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Gore-Tex: Die neue Membran und was Greenpeace damit zu tun hat

Von Regina Henkel

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Business |Hintergrund

Der neue adidas Terrex Free Hiker Boot mit der neuen ePE Membran von Gore-Tex. Foto: adidas

Wenn zum Herbst die ersten Produkte mit der neuen, nachhaltigeren ePE Membran von Gore-Tex auf den Markt kommen, haben der Weltmarktführer für wasserdichte Funktionsstoffe und mit ihm die gesamte Outdoor-Branche eine echte Kehrtwende vollzogen. Oder?

PTFE ist der Grundbaustein von Gore-Tex

Um zu verstehen, dass die Entwicklung dieser neuen, nachhaltigeren ePE Membran eine Revolution für das US-amerikanische Unternehmen W.L. Gore & Associates darstellt, muss man etwas zurückgehen. Die Geschichte von Gore-Tex beginnt in den 50er Jahren, als Bill Gore seinen Job bei dem Chemieunternehmen DuPont kündigt, um sich ganz dem Polymer Polytetrafluorethylen, kurz PTFE, zu widmen, an dessen neue Möglichkeiten er fest glaubte. Aber erst sein Sohn, Bob Gore, machte 1969 die entscheidende Entdeckung. Er stellte zufällig fest, dass sich PTFE strecken oder „expandieren“ lässt. Das war der Anfang von Gore-Tex. Bis man jedoch mit dem mikroporösen, wasserabweisenden und dampfdurchlässigen Material tatsächlich Bekleidungsstoffe laminierte und diese verkaufte, dauerte es weitere sieben Jahre. Erst 1976 kam die erste Regenjacke aus Gore-Tex auf den Markt.

Bis heute ist und war PTFE der wichtigste Rohstoff von Gore-Tex und damit der Grundbaustein für die globale Erfolgsgeschichte dieses Unternehmens.

Gore-Tex: Godfather der modernen Funktionsbekleidung

Die Bedeutung von Gore-Tex für den gesamten Outdoor- und Sportmarkt ist kaum zu überschätzen. Ohne Funktions-Spezialisten wie Gore-Tex hätte es in der Bekleidungsbranche das Segment Outdoor und den Outdoor-Boom der letzten Jahre vermutlich nie gegeben. Keine performance-orientierte Outdoormarke kommt mehr an der Eigenschaft „wasserdicht“ vorbei, und auch Modemarken integrieren immer mehr Funktion in ihre Outerwear.

Was W.L. Gore & Associates damals gelang, revolutionierte den Bekleidungsmarkt. Auch deshalb gehört Gore-Tex zu dem erlesenen kleinen Kreis an Marken, deren Namen stellvertretend für eine ganze Kategorie stehen: Wer eine wasserdichte Jacke will, fragt nach einer Gore-Tex Jacke. Dabei ist Gore lediglich eine „Ingredient Brand“, also nur Stoff-Lieferant und nicht der Hersteller der Jacke. Gore-Tex ist auch nicht der einzige Laminathersteller.

Grafik: Gore-Tex / W.L. Gore & Associates

Greenpeace klagt an: Outdoor-Branche zerstört die Natur

Diese starke Position geriet jedoch in den 2010er Jahren ins Wanken. Mit der „Detox my Fashion“-Kampagne startete Greenpeace 2011 einen Feldzug gegen die Verwendung gefährlicher Chemikalien in der Bekleidungsindustrie. Dabei spielte die Chemikaliengruppe der PFCs eine hervorgehobene Rolle, weil diese in der Umwelt nicht abgebaut werden können und inzwischen selbst in den entlegensten Regionen der Welt nachweisbar sind. Sie gelten als krebserregend und hormonell wirksam. Damit kommen wir zurück zu Gore: PFC werden als Hilfsmittel verwendet, um PTFE herzustellen. Außerdem wurden PFC benötigt, um Textilien wasserabweisend auszurüsten, was notwendig ist, damit laminierte Stoffe, wie die von Gore-Tex, dauerhaft wasserdicht und atmungsaktiv – also dampfdurchlässig – sind.

Die Outdoor-Branche zieht die Reißleine

Greenpeace entfachte ein Feuerwerk an Aktionen: Besorgniserregende Studien wurden veröffentlicht, Marken an den Pranger gestellt, Protestaktionen vor Geschäften organisiert, und auf der Sportartikelmesse Ispo wurden Vorträge und Pressekonferenzen veranstaltet, die die Outdoor-Branche anklagten, die Natur zu zerstören. Ausgerechnet die naturliebende Outdoor-Branche musste sich als größten Umweltsünder beschimpfen lassen. Der Druck auf die gesamte Branche war immens, und immer mehr Marken kamen zu dem Schluss, dass sie keine PFCs mehr verwenden wollen. Im Bereich der wasserabweisenden Ausrüstung (DWR) ist das heute weitgehend gelungen.

Auch für Gore war das ein Wendepunkt: 2017 verpflichtete sich die Fabrics-Sparte von W.L. Gore, bei den allgemeinen wetterfesten Laminaten bis Ende 2020, bei den Spezial-Laminaten bis Ende 2023 gefährliche PFC aufzugeben. Zudem würde Gore neue und umweltfreundlichere Verfahren entwickeln und öffentlich dokumentieren, dass während der gesamten Lebensdauer seiner Produkte keine schädlichen PFC in die Umwelt gelangen. All das verkündete Greenpeace in einer Presseerklärung mit der Überschrift: „Erfolg für die Umwelt - Gore gibt gefährliche Chemikalien auf / Größter Ausrüster von Outdoor-Kleidung wird Branche verändern“.

