Europäisches Start-up bietet maßgefertigte Hemden für den indischen Markt
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1,4 Milliarden Menschen, eine wachsende Mittelschicht mit steigendem verfügbarem Einkommen. Indien, die größte Demokratie der Welt, lockt viele Investor:innen angesichts ihres großen Absatzmarktes, auch im Bereich Bekleidung. Doch ist vieles unorganisiert, die Infrastruktur lässt einiges zu wünschen übrig, und auch die kleinsten Anliegen brauchen oft ihre Zeit…
The Shirt Dandy ist ein Start-up, das den Sprung gewagt hat - das österreichische Unternehmen stellt Maßhemden für Männer in Indien her. Ein gewagtes Unterfangen oder ein klar kalkuliertes Risiko mit Erfolgschance? FashionUnited sprach mit Thomas Hebenstreit, Gründer von The Shirt Dandy, über die Idee hinter dem Start-up und die Herausforderungen und Chancen des indischen Markts.
Herr Hebenstreit, in Indien, dem Land der Maßanfertigung und schnellen Änderungen, Männern Maßhemden verkaufen zu wollen - ist das nicht, wie Kühlschränke in der Arktis anzubieten?
Ja, auf den ersten Blick vielleicht. Und ich muss zugeben, dass wir anfangs durchaus das traditionellere Geschäftsmodell geplant hatten: in Indien produzieren und dann in Deutschland beziehungsweise Europa verkaufen. Aber die Lieferkette ist lang und damit nicht wirklich nachhaltig. Auch gestaltete sich die Logistik schwierig.
Und da dachten Sie sich, warum nicht gleich in Indien verkaufen?
So in etwa. Indien hat eine hohe Bevölkerungsdichte und eine hohe Wachstumsrate von fast 9 Prozent. Zudem steigt die Kaufkraft. Diese Kombination findet man nicht überall.
Aber trotzdem ist Indien kein leichter Markt, man muss ihn kennen. Wie sind Sie gerade auf Indien gekommen?
Ich kannte das Land. Ich komme aus der Wirtschaftsecke, aus dem Management und Finance und habe 2022 für einige Zeit in Delhi gelebt. Jetzt hat The Shirt Dandy in Gurgaon bei Delhi seinen Unternehmenssitz und beschäftigt dort sieben Mitarbeitende.
Und wie funktioniert The Shirt Dandy genau, die Bestellung?
Man kann über die Website unsere Fachkraft nach Hause bestellen, die dann in ungefähr 20 Minuten die Maße aufnimmt. Der Kunde kann sich dann auch den Stoff aussuchen und sich beraten lassen. Das fertige Hemd wird dann innerhalb von 7-10 Tagen geliefert.
Das ist ja ganz schön schnell.
Ja, weil mehrere Mitarbeiter:innen in einem Prozess mit verschiedenen Schritten an einem Hemd arbeiten.
Und wenn das fertige Hemd doch nicht ganz genau passt?
Sollte das erste Hemd nicht passen, kann man ganz schnell Änderungen anfertigen lassen; bei kleineren Änderungen sofort oder sonst innerhalb von ein paar Tagen. Das war auch ein Grund, warum wir uns gegen den europäischen Markt entschieden haben - in Österreich muss man zum Beispiel drei Monate auf eine solche Änderung warten, das ist einfach zu lang. Zudem ist das Personal, dass man für das persönliche Abmessen bräuchte, teuer.
Bei wiederkehrenden Kunden ist es noch einfacher - sie können per Kundennummer auf ihre gespeicherten Daten zurückgreifen und die gewünschten Einzelheiten für ihr neues Hemd eingeben.
Und wenn ein Kunde lieber kontaktlos bestellen möchte?
Gut, dass Sie fragen - das wird ab Ende Oktober mit dem Relaunch unserer Website möglich sein. Kunden können dann ein Foto oder Fotos machen und über die WebApp hochladen. Keines dieser Fotos wird übrigens gespeichert.
Mittels unseres ebenfalls im Oktober eingeführten ersten 3D-Konfigurators in Zusammenarbeit mit dem italienischen Unternehmen Reda werden dann die genauen Maße erstellt und der Prozess geht so weiter wie beim persönlichen Maßnehmen.
Was kostet so ein maßgefertigtes Hemd?
The Shirt Dandy ist sehr konkurrenzfähig, was die Preise angeht. Das geht ab 3.500 Rupien (etwa 40 Euro) los, bis zu 12.000 Rupien (rund 137 Euro), je nach Personalisierung, also etwa mit Monogramm, einem bestimmten Kragen, Manschetten, und Ähnlichem.
Diese Individualisierung ist auch ein Anreiz, schließlich will keiner so sein wie jeder andere. Der Trend zu steigender Individualisierung trifft gerade auf den technischen Fortschritt, der dies möglich macht. Für uns ist das also der ideale Zeitpunkt, auf den Markt zu gehen.
