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Der Wert der Mode: Ultra Fast Fashion, Deinfluencing und das Recht auf Mode

Von Julia Garel

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Fashion Forum, 1. Gespräch. Gäste: Adrian Kammarti, Clara Monzali, Mélody Thomas, Saveria Mendella. Bild: FashionUnited

„Der Wert der Mode in einer Welt in Bewegung“ – so lautete das Motto des "Forum de la Mode" im Palais de Tokyo in Paris. Branchenexpert:innen und Vordenker:innen versammelten sich vergangene Woche, um die Bedeutung der Mode in drei Diskussionsrunden zu erforschen. Der erste Talk befasste sich mit dem „symbolischen und immateriellen Wert der Mode“, der Zweite fragte nach dem „intrinsischen Wert der Mode“ sowie dem Thema Heritage und Vermächtnis, während der Letzte das Thema der „Neubewertung der Mode“ beleuchtete.

Mode, die Einfluss nimmt

„Ich kann Ihnen den Wert der Mode nennen: es sind fünf Euro, der Preis eines T-Shirts auf Shein“, sagte Yann Rivoallan, Präsident der Fédération du Prêt à Porter Féminin (FPPF), in seinen einleitenden Worten.  „Es sind auch, ganz einfach, fünf Millionen. Fünf Millionen Menschen, die jeden Tag auf Vinted gehen. Es können auch 500 Millionen sein. 500 Millionen gut erhaltene Kleidungsstücke, die jedes Jahr nach Afrika transportiert werden. Oder es können auch 50 Milliarden sein, die Anzahl der Videos, die auf TikTok sind und über Shein sprechen. All diese Zahlen sind Zahlen über die Mode, in ihrer Digitalisierung, in ihrem Image, in ihrem Vertrieb.“

Xavier Romatet, Generaldirektor des Institut Français de la Mode (IFM), ergänzte diese Zahlen mit Worten: „Wir sprechen von etwa 150 Milliarden Euro Umsatz der Luxusgüterindustrie in Frankreich. Das sind 2,7 Prozent des französischen BIP, und das bedeutet, dass die Luxusgüterindustrie in Frankreich mehr ausmacht als die Automobil- und die Luftfahrtindustrie zusammen. Wir sprechen also von einem Wirtschaftssektor, der absolut bedeutend ist.“

Der Manager erinnerte auch daran, dass die Modebranche den zweitgrößten Beitrag Frankreichs zum Export leistet: 80 Prozent des Umsatzes der 50 größten Luxusunternehmen werden exportiert. „Es ist ein Schwergewicht der französischen Wirtschaft, was uns eine wichtige Dimension verleiht, um auf die absolut notwendigen Entwicklungen Einfluss nehmen zu können“, erklärt er.

„Das Volumen der Mode-, Textil- und Bekleidungsprodukte nimmt erstmals ab“

Xavier Romatet, Generaldirektor des Institut Français de la Mode (IFM)

Die Modebranche befindet sich aber auch in einer Krise. Die Textil- und Bekleidungsbranche setzt jährlich etwa 30 Milliarden Euro um, und diese Entwicklung ist rückläufig. „Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht", erklärt der Direktor des IFM. Schlecht für die Branche, aber gut in Bezug auf die (Umwelt-)Problematik der Überproduktion. Das Volumen der Mode-, Textil- und Bekleidungsprodukte nimmt erstmals ab, und gleichzeitig nimmt leider auch der Wert der verkauften Produkte ab.“

Heute ist die Modebranche in Frankreich von einer Sanduhr Silhouette geprägt. Auf der einen Seite die Entwicklung von Premiummarken mit einer Luxusindustrie, der es extrem gut geht. Auf der anderen Seite die Ultra-Fast-Fashion, die von Preisdruck und einem miserablen Preis-Leistungs-Verhältnis getrieben wird und eine extrem hohe Wachstumsrate aufweist. Dazwischen: der Zusammenbruch des Mittelstands.

„2023 haben wir die Umsätze mit Mode, die wir Covid hatten, noch nicht wieder erreicht. Und ich denke, wir werden sie auch nie wieder erreichen“, bemerkte er.

Die Zukunft der Mode

Wenn es um die Zukunft der Mode geht, kommt wenig überraschend das Thema Künstliche Intelligenz (KI) auf den Tisch. „Mit der KI hat sich alles verändert, und außerdem ist das erst der Anfang“, versichert der Präsident der FPPF. „Ich glaube, wir haben bisher erst den Anfang erlebt. Die Künstliche Intelligenz, die jetzt kommt, wird alles umkrempeln“.

Nach Ansicht des Geschäftsführers „müssen wir auch bei der Innovation weitergehen, zum Beispiel beim Tracking.“ Er erklärte, dass man sehen und messen kann, wo die Baumwolle wächst, wer sie herstellt und wo sie verkauft wird. „Mit dieser Rückverfolgbarkeit arbeitet man an Nachhaltigkeit. Denn man weiß, wo eine Sache herkommt, man weiß, wie sie hergestellt wurde. Dies ist bereits möglich. Man kann auch messen, was danach kommt: Der Wert der Mode, wenn man sie auf Vinted verkauft. Aber man kann auch messen, ob es in der ersten, zweiten, dritten, zehnten Hand verkauft wird, und so auch eine Preisstaffelung erstellen, die auf der Grundlage all dieser Verkaufsmomente erfolgen kann. Und das schafft den Wert der Mode, weil man es schafft, klare Parameter zu haben.“

Konsumverhalten

Die gesellschaftlichen Themen, die heute die Mode formen, wurden natürlich auch bei der sechsten Ausgabe des "Forum de la Mode" weitergedacht. Der Mangel an Inklusivität, die Verantwortung für die Umwelt oder auch die Produktionsbedingungen stehen oft im Mittelpunkt der Kritik an der Branche.

