„Bangladesch hat heute die sicherste Bekleidungsindustrie der Welt“
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Bangladesch hat als Produktionsland für Kleidung einen schlechten Ruf. Zu viele Katastrophen wurden von dort gemeldet. Doch die Situation heute ist eine ganz andere als noch vor ein paar Jahren, sagt Mostafiz Uddin. Er ist selbst Denim-Produzent aus Bangladesch, Gründer der Denim Messe Bangladesh Denim Expo und vor allem ein leidenschaftlicher Kämpfer für mehr Nachhaltigkeit und eine bessere Bekleidungsindustrie. Wir haben mit ihm über die Entwicklung in seinem Land gesprochen und über die Ziele, die ihn antreiben.
Bangladesch steht für schlechte Arbeitsbedingungen. Was hat sich seit dem Unglück von Rana Plaza geändert?
Mostafiz Uddin: Der Unterschied zwischen Bangladeschs Bekleidungsindustrie vor und nach dem Rana Plaza ist wie Tag und Nacht. Nach dem tragischen Vorfall wurden drei Sicherheitsplattformen - Accord, Alliance und National Tripartite Action Plan - von globalen Marken, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Regierung initiiert, um die Sicherheit des Bekleidungssektors zu gewährleisten. Wohl nirgendwo auf der Welt finden Sie eine Industrie, in der wirklich jede einzelne Fabrik von Teams einheimischer und ausländischer Ingenieure und Experten auf ihre Sicherheit kontrolliert wurde. In den letzten dreieinhalb Jahren wurden mehr als 3.800 exportorientierte Bekleidungsfabriken in Bangladesch auf Brandschutz, Gebäude- und elektrische Sicherheit untersucht und gegebenenfalls Sicherheitsreparaturen empfohlen.
Darüber hinaus werden die Inspektions- und Sanierungsberichte auf öffentlich zugänglichen Websites veröffentlicht, was die Änderungen transparent und glaubwürdig macht. Rund 79 Prozent der identifizierten Sicherheitsprobleme wurden bereits in den mit der Alliance verbundenen Fabriken behoben, während die Fortschrittsrate in den Fabriken gemäß Accord bei 81 Prozent liegt. Außerdem hat die Regierung weitere 300 Sicherheitsinspektoren eingestellt, um Sicherheitsprobleme im industriellen Sektor zu überwachen. Die Regierung von Bangladesch arbeitet aktiv am Aufbau von Kapazitäten der zuständigen Regierungsbehörden und hat zudem einen Sicherheitsausschuss eingerichtet und einen gewählten Mitbestimmungsausschuss für Arbeitnehmer.
Finden Sie es gut, dass die Welt Ihr Land so genau beobachtet? Dient es der Verbesserung der Situation oder verschreckt es Ihre Kunden, weil sie ja hautsächlich billig produzieren wollen?
Ich glaube, unsere Sicherheitsstandards sollten Bangladesch auf eine positive Art und Weise prägen und Einzelhändler und Kunden ermutigen, Kleidung "Made in Bangladesh" zu kaufen. Es gab so bedeutende Verbesserungen in der Branche, dass es keine Übertreibung wäre, die Industrie als die sicherste Bekleidungsindustrie der Welt zu bezeichnen. Aber die relevante Frage ist, wie ein Kunde leicht zwischen guter und schlechter Kleidung unterscheiden kann? Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, dass die Marken ein Nachhaltigkeits-Label oder Etikett einführen sollten, um die Produkte, die unter sicheren und nachhaltigen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden, erkennbar zu machen. Auf so ein Etikett gehört dann auch Informationen über die Zulieferbetriebe und das Herkunftsland. Eine solche Transparenz der Lieferkette wird für alle Akteure der Lieferkette eine Ermutigung sein, die Sicherheit aufrechtzuerhalten und Nachhaltigkeit zu praktizieren.
In Anbetracht der Verbesserungen, die Bangladesch bisher in Richtung einer nachhaltigen Bekleidungsherstellung erzielt hat, ist die Wahrnehmung von Bangladesch auf der ganzen Welt ziemlich unglücklich. Das hilft uns nicht, unsere positive Reise fortzusetzen und überhaupt Fortschritte zu machen. Die Einstellung unter den Verbrauchern muss sich ändern.
Sie produzieren selbst Bekleidung. Wie ist es möglich, mit sozialen Standards zu arbeiten und gleichzeitig erfolgreich zu sein?