Stichwort Konkurrenz - indische Männer sind sehr anspruchsvoll, wenn es um Hemden geht, ob fürs Büro, die Freizeit oder feierliche Anlässe. Etablierte indische Marken wie Aditya Birlas Louis Philippe und Allen Solly sind geschätzt, aber auch die von Arvind Lifestyle Brands vertriebene US-Marke Arrow.
Ja, das stimmt, aber wir bieten ein Premium-Produkt zu einem wettbewerbsfähigen Preis an und zudem lebenslang kostenlose Änderungen. Also wenn jemand größer wird, Gewicht verliert oder zulegt.
Das wird nicht überall geboten, da haben Sie recht. Stichwort Größen - arbeiten Sie mit bestimmten Größenvorgaben?
Nein, es ist alles made-to-measure, es gibt also keine Größenvorlagen.
Was demokratischer ist und in den Bereich Body Positivity geht - niemand muss sich in limitierte Größenschablonen von XS bis XL zwängen.
Glauben Sie, dass es bald Nachahmer geben könnte mit diesem Konzept, also mit europäischem Know-how für den indischen Markt produzieren?
Das ist nicht so einfach - die Arbeitsweise in Indien ist schon ganz anders. Man muss sie kennen, muss schon mal hier gewesen sein. Ganz wichtig auch: Man muss die richtigen Partner:innen vor Ort haben.
Stichwort Partner:innen: Wo lassen Sie herstellen?
Wir produzieren intern in einer Fabrik in Bangalore. Ich war vor Ort und habe mir alles angeschaut. Die ist schon sehr fortschrittlich, besser als üblich. Zum Beispiel wird fast der gesamte Energiebedarf durch Solarenergie gedeckt, die von Solarzellen auf dem Dach der Fabrik stammt. Außerdem befindet sich die gesamte Wertschöpfungskette in Indien, das war uns sehr wichtig, auch das Rohmaterial.
Was benutzen Sie als Rohmaterial für die Hemden, Baumwolle?
Baumwolle aus Indien, aber auch Tencel von Lenzing und Bambus, der sehr schnell nachwächst. Wir achten auf umweltschonende Stoffe und vermeiden bewusst Polyestermischungen. Wir legen viel Wert darauf, lokal zu sourcen, lokal zu produzieren und lokal zu verkaufen.
Das hört sich nachhaltig an, ebenso wie die Herstellung auf Bestellung.
Ja genau, wir verfolgen ein reines Made-to-Order-Modell, in dem Sinn gibt es also kein Inventar, da Kunden nur kaufen, wenn sie etwas brauchen. Made-to-Measure-Produkte passen zudem besser, so dass Kunden allgemein weniger Hemden (ver)brauchen. Zudem ist jedes unserer Produkte mit der Information ausgestattet, welcher Stoff verwendet wurde, um welche Zusammensetzung es sich handelt, um welche Farbe. Dies macht es bei der späteren Verwertung leichter.
Kunden haben zudem die Möglichkeit, ihre Altkleidung zurückzugeben und erhalten dafür einen Rabatt von 5 Prozent auf ihre nächsten Bestellungen.
Und wie können potenzielle Kunden zu The Shirt Dandy kommen?
Wir machen Werbung in den sozialen Medien - auf Instagram und Facebook etwa und steuern unsere Zielgruppen sehr gezielt an.
Zudem planen wir einen ersten Laden in Gurgaon. Wir sind aber noch in der Evaluierungsphase und denken, dass dies im ersten Halbjahr 2024 Wirklichkeit wird.
Was bringt die Zukunft sonst für The Shirt Dandy, Blusen für Damen vielleicht?
Ja, Blusen für Damen sind nicht ausgeschlossen, gerade auch im Bereich Shirts/Blusen von Unternehmen als „Employee Benefit“ an alle Mitarbeitende.
Wir planen auch, uns in Kürze vollständig zertifizieren zu lassen, um unsere Bemühungen in den Bereichen Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und faire Arbeitsbedingungen offiziell zu belegen.
Was das Angebot angeht, denken wir, dass wir uns innerhalb von 24 Monaten weiterentwickeln werden - etwa auf Chinos und Polos ausweiten, auch festlichere Kleidung, aber nichts Traditionelles. Bei den Farben wird Altbewährtes beibehalten - also bei den Hemden Weiß, Blau und Pink.
Zum Schluß noch die Frage, mit der man normalerweise so ein Gespräch beginnt - was veranlasste Sie, The Shirt Dandy zu starten?
The Shirt Dandy ist aus einem persönlichen Bedürfnis heraus entstanden — drei Stunden nach einem guten und gut sitzenden Hemd suchen ist einfach nicht drin, da wollten wir Abhilfe schaffen.