Europäische Fashion Alliance fordert in Brüssel Kompromisse bei der anstehenden Ökodesign-Verordnung
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Erstmals tagte die European Fashion Alliance, eine Vereinigung der europäischen Modeverbände, in Brüssel. Ziel war es, die Position der Modeindustrie zur anstehenden europäischen Gesetzgebung darzustellen. Dabei ging es vor allem um die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte und der damit verbundenen Verpflichtung zu einem Digitalen Produktpass.
Im Zentrum der Brüsseler Veranstaltung stand die Diskussion um die neuen Gesetzesinitiativen der EU, die sich in vielfältiger Weise auf die Industrie und ihre Prozesse auswirken werden. Dass diese Transformation herausfordernd ist, räumte EU-Kommissar Thierry Breton ein: „Wir sind hier, um Sie an diesem Wendepunkt Ihres Sektors zu unterstützen. Wenn es eine Branche gibt, die stark in die Lieferketten eingebunden ist, dann ist es die Modebranche. Wir setzen uns dafür ein, dass alle Textilien, die auf den europäischen Markt kommen, langlebig, recycelbar und respektvoll sind, und haben mehrere EU-Initiativen auf den Weg gebracht. Erstens die Ökodesign-Verordnung zur Förderung von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Zweitens, die digitale Kennzeichnung mit einem digitalen Produktpass. Drittens die Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie, die den Textilabfall reduzieren wird.“ Die Textilstrategie könne aber nur gelingen, so Breton weiter, „wenn wir sie mit dem gesamten Ökosystem in verbindliche und umsetzbare Maßnahmen umsetzen können.“
Kreativität muss gewahrt bleiben
Zentrales Thema der Veranstaltung war die Positionierung der European Fashion Alliance zur anstehenden europäischen Gesetzgebung der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (ESPR) und der damit verbundenen Verpflichtung zu einem Digitalen Produktpass (DPP). Dabei warnte die EFA ausdrücklich davor, Anforderungen zu beschließen, „die die handwerkliche und künstlerische Tradition und/oder die Wettbewerbsfähigkeit der Branche sowie das gesamte Ökosystem der europäischen Modeherstellung, das weitgehend von Designer:innen und hochwertigen Marken abhängig ist, beeinträchtigen würden“, so die EFA in ihrem Positionspapier.
Langlebigkeit hängt auch mit dem Verbraucherverhalten zusammen
Wichtiger Bestandteil der Ökodesign-Verordnung ist die Forderung nach einer langen Lebensdauer der Produkte. „Die Dauerhaftigkeit ist zwar ein Schlüsselaspekt für die Nachhaltigkeit, aber sie muss ganzheitlich betrachtet werden, wobei neue Maßstäbe zu ihrer Messung herangezogen werden müssen, die sowohl die intrinsischen als auch extrinsischen Einflüsse berücksichtigen“, so die EFA weiter. Denn Langlebigkeit sei auch das Ergebnis des Verbraucherverhaltens und der Sorgfalt gegenüber dem Produkt. Daher fordert die EFA einen stärkeren Fokus auf Wiederverwendbarkeit und Reparierbarkeit der Produkte, statt nur auf die funktionale Robustheit der Produkte abzuzielen.
Recycling: zu wenig Recyclingfasern und schlechtere Qualität
Die Forderung nach einem hohen Anteil von Recyclingfasern widerspreche derzeit noch den Möglichkeiten, die der Markt tatsächlich biete. So mangele es nach wie vor an der Verfügbarkeit als auch an der Qualität solcher Fasern.
Beim mechanischen Recycling werde die Faserlänge beeinträchtigt, was zu Qualitätsverlusten bei der Wiederverarbeitung führe und – im Fall von synthetischen Fasern - die vermehrte Freisetzung von Microplastik nach sich ziehen könne. Dies mache die Mischung mit weiteren Fasern nötig, was wiederum die Recyclingfähigkeit beeinträchtigen könne. „Die Anforderung, recyceltes Material zu verwenden, kann daher zur Herstellung von mehr Fasern oder Materialmischungen führen, die eine geringere Recyclingfähigkeit aufweisen“, so die EFA. Sie fordert daher die stärkere Berücksichtigung von Rohstoffen, die geringere ökologische Auswirkungen haben, statt einen Fokus auf Recyclingmaterial.
Mehr Flexibilität bei der Vernichtung von Ware
Die EFA fordert zudem mehr Flexibilität für Hersteller, um Alternativen zur Zerstörung von Ware - wie beispielsweise Wiederverwendung, Upcycling und Recycling – wählen zu können, die den Merkmalen ihrer Produkte am besten entsprechen. Alle diesbezüglichen Maßnahmen sollten nach einer angemessenen sektorspezifischen Folgenabschätzung getroffen werden.
