Aufregung um den Schulranzen – trotz steigender Lebenshaltungskosten?
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Auf ihren ersten Schulranzen sind Kinder ganz besonders stolz. Doch für Eltern ist das eine kostspielige Angelegenheit. Wann ist die Schmerzgrenze erreicht?
Rund 800 000 Kinder kommen nach den Sommerferien in Deutschland in die Schule – und sie alle brauchen einen Schulranzen. In den Monaten vor der Einschulung ist in den Fachgeschäften entsprechend viel los, mitunter fühlt man sich dabei an den Kauf eines Brautkleids erinnert: Kinder führen Modell um Modell vor, Eltern machen Fotos, beratschlagen sich via Smartphone mit anderen Familienmitgliedern und posten dann ein Bild des stolzen Bald-Schulkinds mit dem neuen Ranzen in den sozialen Medien.
Am Ende sind viele Eltern auch erleichtert, es geschafft zu haben. Denn der Kauf des perfekten Schulranzens kann schweißtreibend sein. Während es früher fast nur die Wahl zwischen dem roten und blauen Ranzen von dem einen oder dem anderen Hersteller gab, gilt es heute, aus einer riesigen Zahl verschiedener Formen, Farben und Muster auszuwählen. Doch auch Ergonomie und Sicherheit spielen eine wichtige Rolle.
«Viele Eltern haben schon bestimmte Vorstellungen», sagt Klaus Müller, Geschäftsführer eines großen Nürnberger Spielwarengeschäfts, das eigenen Angaben nach etwa 3000 Modelle in seiner Ranzenabteilung hat. Um das gewünschte Modell auf jeden Fall zu ergattern, gehen Eltern mit ihren Kindern oft schon Monate vor der Einschulung einen Ranzen kaufen, hat Müller beobachtet. «Oft ist es schon ein Weihnachtsgeschenk. Spätestens an Ostern muss das Kind den Ranzen haben.» Notwendig ist das nicht unbedingt. «Es gibt Trend-Motive, die sind schnell ausverkauft», sagt Müller. Aber trotzdem gebe es noch bis zum ersten Schultag eine große Auswahl.
Woher kommt also dieser Hype? «Der Schulranzenkauf ist ein magischer Moment», sagt der Münchner Marktforscher Axel Dammler. «Der Eintritt in die Schule ist etwas Großes. Der Schulranzen repräsentiert das, bildet aber auch die Geschmackswelt des Kindes ab.» Deshalb gebe es auch so viele verschiedene Designs: Jedes Kind soll sich wiederfinden. Es will aber möglichst auch das einzige in der Klasse mit diesem Modell sein, sagt der Experte.
Für einen neuen Schulranzen müssen Eltern meist tief in die Tasche greifen. Nach einer vor einigen Jahren erhobenen Studie des Konsumforschungsunternehmens GfK geben Eltern im Schnitt 238 Euro für die Erstausrüstung aus. Aktuelle Erhebungen dazu gebe es nicht, sagt Expertin Sabine Frühwald. Die Inflation und die Kostensteigerungen in vielen Bereichen wirkten sich aber auch auf den Schulbedarf aus. Den größten Posten bei der Einschulung mache der Schulranzen aus. «Die Eltern kommen aber um den Kauf nicht herum.»
Je nach Marke kann man da schon mal mit Preisen zwischen 200 und fast 300 Euro rechnen. Gerade für ärmere Familie ist das nach Angaben des Deutschen Caritasverband nicht zu stemmen. Im vergangenen Februar hatte dieser seine Beratungsstellen zum Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder aus bedürftigen Familien befragt, über das diese zu dem Zeitpunkt jährlich pauschal 154,50 Euro für Schulbedarf bekamen. 2022 liegt die Summe bei 156 Euro pro Jahr. Der Großteil der Befragten gab demnach damals an, dass die Summe nie (44 Prozent) oder nur manchmal (43 Prozent) ausreiche.
Gerade bei der Einschulung und beim Wechsel auf die weiterführende Schule reiche die Pauschale nicht, sagte eine Sprecherin des Caritasverbands - weil eine neue Schultasche, Zubehör und teure Taschenrechner die Kosten deutlich überstiegen. Die explodierenden Preise verschärften die Situation zusätzlich, da die Regelsätze weniger stark stiegen. Die Caritas und andere Hilfsverbände sammeln deshalb seit Jahren gebrauchte Schulranzen und Turnbeutel, um sie bedürftigen Familien zu spenden.
Rund 800 000 Kinder kommen nach Vorausberechnungen der Kultusministerkonferenz in diesem Jahr in die Schule - und in den nächsten beiden Jahren wird die Zahl noch weiter wachsen. Für die Hersteller eine gute Nachricht, denn der Schulranzen-Markt ist hart umkämpft. «Die Zielgruppe ist in den nächsten Jahren wachsend», sagt Christian Bergemann von der Steinmann Gruppe, zu der unter anderem die seit 1975 bestehende Marke «Scout» gehört. Doch in den vergangenen Jahren seien viele Mitbewerber dazugekommen, sagt Bergemann.
Auch die hohen Energiekosten und Frachtraten machen den Herstellern zu schaffen. Darauf hat das Unternehmen Hama im bayerischen Monheim bei seinen Ranzen der Marke «Step by Step» reagiert. «Um unsere gewohnt sehr hohe Qualität und die Standards in der Produktentwicklung und -produktion sowie im Bereich Nachhaltigkeit weiterhin aufrecht zu erhalten, sind aber auch wir nicht umhingekommen, die Verkaufspreise geringfügig anzupassen», teilt es mit. Die Steinmann Gruppe verzichtet dagegen auf Preiserhöhungen. «Wir liegen mit «Scout» schon im oberen Preissegment und möchten die Familien nicht zusätzlich belasten», erläutert Bergemann.
Auch Händler Müller ist skeptisch, ob die Menschen angesichts der hohen Lebenshaltungskosten weiterhin bereit sind, so viel für Schulranzen auszugeben. «Die Schmerzgrenze ist erreicht», meint er. «Bei den Preislagen ist der Ranzen sicherlich nicht mehr das wichtigste.»
GfK-Expertin Frühwald erwartet deshalb, dass es sich Familien genau überlegen werden, ob sie einen neuen Ranzen kaufen. «Es wird Vermeidungs- und Ausweichstrategien geben.» Statt einem neuen Ranzen zu bekommen, müssten Kinder dann zum Beispiel den der älteren Geschwister übernehmen. Auch ein weiterer neuer Ranzen zu einem späteren Zeitpunkt, zum Beispiel beim Übertritt in die 3. oder 5. Klasse, könnte wegfallen. (dpa)