Ja, das ist sehr gut möglich. Ich selbst bin ein klares Zeugnis dafür. In meiner Fabrik behandle ich alle Arbeiter und Angestellten als Mitglieder einer gemeinsamen Familie. Es gibt keine Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Arbeitnehmerrechte, des Wohlergehens und ihrer Gesundheit. Wir gehen sogar so weit, dass wir unsere Arbeiter in ihrem persönlichen Leben und in ihren Herausforderungen unterstützen. Es schadet einer Fabrik nicht, sondern schafft eine feste Verbindung zwischen Fabrik und Belegschaft.
Welche Vorteile haben Ihre Mitarbeiter im Vergleich zum Durchschnitt in Ihrem Land?
Das Geschäftsmodell von Denim Expert ist fast einzigartig in dem Sinne, dass es Abstand von der Massenproduktion hält, wohingegen Fabriken in Bangladesch normalerweise große Stückzahlen produzieren. Denim Expert ist eine eigenständige Fabrik vom Entwurf bis zur Auslieferung. Wir entwickeln ein eigenes Wasch- und Verarbeitungsrezept und entwickeln eigene Kollektionen. Wir legen den Preis unserer Produkte selbst fest, wir sind kein sogenannter Preisnehmer. Das heißt, unsere Wertschöpfung ist hoch, unsere finanzielle Werterhaltung ist auch höher. So können wir unseren Arbeitern deutlich höhere Löhne als den Mindestlohn zahlen. Die Fabrik ist so gebaut, dass sie einem Erdbeben von 7,5 auf der Richterskala standhält. Bei Denim Expert Limited behandeln wir unsere Mitarbeiter wie eine große Familie. Wir fühlen uns verpflichtet, an allen wichtigen Ereignissen unseres Arbeitslebens teilzunehmen - Hochzeiten, Geburtstage, Geburten, heilige Pilgerfahrten usw. Wenn es ihnen wichtig ist, ist es uns ebenso wichtig.
Zahlt sich die Strategie für Sie aus?
Das Engagement von Denim Expert Limited für qualitativ hochwertige Denims bei gleichzeitiger Gewährleistung einer verantwortungsvollen Produktion ist eines der Geheimnisse seiner heutigen Position, und das macht uns stolz. Wir haben eine ausgezeichnete Compliance-Infrastruktur.
Sie sind Denim-Produzent und haben als Non-Profit-Organisation die Denim-Messe Bangladesh Denim Expo gegründet. Warum finden Sie wichtig, in Bangladesch eine Denim-Messe zu veranstalten und warum gemeinnützig?
Bangladesch ist einer der größten Denim-Exporteure der Welt. Seine Position in der Europäischen Union ist noch vor China. Mein Ziel war, Denim aus Bangladesch in der weltweiten Denim-Szene weiter zu fördern. Ich wollte in Bangladesch eine One-Stop-Plattform schaffen - also vom Stoff bis zum Finish- so dass es zu einem Treffpunkt von Marken, Einkäufern, Lieferanten und Denim-Profis wird. Ich wollte die Plattform auch im Land schaffen, um den Wissens- und Meinungsaustausch zwischen den wichtigsten Denim-Stakeholdern und Fachleuten zu erleichtern. Ich habe den Plan, in Bangladesch eine Denim-Universität zu gründen, wenn die Expo genügend Gewinn erwirtschaftet, um sie zu etablieren.
Nachhaltigkeit ist seit Beginn eines der Hauptthemen der Messe. Gibt es in Bangladesch eine grüne Denim-Produktion?
Es ist ermutigend zu sehen, dass die Bekleidungsindustrie in Bangladesch auch im nachhaltigen Wirtschaften führend ist. Es gibt bereits 67 Bekleidungsfabriken in Bangladesch, die vom United States Green Building Council (USGBC) LEED-Zertifikate erhalten haben. Etwa 280 weitere haben sich registriert, um die Zertifizierung zu erhalten. Die am höchsten bewerteten LEED Platinum Denim Produktionsstätten befinden sich in Bangladesch. Die weltweit am höchsten bewertete Fabrik für LEED Platinum Denim Stoffe ist ebenfalls in Bangladesch, genauso die weltweit am höchsten bewertete LEED Platinum Denim Wäscherei. All diese Tatsachen zeigen, dass es in Bangladeschs Jeansindustrie in jüngster Zeit eine echte Revolution gegeben hat, was Nachhaltigkeit angeht.
Sie sprechen sehr leidenschaftlich über Ihre Arbeit und Ihr Ziel, Ihrem Land und seinen Menschen zu helfen. Was sagen Ihre Konkurrenten über Ihre Arbeitsweise? Ändern sie ihre Meinung?
