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„KI, KI wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Künstliche Intelligenz (KI) ist längst nicht mehr nur ein technisches Werkzeug. Sie wird zu einem festen Begleiter im Alltag vieler Konsument:innen und verändert damit die Beziehung zwischen Menschen und Marken grundlegend.

Laut der aktuellen Accenture-Studie „Consumer Pulse 2025“ vertrauen bereits heute rund 30 Prozent der aktiven Nutzer:innen KI-Tools, auch zur Einkaufs- und Stilberatung. Die Technologie hat das Potenzial, die Arbeit maßgeblich zu ergänzen beziehungsweise zu übernehmen, die in den letzten Jahren vor allem Influencer:innen, Suchmaschinen oder persönliche Empfehlungen geleistet haben.

KI wird zunehmend zum Personal Stylist, zur Vertrauensperson und zum emotionalen Ankerpunkt im Kaufprozess. Für die Modebranche bedeutet dies einen tiefgreifenden Wandel. Er betrifft nicht nur Kommunikation und Marketing, sondern die gesamte Wertschöpfungskette – von der digitalen Markenpositionierung über Sortimentsgestaltung und Preisstrategien bis hin zu stationären Einkaufserlebnissen.

Die Autor:innen

    Tobias Göbbel ist Head of Strategy & Consulting für Konsumgüter bei Accenture. Claudia Specht ist Beraterin im Bereich Strategy & Consulting für Konsumgüter und Handel bei Accenture.

KI wird zur neuen Influencerin und Einkaufsberaterin

Die Rolle klassischer Suchmaschinen verändert sich. Konsument:innen geben keine simplen Keywords mehr ein, sondern formulieren Fragen und erwarten umgehend personalisierte, kontextrelevante Antworten. Generative KI ersetzt die Suchmaschine hier als erste Anlaufstelle. Laut Studie hat bereits jede:r zweite aktive Nutzer:in eine Kaufentscheidung auf Basis von KI getroffen. Für Marken bedeutet das: Sichtbarkeit entsteht nicht mehr allein über SEO, sondern auch über Generative Engine Optimization (GEO). Entsprechend müssen Inhalte so gestaltet sein, dass sie von KI-Systemen erkannt, verstanden und weiterempfohlen werden. Dabei sind ein konsistenter Tonfall, eine emotionale Ansprache, korrekte Produktdaten und eine klare Markenidentität entscheidend.

Diese Entwicklung stellt die Branche vor eine zentrale Frage: Wie können Modemarken KI erfolgreich als Stilberatung und als Vertrauensperson etablieren? Die Antwort beginnt mit einem Perspektivwechsel. Konsument:innen sehen KI zunehmend nicht mehr nur als Werkzeug. 36 Prozent der aktiven Nutzer:innen bezeichnen die Technologie sogar als eine Art „guten Freund“. Diese emotionale Nähe eröffnet Marken neue Möglichkeiten, die Interaktion aktiv mitzugestalten. Dazu gehört, eigene Inhalte, Daten und Markenwerte gezielt in KI-Ökosysteme einzuspeisen, statt sich ausschließlich auf Modelle von Drittanbietern zu verlassen. Wer hier passiv bleibt, riskiert, in einem KI-gesteuerten Empfehlungsprozess unsichtbar zu werden.

Künstliche Intelligenz schafft emotionale Erlebnisse

Die emotionale Dimension ist ein zentraler Treiber für Kaufentscheidungen. Konsument:innen sind 1,7-mal eher bereit, einen höheren Preis zu zahlen, wenn sie sich emotional angesprochen fühlen. Generative KI kann hier gezielt eingesetzt werden, um personalisierte, empathische Erlebnisse zu schaffen. Mögliche Ansatzpunkte sind virtuelle Stilberatung, individuelle Outfit-Vorschläge oder immersive Shopping-Formate mit Augmented Reality, bei denen die KI passende Outfits vorschlägt, die Kund:innen virtuell anprobieren können. Die KI liefert dabei kontextbasierte Kombinationsideen und empfiehlt beispielsweise Outfits, die für bestimmte Situationen statistisch gesehen absolut angemessen sind.

Die Autoren: Tobias Göbbel und Claudia Specht bieten Beratung im Bereich Konsumgüter. Credits: Accenture

Für Konsument:innen ersetzt beziehungsweise. ergänzt die KI damit die Ur-Funktion von Marken, nämlich bei der Produktauswahl und Kaufentscheidung Orientierung und Sicherheit zu bieten. Dabei ist es wichtig, dass die KI nicht nur funktional, sondern auch menschlich wirkt. Nutzer:innen misstrauen Inhalten eher, wenn sie unpersönlich, generisch oder unauthentisch erscheinen. Die Entwicklung einer „KI-Persönlichkeit“, die zur Marke passt, wird somit zum strategischen Erfolgsfaktor.