Gerade für kreative Modeprodukte sei das Recycling – was ja die Zerstörung implementiert -„eine Schlüsselaktivität zur Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft und manchmal die wichtigste oder einzige verfügbare Abfallbehandlung für unverkaufte Produkte“, so die EFA in ihrem Positionspapier. Ein Weiterverkauf sei aufgrund von Risiken wie der Verletzung des geistigen Eigentums und des nicht genehmigten Weiterverkaufs nicht immer eine praktikable Alternative zur Zerstörung. Das gelte beispielsweise auch für Musterkollektionen. Pascal Morand, Vorstandsmitglied der European Fashion Alliance und geschäftsführender Präsident der Fédération de la Haute Couture et de la Mode, betont: „Die EFA unterstützt das Verbot der Vernichtung von unverkauften Waren, aber dies erfordert eine klare Definition, dass diese Waren für den Verbrauch und den Verkauf geeignet sind. Außerdem können Upcycling und Recycling im Allgemeinen nicht als bloße Zerstörung betrachtet werden, da sie auch tugendhafte Praktiken umfassen. Sie sind Teil der Mentalität der Kreislaufwirtschaft und der Geschäftsmodelle innovativer und kreativer Designer:innen.“
Daher setzt sich die EFA nachdrücklich für die Entwicklung neuer Praktiken wie Wiederaufbereitung und Upcycling ein, die unverkauften Produkten ein zweites Leben geben und gleichzeitig der Kreativität freien Lauf lassen und wendet sich gegen ein Verbot des Recyclings von diesen Produkten.
Wiederverwertbarkeit steckt noch in den Kinderschuhen
Die Menge an Alttextilien, die in der Europäischen Union eingesammelt werden können, übersteigt die aktuellen Möglichkeiten zu deren Weiterverarbeitung um ein Vielfaches. Zudem sei das Textilrecycling heute noch nicht in der Lage, die Textilien effizient zu sortieren und zu demontieren. Diese Hindernisse müssen bei der Festlegung von Anforderungen in diesem Bereich berücksichtigt werden, so die EFA.
Umweltverträglichkeit produktspezifisch berechnen
Die Bewertung der Umweltauswirkungen von Produkten erfordert laut EFA außerdem harmonisierte und produktspezifische Berechnungsmethoden, die auf einem Life-Cycle-Assessment-Ansatz beruhen und nur so eine vergleichbare und zuverlässige Kommunikation ermöglichen könnten. „Dies kommt sowohl den Verbrauchern als auch den Unternehmen des grünen Übergangs zugute, vorausgesetzt, die Umweltdatenbanken sind granular und für die Wirtschaftsakteure zugänglich genug“, schreibt die EFA weiter und plädiert für die Berücksichtigung von Kompromissen zwischen diesen Ökodesign-Anforderungen, „um Nachhaltigkeit auf umfassende und praktische, aber dennoch ehrgeizige Weise zu erreichen“.
Digitaler Produktpass: Warnung vor zu viel administrativem Aufwand
Im Rahmen der Ökodesign-Verordnung wird von der EU zudem die Erstellung eines digitalen Produktpasses gefordert. Hierzu merkt die EFA an, dass sie die Bereitstellung relevanter, genauer und verlässlicher Informationen für die Verbraucher:innen sowie die Digitalisierung dieser Informationen im einem digitalen Produktpass befürworte. Sie warnt jedoch nachdrücklich vor jeder Maßnahme, die einen unverhältnismäßigen administrativen und technologischen Aufwand für Unternehmen und insbesondere für KMU mit sich bringen würde und die insbesondere die Herausforderungen im Zusammenhang mit der langen und multidimensionalen Lieferkette von Textilien außer Acht lassen würde.
Aufruf zur Beteiligung an der Umfrage "Status of European Fashion"
Die European Fashion Alliance kündigte bei dem Runden Tisch auch die erste europäische Umfrage "Status of European Fashion" an. Die Umfrage dient als Grundlage für einen Branchenbericht, der im Herbst 2023 auf der nächsten EFA-Konferenz vorgestellt werden soll, zu der Entscheidungsträger der europäischen Modeindustrie und EU-Politiker eingeladen werden. „Mit unserer europaweiten Umfrage, die ab dem 15. Juni auf europeanfashionalliance.org freigeschaltet wird, werden wir den aktuellen Wissensstand zu anstehenden europäischen Gesetzesvorschlägen und Richtlinien sowie den Nachhaltigkeitsstatus von Marken erfassen. Nicht nur Zahlen und Fakten, sondern auch die Erfahrungen der Modeindustrie sind für uns von großer Bedeutung, da dies der EFA ermöglicht, konkrete und messbare Handlungsaufforderungen vorzuschlagen", sagt Scott Lipinski, Vorsitzender der European Fashion Alliance und Geschäftsführer des Fashion Council Germany.
Die European Fashion Alliance (EFA) wurde 2022 als erste länderübergreifende Allianz europäischer Modeverbände gegründet. Ihr Ziel ist es, der europäischen Modebranche im Gesetzgebungsprozess der EU eine kollektive Stimme zu geben und den geforderten Transformationsprozess fachkundig zu begleiten und zu beschleunigen.