„Heute befinden wir uns in einem Wirtschaftssystem der Werte. Wir haben es mit neuen Generationen zu tun, für die der Kauf eines Kleidungsstücks bedeutet, einen Wert zu kaufen, der dem entspricht, wer sie oder er ist,“ so Mélody Thomas, Fashion Director bei Marie-Claire. Durch die Fragen der Repräsentativität und der Inklusion, so die Expertin, „erhält die Kleidung einen symbolischen Wert, der über ihre eigentliche Zusammensetzung hinausgeht, weil sie von Menschen getragen wird, die sich bewusst sind, wer sie sind, und die Lust haben, dies zu unterstreichen.“

Aber abgesehen davon stellt sich ein großes Problem in Bezug auf das Verhalten der Konsument:innen: das Dilemma des gleichzeitigen Daseins als Bürger:in und als Verbraucher:in. Laut Xavier Romatet „beansprucht der oder die Bürger:in im Bereich des umweltbewussten Konsums starke neue Anstrengungen seitens der Regierung. Aber es wird vergessen, dass die wichtigste Stimme nicht die der Wahlurne ist, sondern die des Geldes, das es den Menschen jeden Tag ermöglicht, sich umweltbewusst zu verhalten, und die nicht genutzt wird. Wir sehen, wie sich die Zahlen der Ultra-Fast-Fashion enorm entwickeln.“

Clara Monzali, Mitbegründerin der Agentur Paye ton influence, bezeugt diesen Trend zum Überkonsum. „In den sozialen Netzwerken sieht man, dass die vorherrschende Fantasiewelt und die Narrative, die größtenteils vermittelt werden, vom übermäßigen Konsum geprägt sind. Kaufen, um zu existieren, also kaufen ohne Gewissen.“

Trotzdem stellt die Mitbegründerin auch ein schwaches positives Zeichen fest: das Aufkommen neuer Trends, die auf regenerative Geschäftsmodelle wie Upcycling oder Secondhand verweisen. Schließlich findet sie, dass in den sozialen Netzwerken eines „nicht mehr geht“: die Anregung zu übermäßigem Konsum durch aggressives Marketing, wie täglich neue Gutscheincodes. „Das sind Dinge, die nerven und das Publikum auslaugen“, erklärt sie.

Ihrer Meinung nach können Influencer:innen „eine echte Lösung, ein phänomenaler Hebel für den Übergang zur Nachhaltigkeit“ sein, da es sich nur um „Persönlichkeiten handelt, die bei den Gemeinschaften Vertrauen genießen, man spricht von einer parasozialen Beziehung (...) Sie haben also die Möglichkeit, Botschaften zu vermitteln und die Vorstellungswelt zu bewegen.“ Sie nennt sie als Beispiel einen neuen Trend, der auf dem sozialen Netzwerk TikTok an Beliebtheit gewinnt: das Deinfluencing. Dabei handelt es sich um einen Trend, der dazu auffordert, nicht zu konsumieren. Die Aussage: „Kaufen Sie dieses Produkt nicht.“

„Das Recht auf Mode“

Vor dem Ende der Gesprächsrunde weist Saveria Mandella, Modekritikerin und Doktorandin an dem École des hautes études en sciences sociales, auf einen Punkt hin, der in den Diskursen über den Zustand der Mode oft vergessen wird, der Zugang zur Mode. „Um den Wert der Mode zu verstehen, muss man ein gewisses Budget haben, und das ist nicht bei jedem der Fall. Und dann ist da noch der physische Zugang. Wir leben in einer Zeit, in der viele Dinge entmaterialisiert sind, insbesondere Kleidung. Junge Menschen kommen heute mit Louis Vuitton-Kleidung über Fotos in Kontakt, über den Influencer, dem sie folgen. Sie erleben nicht direkt am eigenen Körper. Und ich denke, das ist auch ein Hemmnis in der Modebranche. Um zu erkennen, dass ein Modeartikel qualitativ hochwertig ist, muss man ihn am eigenen Leib erfahren können, und das ist nicht jedem in gleicher Weise möglich.“

„Das Luxusmodeobjekt ist nur für wenige Menschen zugänglich”, bestätigt auch Adrian Kammarti, Professor für Modegeschichte und -theorie am Institut Français de la Mode. „Das Positive an der Fast Fashion ist, dass sie [Mode] durch das Kopieren für die meisten Menschen zugänglich gemacht hat. Man muss aufpassen, dass man hier nicht verächtlich wird. Natürlich kann man Fast Fashion wegen der Produktionsbedingungen kritisieren. Was sie jedoch meiner Meinung nach ermöglicht hat, ist das, was ich als Recht auf Mode bezeichne. Wir befinden uns in einem ökologisch und sozial angespannten Kontext, dennoch gibt es bestimmte Errungenschaften, die nicht unbedingt infrage zu stellen sind, insbesondere dieses Recht und diese Zugänglichkeit zum Modeprodukt, zwar auf eine abgewertete Art und Weise, aber dennoch.“

Das "Forum de la Mode" wurde vom Comité stratégie de la filière Mode et Luxe, der Fédération de Haute Couture et de la Mode, der Fédération Française du prêt-à-porter féminin und in Zusammenarbeit mit dem Défi de Francéclat und dem Comité Professionnel de Développement Économique de la filière Cuir, Chaussure, Maroquinerie, Gantanterie organisiert.

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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