Vorreiter:innen zeigen bereits, wie das funktionieren kann. L’Oréal investiert etwa in KI-basierte Beauty-Tech-Lösungen wie „Noli“, die hyperpersonalisierte Empfehlungen geben und eine emotionale Bindung zu den Kund:innen aufbauen. „Noli“ nutzt über eine Million Hautdatenpunkte und tausende Produktanalysen, um individuelle Beauty-Profile zu erstellen. Dieses Modell lässt sich auch auf die Modebranche übertragen. Ein weiteres Beispiel ist Marks & Spencer, die eine virtuelle Stilberatung anbieten. Nutzer:innen füllen einen Style-Quiz zu Körperform und Stilpräferenzen aus, woraufhin die KI passende Outfitvorschläge aus Millionen von Kombinationsmöglichkeiten erstellt. Die Ansprache der Kund:innen wird ebenfalls je nach Stil und Stimmung personalisiert.

Fehlende End-to-End-Integration bremst KI-Einsatz

Trotz des Potenzials bleibt die strategische Integration von KI in vielen Modeunternehmen noch unzureichend. Zwar experimentieren zahlreiche Akteur:innen mit Pilotprojekten, das Problem hierbei ist oftmals eine fehlende Gesamtstrategie entlang der Customer Journey. Dabei liegt gerade in der End-to-End-Integration das größte Potenzial. Denn KI kann nicht nur inspirieren, sondern auch Kaufentscheidungen vorbereiten, Transaktionen auslösen und After-Sales-Services übernehmen. Technisch bedingt erfordert das allerdings eine saubere, zentralisierte Datenbasis: Produktdaten müssen vollständig, korrekt und einheitlich klassifiziert sein. Kundschaftsdaten aus Webshop, App, CRM und stationärem Handel müssen zusammengeführt werden. Zudem sind die Interoperabilität der Systeme und die Reaktionsfähigkeit in Echtzeit entscheidend.

Agentic AI, also KI, die eigenständig Aufgaben ausführt, spielt hier eine zentrale Rolle und wird zunehmend Realität. Laut Studie sind 75 Prozent der Konsument:innen offen dafür, dass eine vertrauenswürdige KI ihre Einkäufe übernimmt. In diesem Fall verändern sich die Touchpoints nochmals radikal. Klassische Bannerwerbung, Suchergebnisse oder sogar die Websites der einzelnen Anbieter könnten dann zunehmend umgangen werden. Marken müssen deshalb neue Wege finden, um in KI-gesteuerten Entscheidungsprozessen präsent zu bleiben.

Daten und Vertrauen entscheiden über Sichtbarkeit im KI-Zeitalter

Vertrauen wird zur neuen Währung. Konsument:innen erwarten Transparenz darüber, wie KI ihre Entscheidungen beeinflusst. 41 Prozent der Befragten misstrauen KI-Inhalten, die nicht authentisch wirken, 45 Prozent bemängeln fehlende Personalisierung. Verantwortungsvolle KI bedeutet daher auch Datenschutz, einwilligungsbasierte Personalisierung und klare Kommunikation. Marken, die hier investieren – sowohl technologisch als auch kulturell –, schaffen die Grundlage für eine langfristige Bindung der Kundschaft. Loyalty-Programme können als Testfeld dienen. Ihre Mitglieder sind 1,6-mal eher emotional motiviert, teilen Daten bereitwilliger und beteiligen sich aktiv an der Entwicklung neuer Angebote.

Zudem spielen Partnerschaften eine zunehmend wichtige Rolle. In diesen werden Datenbasen verschiedener Marken und Kanäle geteilt, um kontextbasierte, synthetische Datensets zu generieren. Diese verschaffen einen Wettbewerbsvorteil, den einzelne Player nicht liefern können. Dazu zählen etwa Daten zu Kundenpräferenzen, Einkaufshistorie sowie Größen und Materialeigenschaften. Sie werden benötigt, um KI-Modelle zu trainieren, die entlang der gesamten Customer Journey wirken – von der ersten Inspiration über Produktempfehlungen bis hin zum After-Sales-Service.

