Engpässe beim Rohstoff Alttextilien. Oder doch? Tatsache ist, dass die hiesigen Sortieranlagen nur nach Second-Hand-Verwertbarkeit sortieren, weil sie damit ihr Geld verdienen. Diese Sortierpraxis ist auch sinnvoll, weil damit die Lebensdauer von Altkleidern verlängert wird. Dennoch werden nur etwa 60 Prozent der gesammelten Altkleider wiederverwendet. Die restlichen 40 Prozent, die sogenannten Non-Wearable-Textiles, werden downgecycelt oder verbrannt.

„Sie werden nicht nach Rohstoffen sortiert, was für eine stoffliche Verwertung aber notwendig wäre“, sagt Cyndi Rhoades, Gründerin der britischen Recyclinginitiative Worn Again. Diese Sortierprozesse erfolgen heute noch manuell und sind daher viel zu teuer, um daraus ein marktfähiges Recyclinggarn herstellen zu können. Obwohl die Menge an Altkleidern also kontinuierlich steigt, fehlt den Recyclinganlagen der Rohstoff. Es mangelt an gut sortiertem Material. Als Zwischenlösung verwenden viele Recyclinganlagen zunächst nur Produktionsabfälle, weil diese zuverlässiger und in großen Mengen zur Verfügung stehen.

Rhoades setzt sich seit vielen Jahren für das Textilrecycling ein. Vor rund zehn Jahren hat sie damit begonnen, den Recyclingprozess von Baumwolle/PET Mischungen im Labormaßstab mit rund 1.000 Kilogramm Altkleidern im Jahr zu entwickeln. Jetzt gibt es in Großbritannien die erste vollautomatische Sortieranlage, die nach Rohstoffen sortiert und mittels chemischen Recyclings daraus Rohstoffe für neue Garne gewinnt. Doch die Branche ist zurückhaltend. „Alle Alternativen sind derzeit in der Regel teurer als neu hergestelltes Polyester“, erklärt Bethmann. Polyester ist so erfolgreich, weil es so preisgünstig ist (und umgekehrt), und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind höhere Produktionskosten für die Industrie und höhere Produktpreise für die Konsument:innen keine beliebte Option.

Da ist die Versuchung womöglich groß, einen Schritt zurück zu machen und einfach wieder virgin Polyester zu verwenden. Doch auch dort stehen schon die ersten Kostenerhöhungen an, nicht zuletzt, „weil auch die CO2-Steuer auf virgin Polyester in den kommenden Jahren steigen wird“, ergänzt Bethmann.

Nach Farben sortierte Produktionsabfälle. Credits: Photo by Francois Le Nguyen on Unsplash.

Wie weit ist biobasiertes Polyester?

Und wie steht es mit anderen Faseralternativen, die nicht aus dem Recycling kommen, wie biobasiertes oder biologisch abbaubares Polyester? Wäre das eine nachhaltigere Alternative für rPET aus Plastikflaschen? Große Hoffnungen setzt die Textilindustrie auf die Entwicklung von Polyesterpolymeren, die nicht aus Erdöl, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz oder Zuckerrohr gewonnen werden - sogenanntes BioPET.

Hierbei muss man zunächst wissen, dass Polyester und PET nicht ein und dasselbe sind. Polyester bezeichnet eine Materialfamilie, zu der PET (Polyethylenterephthalat) gehört. Die Bekleidungsindustrie verwendet fast ausschließlich PET, und keine anderen Polyester. PET besteht zu 30 Prozent aus MEG (Monoethylenglycol) und zu 70 Prozent aus PTA (Gereinigte Terephthalsäure). Inzwischen ist es gelungen, MEG biologisch nachzubauen. Erst im letzten Jahr hat das finnische Unternehmen UPM in Kooperation mit Vaude das erste Fleece mit biobasiertem MEG vorgestellt. UPM sieht großes Potenzial in der Bio-Technologie und investiert gerade rund 1,2 Millionen Euro in den Bau der weltweit ersten Bioraffinerie im industriellen Maßstab in Leuna in Sachsen-Anhalt. Und natürlich soll auch der Baustein PTA noch biologisch ersetzt werden.

Aber auch an anderen Polyestern für die Textilindustrie wird geforscht. Zum Beispiel PLA (Polylactid), das hauptsächlich aus Zuckerrohr gewonnen wird, oder PHA (Polyhydroxyalkanoat), das unter natürlichen Bedingungen vollständig biologisch abbaubar ist. Die biologische Abbaubarkeit gilt als nachhaltige Lösung, insbesondere im Hinblick auf Mikroplastik und Umweltverschmutzung in Ländern ohne funktionierende Abfallentsorgung. Herkömmliche Kunstfasern brauchen schließlich Jahrhunderte, um sich zu zersetzen. Doch auch der Begriff der biologischen Abbaubarkeit ist kritisch zu betrachten: Denn oft wird nicht genau beschrieben, unter welchen Bedingungen sich ein Stoff tatsächlich biologisch abbaut. Wenn dies nur unter den speziellen Bedingungen industrieller Kompostierungsanlagen funktioniert, nicht aber auf offenen Mülldeponien oder im Meer, bleibt die Idee der biologischen Abbaubarkeit ein theoretisches Konstrukt.

Gleichzeitig birgt ein schneller biologischer Abbau immer die Gefahr, dass die Textilien nicht lange halten. The North Face erforscht derzeit zusammen mit der amerikanischen Organisation „Bottle“ (steht für: Bio-Optimised Technologies to keep Thermoplastics out of Landfills and the Environment), wie und ob sich PHA nicht doch als Textilfaser eignet.

Fasern aus Kohlendioxidemissionen

Eine weitere interessante Entwicklung gibt es bei den Chemiefasern: Unter dem Kürzel CCU-Fasern (Carbon Capture Utilization) versteht man Fasern, die aus aufgefangenen Kohlendioxid-Emissionen von Stahlwerken oder petrochemischen Anlagen gewonnen werden. Diese können durch Fermentation in Ethanol umgewandelt werden, das als Monomer für neue Polyester dient. Das US-Unternehmen LanzaTech gehört hier zu den Pionieren. Gelingt es, den hohen Energieverbrauch bei der Herstellung durch erneuerbare Energien zu decken, könnten diese Fasern sogar klimapositiv werden, also mehr CO2 binden als freisetzen. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail: Die ganze Idee macht aus Klimasicht nur Sinn, wenn das CO2 tatsächlich der Atmosphäre entzogen wurde. Stammt es aus der Erde, ist der Effekt gleich null.

Welche neuen chemischen Verbindungen am Ende Polyester aus Erdöl oder aus Plastikflaschen ersetzen werden, ist noch lange nicht entschieden. Vermutlich wird es ein Mix aus vielen Technologien sein, zumindest für den Anfang. Klar ist auch, dass Recyclingfasern dazu gehören werden, die im Idealfall sogar biobasiert und/oder biologisch abbaubar sind. Optimistisch stimmt viele Expert:innen, dass wir es in der Bekleidungsindustrie eigentlich gar nicht mit so vielen verschiedenen Kunststoffen zu tun haben, also durchaus die Chance besteht, dafür bessere Alternativen zu finden. Auch an der Nachfrage dürfte es zumindest langfristig nicht scheitern.

„Wir müssen das Problem lösen, wir haben keine andere Wahl“, ist Rhoades überzeugt und ergänzt, dass es für die Brands am Ende gar keinen großen Unterschied machen muss: „80 Prozent der Stoffe, die wir verwenden, sind Baumwolle-Polyester-Mischungen. Und genau das machen wir auch, nur eben aus recycelten Fasern.

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