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Britische Luxushäuser ärgern sich über indirekte Auswirkungen des Brexit

Von Herve Dewintre

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Bis vor einem Jahr hatten englische Luxushäuser dem Brexit wenig Bedeutung beigemessen. Ikonische Marken und prestigeträchtige Einzelhändler waren überzeugt, dass Großbritannien und seine Hauptstadt trotz des bevorstehenden Austritts des Landes aus der Europäischen Union ein Magnet für wohlhabende Kunden aus der Golfregion, Russland oder Asien bleiben würden.

Die Fakten gaben ihnen Recht: In vier Jahren war der Markt für Luxusgüter in Großbritannien dank der Umsätze durch Touristen um 49 Prozent (48 Milliarden britische Pfund) gestiegen, und laut der jährlichen Studie der Gewerbeimmobilien-Beratungsfirma Knight Frank gab es in London 4.944 "Superreiche" mit einem Vermögen von jeweils mehr als 20 Millionen britischen Pfund. Bis 2023 könnten es in der britischen Hauptstadt fast 6.000 sein. Die Stadt lag vor Paris, Singapur und Tokio, was die Eröffnung von Luxusboutiquen angeht. Das war im Jahr 2019, also vor einer kleinen Ewigkeit.

Nun, verschärft durch die Pandemie und das mutierte Virus, wurde die britische Gelassenheit auf eine harte Probe gestellt. Künftige Zölle und mögliche Importquoten gaben Anlass zur Sorge. Auf beiden Seiten des Ärmelkanals kursierten alarmierende Zahlen: Walpole, eine Gruppierung der britischen Luxusindustrie, zeigte in einer Studie auf, dass Luxusmarken durch den Brexit bis zu 7,9 Milliarden Euro an jährlichen Exporten zu verlieren drohen, ein Fünftel ihrer Gesamtexporte. Auch Frankreich war darüber nicht glücklich: Die größte Arbeitgebervereiningung des Landes, Medef, schätzte, dass französische Exportunternehmen drei Milliarden Euro verlieren würden, wenn es zu einem No-Deal käme.

24. Dezember 2020: Kurz vor knapp verkündet der Präsident der Europäischen Kommission, dass eine Einigung mit dem Vereinigten Königreich erzielt wurde. Am 31. Dezember 2020 um Mitternacht wird das Recht der Europäischen Union in England nicht mehr gelten. Der 1993 abgeschaffte Zoll wird wieder eingeführt. Die City of London, Europas führender Finanzplatz, wird ab dem 1. Januar nicht mehr frei von Finanzbarrieren sein und ihre Finanzprodukte nicht mehr einfach so EU-weit verkaufen können. Die britische Zeitung Financial Times fällt in einer Meinungskolumne dieses vernichtende Urteil: „Es scheint fast sicher, dass der Brexit den Wohlstand und den Einfluss des Vereinigten Königreichs irreversibel schädigen wird. Aber erst jetzt werden wir das sehen.“ Eine wenig optimistische Einschätzung.

Das Ende des Tax-Free-Shoppings: Touristen geben künftig weniger aus

Die relative Gleichgültigkeit des Luxussektors beim Brexit ist plötzlich einem Spleen gewichen. Einerseits erkennt Großbritannien, dass es nicht in der Lage sein wird, sowohl von einer Rückkehr zur vollen Souveränität als auch vom freien Zugang zum europäischen Markt zu profitieren. Andererseits erkennt es, dass der Brexit indirekte Auswirkungen hat. Zu diesen Effekten gehört auch die Rückerstattung der Mehrwertsteuer. Finanzminister Rishi Sunak hat die radikale Entscheidung getroffen, zum 1. Januar das britische Programm für steuerfreies Einkaufen (Tax-Free-Shopping) abzuschaffen, das bisher für Reisende aus Nicht-EU-Ländern galt. Die steuerfreie Regelung war wichtig, weil der Standard-Mehrwertsteuersatz in Großbritannien 20 Prozent beträgt.

Konkret bedeutet das, dass das Einkaufen in London für europäische Touristen, aber auch für Touristen aus China, den USA oder dem Nahen Osten um 20 Prozent teurer wird. Alle sitzen im gleichen Boot, das gebietet die Fairness (nach den Regeln der Welthandelsorganisation). Um diese für internationale Besucher sehr attraktive Regelung weiterhin aufrechtzuerhalten, hätte die britische Regierung – wie es die Regeln der Welthandelsorganisation im Namen der Fairness vorsehen – die Steuerbefreiung für europäische Touristen gewähren sollen, was für die britischen Staatsfinanzen, die bereits durch die Coronavirus-Epidemie geschädigt wurden, zusätzliche 1,4 Milliarden britische Pfund bedeutet hätte.

Im Jahr 2019 betrug die Summe der an internationale Reisende erstatteten Mehrwertsteuer 577 Millionen Euro. Diejenigen, die die Steuerrückerstattung nach ihrem Aufenthalt in Großbritannien in Anspruch nahmen, waren hauptsächlich die sehr wohlhabenden Touristen, die ihre Rechnungen für Luxuskäufe einreichten. Es ist daher leicht zu verstehen, dass diese radikale Entscheidung nicht ohne Folgen für die englische Luxusgüterindustrie bleiben wird. Britische Luxusinstitutionen wie Harrods, Paul Smith, Burberry oder Value Retail, Besitzer des Luxus-Einkaufsdorfes Bicester, machen ihrem Ärger in der Presse offen Luft.

„Wenn Sie ein Passagier sind, der in Heathrow umsteigt, welchen Anreiz werden Sie nächstes Jahr haben, eine Rolex zu kaufen, wenn Sie wissen, dass Sie nach Paris, Prag oder Mailand fahren können, um sie dort billiger zu kaufen?“, fragt Cameron Gray, Generalsekretär des UK Travel Retail Forum, zitiert von BMFTV. Julie Brown, die Geschäftsführerin von Burberry, sagte im Guardian, dass ausländische Touristen, die die Hälfte des Umsatzes der Marke ausmachen, wahrscheinlich in Europa einkaufen gehen werden. Ein ebenfalls von The Guardian zitierter Bericht des Center for Economics Research schätzt, dass die Abschaffung der Steuerbefreiung zu einem Rückgang der außereuropäischen Besucher in England um sieben Prozent führen wird, was 1,2 Millionen Menschen entspricht, und zum Verlust von 41.000 Arbeitsplätzen im Land. Die Zahlen sprechen für sich: Chinesische Besucher werden sicherlich weiterhin die schöne Stadt London besuchen, aber weil sie zählen können, werden sie ihre Einkäufe nun in Paris tätigen, wo sie ab dem 1. Januar von einer Mehrwertsteuerrückerstattung ab 100 Euro Einkauf profitieren können, im Vergleich zu 170 Euro vorher.

Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Bild: Burberry

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