Die neue ePE Membran – Polyethylen statt PTFE

Bleibt die Frage: Was wurde aus PTFE, zu dessen Herstellung doch PFCs nötig sind? Gore hat sich tatsächlich auf die Suche nach einer Alternative zu PTFE gemacht! Die neue ePE Membran, die in diesem Herbst zum ersten Mal mit ausgewählten Partnern, wie beispielsweise Patagonia, auf den Markt kommt, besteht nicht mehr aus PTFE, sondern aus Polyethylen. Dabei steht das kleine „e“ im Namen ePE nicht etwa für ecological – was man leicht denken könnte – sondern für expandiert, also gestreckt. Gore, das all seine Membranen selbst herstellt, hat also einen Weg gefunden, Polyethylen ganz ähnlich zu verarbeiten wie PTFE, das ja auch expandiert wird. Aber: mit ePE gibt Gore den Status als „Erfinder“ auf. Denn Gore ist nicht der einzige Hersteller und auch nicht der Erfinder von gestreckten Polyethylen Membranen. Zweifelsohne hat Gore aber enormes Knowhow in all diesen Prozessen.

Die wasserdichte, mikroporöse ePE Membran von Gore-Tex. Foto: Gore-Tex / W.L. Gore & Associates

Verzicht auf PFCs

Aber inwiefern ist ePE nachhaltiger? Die neue ePE-Membran sowie die wasserabweisende Ausrüstung des Laminats sind frei von ökologisch bedenklichen PFC. Zudem reduziert die Membran den CO2-Fußabdruck der Stoffe. Ihr besseres Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht bedeutet, dass die Stoffe dünner und leichter werden können. Gleichzeitig wird weniger Material benötigt, was sich positiv auf die Ressourceneffizienz auswirkt. Dennoch ist ePE so haltbar wie die PTFE Membran. Alles andere wäre weder nachhaltig noch entspräche es dem Markenkern von Gore. Zudem will Gore bei den Oberstoffen der Laminate mehr auf recycelte Stoffe und neue, nachhaltigere Färbeprozesse wie Solution Dye setzen. Mehr Informationen zur Nachhaltigkeit von ePE gibt es allerdings noch nicht, beispielsweise zu Themen wie Recyclingfähigkeit oder Entsorgung.

Wieso „ökologisch bedenkliche PFC?“

Laut Greenpeace hält Gore mit der Entwicklung von ePE sein Versprechen ein. Die Ankündigung der ersten ePE-Produkte kommentiert Greenpeace im Oktober 2021 in einer Presseerklärung mit dem Titel: „Detox-Erfolg: Gore-Tex ohne gefährliche PFC“.

Wunderlich bleibt, dass Gore immer sehr darauf achtet, den Begriff „ökologisch bedenkliche PFC“ zu verwenden. Und hier scheiden sich die Geister. Denn Gore sagt nicht, dass es auf alle PFC verzichtet, nur auf die ökologisch bedenklichen. Das Thema ist tatsächlich komplex. Die Klasse der PFCs umfasst mehr als 5.000 chemische Stoffe, die wiederum eine enorme Bandbreite an Eigenschaften aufweisen. Das reicht von flüchtigen Stoffen, die in den letzten Jahren zu Recht in die Kritik geraten sind und inzwischen in den Lieferketten eliminiert werden, bis hin zu großen, stabilen Molekülen, zu denen letztlich auch PTFE gehört. Es scheint so, als wolle Gore mit ePE zwar ein PFC-freies Produkt anbieten, aber ohne alle PFC zu diskreditieren, zu denen PTFE offenbar noch gehört. Laut Gore-Definition sind die PFC hier aber nicht ökologisch bedenklich. Tatsache ist, dass über die Auswirkungen dieser Stoffe noch vieles ungewiss ist. Greenpeace unterstützt daher einen Vorschlag von fünf EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Deutschland, Niederlande, Norwegen und Schweden), alle PFC als Gruppe zu regulieren, während bereits der US-Bundesstaat Maine ein Verbot aller PFC erlassen hat.

Lässt Gore PTFE jetzt fallen?

Womit wir bei der letzten Frage sind: Was passiert denn jetzt mit PTFE? Stellt Gore nun all seine Prozesse um und setzt komplett auf ePE? Nein. ePE ist erstmal nichts weiter als ein weiteres Produkt im großen Gore-Tex Portfolio. PTFE-Membranen wird es weiterhin geben. Auch DWR-Ausrüstungen mit PFC, nämlich für Berufsbekleidung für beispielsweise Feuerwehr und Polizei, weil noch keine gleichwertigen Alternativen gefunden wurden.

Wenn im kommenden Herbst die ersten ausgewählten Outdoormarken (darunter Adidas, Arc’teryx, Dakine, Patagonia, Reusch, Salomon und Ziener) mit dem Verkauf von ePE-Produkten starten, hängt die weitere Entwicklung davon ab, wie die neue Membran angenommen wird. Das liegt dann ganz wesentlich in der Hand von Marken und Konsument:innen.

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