Ich bin von Leidenschaft getrieben. Und meine Vision ist es, Bangladesch als das größte und verantwortungsvollste Sourcing Zentrum für Bekleidung und Denim zu etablieren. Deshalb versuche ich den Menschen zu zeigen, wie es möglich ist, Sicherheit zu gewährleisten, Nachhaltigkeit zu praktizieren und gleichzeitig erfolgreich im Geschäft zu sein. Ich glaube, Wissen ist hier der Schlüssel. Also gründete ich Bangladesh Apparel Exchange (BAE), um die Wissenslücke im Land zu überbrücken. Die BAE organisiert wir zweimal jährlich die Bangladesh Denim Expo.
Die Messe bereitet die lokalen Denim-Professionals auf den globalen Wettbewerb vor und schafft ein Bewusstsein für die Rechte und Pflichten der Arbeiterschaft. Im vergangenen Jahr startete die BAE in die erste Veranstaltung zum Thema nachhaltige Bekleidung mit dem Titel "Sustainable Apparel Forum (SAF)". Die BAE wird am 12. Februar 2018 in Dhaka den Bangladesh Fashionology Summit organisieren, bei dem wir die neuesten Technologien und Innovationen der Modewelt unter einem Dach vereinen wollen.
Gleichzeitig investieren westliche Marken in die Annäherung ihrer Produktion an den Verbraucher. Automatisierung soll das in Zukunft ermöglichen. Wie reagieren Sie darauf?
Zweifellos sind Automatisierung und Innovation der Schlüssel zum zukünftigen Markt. Geschwindigkeit wird den wirklichen Unterschied in der Zukunft machen. Zu diesem Zweck habe ich selbst ein Denim-Innovationszentrum eingerichtet. Ich habe bereits erwähnt, dass eine meiner bevorstehenden Initiativen der Bangladesh Fashionology Summit ist, der die Themen Innovation und Technologie in der Modewelt behandeln wird. Dies wird eine eintägige Konferenz sein, um über zukünftige Fabriken, Robotik, Technologien für Nachhaltigkeit und intelligente Wearables zu diskutieren. Ein Teil des Konferenzgeländes wird auch den neuesten Technologien gewidmet sein, um sie den Unternehmern näher zu bringen. Ich glaube, je mehr wir Gelegenheiten schaffen können, Wissen und Informationen zu teilen, desto besser werden unsere Fortschritte sein.
Die chinesische Modeindustrie steht vor dem Problem, neue Arbeitskräfte für die Bekleidungsindustrie zu finden. Die Arbeit als Näherin ist für die jüngere Generation weniger attraktiv als früher. Ist das eine Chance für Ihr Land?
Die Bekleidungsindustrie ist die älteste und eine sich ständig weiterentwickelnde Industrie der Welt. Alle entwickelten Länder hatten in einem Teil ihrer Geschichte die Phase der Textilherstellung. Aber als sie in technisch anspruchsvollere und High-Tech-Industrien wechselten, zog die Textilindustrie in weniger fortgeschrittene Volkswirtschaften um. In ähnlicher Weise wird die Bekleidungsindustrie in China schrittweise durch die Hi-Tech-Industrie ersetzt. China ist immer noch das größte Bekleidungs-Exportland der Welt und hat allein 38 Prozent des weltweiten Bekleidungsmarktes. Die Verlagerung der Bekleidungsindustrie in China ist eine Chance für Bangladesch, das zweitgrößte Bekleidungsexportland der Welt mit einem Weltmarktanteil von etwa sechs Prozent.
Die Bevölkerungsdemographie von China und Bangladesch ist jedoch nicht gleich. 76 Prozent unserer 160 Millionen Menschen sind jünger als 40 Jahre, und jedes Jahr schließen sich zwei Millionen Menschen unserer Erwerbsbevölkerung an. Auf der anderen Seite ist die chinesische Bevölkerung relativ alt, qualifizierter und gebildeter, was für High-Tech-Industrien geeignet ist. Bangladesch hätte also in der Zukunft für eine gewisse Zeit als Bekleidungsnation einen Vorteil. Wir können es uns aber auch nicht leisten, beim Export von Basic-Kleidung zu bleiben. Bis 2021 soll Bangladesch in ein Land mit mittlerem Einkommen eingestuft werden. Daher ist es für Bangladesch wichtig, sich auf die Wertschöpfung zu konzentrieren, eigene Produktinnovationen voranzubringen und sich in Richtung einer technisch versierten Industrie zu bewegen. Die gute Nachricht ist, dass Bangladesch bereits damit begonnen hat, wenn auch bisher noch im kleinen Maßstab.
Fotos: Mostafiz Uddin/ Denim Expert Ltd.