Auch gemeinsame Plattformen entstehen, auf denen mehrere Marken und Händler Systemstandards definieren, Schnittstellen bereitstellen und Produkt- bzw. Nachhaltigkeitsdaten austauschen. Ein weiterer wichtiger Baustein sind Data Clean Rooms oder Datenschutzmechanismen, die erlauben, Daten sicher und anonymisiert zu teilen, ohne dass sensible Kundeninformationen offengelegt werden. Kooperationen mit Plattformen, Technologieunternehmen und anderen Marken werden essenziell, um Reichweite und Relevanz im KI-gestützten Ökosystem zu sichern.

KI verändert Rolle des stationären Handels und der Mitarbeitenden

Auch der stationäre Handel bleibt von der KI-Revolution nicht unberührt. KI-gestützte Tools können Mitarbeitende entlasten, indem sie repetitive Aufgaben übernehmen und gleichzeitig Zugang zu Kundschaftspräferenzen und Produktwissen bereitstellen. Dadurch schaffen sie mehr Zeit für persönliche Beratung und eine emotional intensivere Interaktion mit den Kund:innen. Die Rolle eines Ladengeschäfts wandelt sich damit zu der eines kuratierten, KI-gestützten Showrooms, in dem digitale Empfehlungen physisch erlebbar werden.

Mitarbeitende agieren demnach zunehmend als Markenbotschafter:innen und Kurator:innen, die die von KI vorgeschlagenen Looks individuell anpassen und emotional anreichern. Sie erhalten Zugriff auf Profile von Kund:innen mit Stilpräferenzen, Maßen und bisherigen Käufen. In der Praxis könnten sie Tablets oder Smart Mirrors nutzen, um KI-Vorschläge live zu zeigen, Outfits vor Ort farblich oder gestalterisch anzupassen und damit ein emotional aufgeladenes Erlebnis zu bieten. Statt nur Ware zu präsentieren, moderieren sie ein interaktives Erlebnis, bei dem digital generierte Empfehlungen physisch erlebbar werden. Auf diese Weise entsteht Vertrauen, denn die Beratung der Kund:innen ist sichtbar persönlich und kreativ gestaltet.

Nur wer KI aktiv gestaltet, bleibt Teil der Kaufentscheidung

Um KI erfolgreich als Stilberatung und Vertrauensperson zu etablieren, sollten Modemarken jetzt strategisch handeln. Das speziell für die Modebranche entwickelte STYLE-Framework von Accenture hilft, die richtigen Schwerpunkte zu setzen:

Strategie

Die eigene KI-Strategie sollte die Haltung des Managements und die Bedeutung von KI im Unternehmen klar definieren. Welche „Big Bets“ entlang der Wertschöpfungskette, bieten das größte KI-Potenziale für das Unternehmen?

Touchpoints

Die Kontaktpunkte in der Customer Journey, an denen der Einsatz von KI sinnvoll ist, sollten klar eingegrenzt werden. Weniger ist mehr. Starke Use Cases an einzelnen „Moments of Truth“ im Kaufprozess können bereits wertvoll sein.

Yes

Mitarbeitende müssen befähigt werden und den Einsatz von KI unterstützen. Die Kombination aus menschlicher und künstlicher Intelligenz schafft den größten Mehrwert.

LLM

Inhalte, Daten und Markenwerte müssen gezielt in Large Language Models eingespeist werden, damit Marken in KI-gestützten Entscheidungsprozessen sichtbar und relevant bleiben. Generative Engine Optimization erfordert strukturierte Produktdaten, konsistente Tonalität, emotionale Ansprache und aktuelle Verfügbarkeiten – nur so können KIs Markeninhalte richtig verstehen, einordnen und weiterempfehlen.

Effizienz

KI kann Prozesse im Hintergrund optimieren und Kosten senken. Insbesondere Agentic AI bietet umfassende Möglichkeiten, künstliche Agenten zur Stabilisierung oder Beschleunigung von Standardabläufen einzusetzen.


Die Modebranche steht an einem Wendepunkt. Generative KI entwickelt sich zur entscheidenden Schnittstelle zwischen Konsument:innen und Marken. Sie bestimmt zunehmend, welche Produkte wahrgenommen, empfohlen und gekauft werden. Wer KI weiterhin nur als technisches Werkzeug betrachtet, greift zu kurz. Marken, die jetzt in strategische Datenintegration, emotionale Markenführung und vertrauensvolle KI-Interaktion investieren, sichern sich eine dauerhafte Präsenz in den Entscheidungsprozessen ihrer Kund:innen.


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