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Löhne in Bangladesch: Ist das Existenzminimun in Sicht?

Von Simone Preuss

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Business |KOMMENTAR

Während im Rahmen des vierten Jahrestages des Rana Plaza-Unglücks die Aufmerksamkeit auf Brandschutz, Gebäude- und allgemeine Sicherheit am Arbeitsplatz gelegt wurde- was in der Tat löblich ist - ist jedoch ein wichtiger Faktor im Leben der Arbeiter zu kurz gekommen: ihre Löhne. Mit einem Mindestlohn von 35 US-Dollar und Monatslöhnen von Bekleidungsarbeitern bei 61 US-Dollar (beziehungsweise 68 US-Dollar, je nach Quelle), hat Bangladesch noch einen langen Weg vor sich, bis es das Existenzminimum erreicht.

Wie die schockierende Illustration oben zeigt, verdient ein durchschnittlicher Bekleidungsarbeiter in 18 Monaten soviel, wie der Leiter/die Leiterin einer Modemarke in seiner/ihrer Mittagspause. Dieser Vergleich wurde als Teil der "Garment Worker Diaries" angelegt, einem einjährigen Forschungsprojekt von Microfinance Opportunities in Zusammenarbeit mit Fashion Revolution, unterstützt von der C&A Foundation. Das Projekt sammelt Daten zum Leben von Bekleidungsarbeitern in Bangladesch, Kambodscha und Indien und ist etwas mehr als halb abgeschlossen.

Leider scheint es in Bangladesch wenig Handlungssielraum zu geben, denn die beiden Parteien an den entgegengesetzten Enden des Spektrum liegen sich in den Haaren: Während Bekleidungsarbeiter und Gewerkschaften auf ihre mickrigen Löhne und lange Arbeitsstunden aufmerksam machen, die das Leben der Arbeiter mühsam und ungesund machen, bedienen Fabrikbesitzer und Branchenverbände wie der BGMEA ihre liebste Abschreckungstaktik: dass Auftraggeber und Aufträge fernbleiben und in billigere Länder wie zum Beispiel Äthiopien abwandern würden, sollten die Löhne in Bangladesch steigen.

Würden sich Auftraggeber wirklich aus Bangladesch zurückziehen, sollten die Löhne steigen?

Auftraggeber werden sich auf keinen Fall plötzlich zurückziehen, besonders nicht aus einem starken textil- und bekleidungsproduzierendem Land wie Bangladesch. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen: Zum einen gibt es außer China und Indien kein anderes Land, das eine bereitwillige und junge Arbeiterschaft in Millionenhöhe bereitstellen kann. Zum anderen gibt es auch kaum ein anderes Land, das einen so niedrigen Mindestlohn hat wie Bangladesch. Nachbarn in der Region wie Sri Lanka und Myanmar, die sich bereits am unteren Ende des Spektrums befinden, liegen mit rund 88 US-Dollar pro Monat schon darüber, während Länder wie Vietnam, Pakistan und Indien ebenfalls darüber liegen.

Drittens hat sich Bangladesch Textil- und Bekleidungszentren mit Infrastruktur und Liefernetzwerken über Jahre aufgebaut; diese kann auch ein aufstrebendes textil- und bekleidungsproduzierendes Land wie Äthiopien nicht über Nacht nachbauen. Zudem werden Auftraggeber, die darüber nachdenken, ihr Beschaffungsland zu wechseln, vorher sorgfältig Vor- und Nachteile wie diese abwägen.

Viertens, schauen wir uns Chinas Beispiel noch einmal an. Hier sind die Löhne in den letzten paar Jahren tatsächlich stark angestiegen; sie haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht und mit durchschnittlich 239 US-Dollar pro Monat fast das Existenzminimum erreicht. Davon ist Bangladesch mit 61 (oder 68) US-Dollar pro Monat noch meilenweit entfernt. Außerdem sind die Löhne in China nicht von einem Jahr aufs andere gestiegen, sondern über einen Zeitraum von zehn Jahren; die gleiche schrittweise Entwicklung wäre in Bangladesch zu erwarten.

Und dies würde Herstellern, fünftens, genug Zeit geben, um mit ihren internationalen Auftraggebern er(n)ste Gespräche zu führen und sie um Unterstützung zu bitten, wenn es darum geht, ihren Arbeitern und Arbeiterinnen faire Löhne zu zahlen. Und welcher große Einzelhändler, welche renommierte Marke könnte keine positive Publicity gebrauchen? Wer wäre nicht gern die erste Marke oder der erste Einzelhändler, der Fabriken beschäftigt, die Löhne am Existenzminimum zahlen oder sich sonst gut um ihre Arbeiter kümmern? Besonders angesichts von Kunden, die zunehmend hinterfragen, wo und zu welchen Bedingungen die Kleidungsstücke hergestellt werden, die sie tragen. Und die zunehmend ihre Einkaufsentscheidung von der Antwort beeinflussen lassen.

Was uns zu der nächsten Überlegung bringt: Wenn Fabrikbesitzer zögern, die von ihnen gezahlten Löhne zu steigern, dann gibt es viele andere Wege, in denen sie ihren Arbeitern helfen können. Durch Essensrationen zum Beispiel: Reis, Gemüse und Hülsenfrüchte sind billiger, kauft man sie in großen Mengen. Und diese Lebensmittel würden den Speiseplan der Arbeiter durchaus bereichern. Dann gibt es noch die Krankenversicherung - warum sich nicht mit einem großen Versicherer zusammentun und Arbeitern und ihren Familien kostenlose oder subventionierte Versorgung anbieten?

Es gibt viele Möglichkeiten, durch die Fabrikbesitzer und internationale Auftraggeber helfen können - und helfen sollten. Wenn schon nicht aus humanitärer Sicht, dann doch wenigstens aus wirtschaftlicher. Denn glückliche und gesunde Arbeiter und ihre Familien sind bessere Arbeiter mit weniger Ausfällen durch Krankheitstage oder Notfällen zu Hause. Außerdem würden sie sich gut überlegen, ob sie ihren Job wechseln, wenn sie sich bei ihrem Arbeitgeber gut aufgehoben fühlen. Und damit würde auch der Verlust von Kenntnissen und fabrikeigenem Wissen vermieden werden.

Eine Ausweitung dieser Anstrengungen sind Projekte wie "The Garment Worker Diaries" - Fashion Revolution wird die Erkenntnisse, die sich aus der genauen Beobachtung aus dem Leben der Arbeiter in verschiedenen Entwicklungsländern ergeben, auswerten und dazu nutzen, "sich für Veränderungen im Verhalten der Verbraucher und Unternehmen und Richtlinien einzusetzen, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Bekleidungsarbeitern weltweit verbessern". Hoffen wir mal, dass Auftraggeber, Hersteller und andere Branchenakteure auch zuhören.

Abbildung 1: von Georgia Keeling für Money Fashion Power; Statistikquelle: Labour Behind the Label; Abbildung
2: Stitches to Riches via worldbank.org

Bangladesch
Beschaffung
Existenzminimum