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Mit dem 'perfekten T-Shirt' zur Million: Sanvt über Wachstumsschmerzen, Fair Fashion und eine Zukunft ohne Wholesale

Von Jule Scott

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Business|Interview
Sanvt-Gründer Benjamin Heyd. Bild: Sanvt

Das Steckenpferd der Münchener Modemarke Sanvt ist das “perfekte T-Shirt”, ein Produkt, dessen Name ähnlich viel verspricht wie sich die Marke mit ihrem eigenen Größenmodell und dem Anspruch, Fair Fashion zu Demokratisieren bei der Gründung 2018 vorgenommen hat. Vier Jahre später knackte das Unternehmen nun erstmals die 1-Million-Marke Euro, nicht zuletzt auch dank des T-Shirts mit dem vielversprechenden Namen, das mittlerweile mehr als 30.000 Mal verkauft wurde und in 21 Größen erhältlich ist.

Was sich das junge Label für die Zukunft vorgenommen hat und warum der Wholesale dabei wohl weniger eine Rolle spielen wird, erklärt Sanvt-Gründer Benjamin Heyd. Außerdem spricht er über Wachstumsschmerzen eines jungen Unternehmens, Herausforderungen in der Lieferkette und die Bedeutung der Nachhaltigkeit für die Marke und seine Kund:innen.

Fangen wir am Anfang und bei ihrem Erfolgsrezept an: das ‘perfekte T-Shirt’ und seine 21 Größen

Obwohl es sehr aufwändig ist – manchmal bereue ich es immer noch – war dies ein Teil unseres Erfolgs. Es ist ein leicht verständliches Alleinstellungsmerkmal. Erstkund:innen, insbesondere Männer, haben oft ein Problem: M ist zu kurz und L ist zu weit. S ist zu klein, L ist zu groß. Deshalb bieten wir alle unsere Größen in den Varianten kurz, normal und lang an. Bei einem T-Shirt macht das bei der Körperlänge etwa vier cm im Vergleich zur Standardlänge. Zudem bieten wir auch die Option "kurz" an, was insgesamt einen Unterschied von acht cm im Vergleich zur Standardgröße ausmacht, was signifikant ist.

Ganz schön viel Auswahl…

Ja, das hat zur Folge, dass Kund:innen, die unsere Seite besuchen, nicht zwischen sechs Größen auswählen müssen, sondern zwischen 21. Das kann anfangs überwältigend sein, weshalb wir einen Size-Finder entwickelt haben. Hierbei wird den Kund:innen, basierend auf der Körpergröße, Gewicht und Schuhgröße eine Größe vorgeschlagen. Dies ist ein selbstlernendes Modul, bei dem wir Retourenquoten analysieren und das Modell ständig verbessern.

Werden durch die niedrigere Retourenquote auch CO2-Emissionen eingespart?

Es ist schwer zu sagen, wie viel dieser Algorithmus netto an CO2 eingespart hat. Wir wissen jedoch, dass Neukund:innen, die den Größenfinder verwenden, eine um 20 Prozent niedrigere Retourenquote aufweisen als gewöhnlich.

Wir sprachen bislang vermehrt über das T-Shirt. Lässt sich das Größenmodell auch auf andere Produktkategorien übertragen?

Für Oberbekleidung ist dies relativ einfach, da wir das gleiche Modell, insbesondere für T-Shirts und Sweatshirts, in verschiedenen Längen anbieten. Bei Hosen ist dies etwas komplexer. Wir bieten bereits lange und kurze Versionen an, was jedoch bei Hosen nichts Besonderes ist. Aber wir experimentieren derzeit auch mit verschiedenen Passformen, die auf verschiedene Körperformen zugeschnitten sind. Dennoch behalten wir das gleiche Styling bei. Trotzdem sind wir – aus E-Commerce-Sicht – in Bezug auf die Anzahl der Optionen noch unschlüssig, da dies möglicherweise die Retourenquote erhöhen könnte.

Sanvt Kampagne 2023 Bild: Sanvt

Lagerbestände sind auch ohne 21 verschiedene Größen für viele Unternehmen ein großes Problem, wie bewältigen Sie diese Hürde?

Wir bieten keine saisonalen Produkte an, sondern eine konstante Produktlinie. Unsere Bestellungen erfolgen nach Bedarf, wenn wir sehen, dass unser Lagerbestand schwindet. Wir haben einen viermonatigen Forecast, da die Vorlaufzeit zwischen zehn und 16 Wochen liegt. Dies stellt eine betriebswirtschaftliche Herausforderung dar, den Lagerbestand zu finanzieren.

Das muss besonders anfänglich eine große Herausforderung gewesen sein…

Die Anfangszeit war hart, das gebe ich offen zu. Als kleines Start-up hatten wir einige Probleme mit Hersteller:innen aufgrund der niedrigen Stückzahlen. Zudem haben wir 21 verschiedene Größen, was nicht alle Hersteller:innen begeistert.

Sie erwähnten gerade niedrige Stückzahlen. Wie viele Produkte bestellen Sie derzeit pro Produktionsrude?

Die Produktionsrunde variiert je nach Produkt, aber für unser ‘perfektes T-Shirt’ bestellen wir mittlerweile zwischen 5.000 und 10.000 Stück pro Runde.

Ihre Anfangsphase fiel zudem mit der Pandemie zusammen, eine Zeit, die viele etablierte Unternehmen nicht problemlos überstanden haben…

Wir hatten erhebliche Schwierigkeiten mit der Lieferkette, zum Teil auch aufgrund unseres eigenen Verschuldens. Am Anfang hatten wir noch nicht ausreichend Daten. Normalerweise sollte man nachbestellen, wenn das Lager voll ist, nicht erst, wenn es leer ist. Dies war am Anfang schwierig und auch beängstigend, wenn es an Kapital fehlte. Inzwischen haben wir jedoch einen robusten Forecast entwickelt und wissen, wie viel wir im nächsten Jahr verkaufen werden.

Inwiefern waren die Schwierigkeiten selbst verschuldet?

2020 sind wir extrem gewachsen. Zuvor hatten wir einen Umsatz von einigen hunderttausend Euro [Anm. d. Red.: 55.000 Euro in 2019] und sind auf eine Million gesprungen. Das war nicht unbedingt in unserem ursprünglichen Forecast vorgesehen. Wir haben auch eine hohe Nachfrage erlebt, da unsere Produkte in der Pandemie gefragt waren – Sweatshirts, T-Shirts, Sweatpants und ein reines Direct-to-Consumer-Online-Geschäft. Wir gehörten zu den Profitierenden der Pandemie, daher sind wir doppelt glücklich, dass sich unser Wachstum weiterhin positiv entwickelt.

Unsere größten Herausforderungen gab es dann in Bezug auf die Produktion. Wir hatten zu wenig geplant und zu wenig bestellt, während die Nachfrage stark stieg. Wir hätten während der Pandemie deutlich schneller wachsen können, hätte es keine Engpässe gegeben.

Stichwort Forecast – 2022 lag ihr Umsatz bei 1,3 Millionen Euro. Womit rechnen Sie in diesem Jahr?

Für dieses Jahr erwarten wir ein Wachstum von knapp 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im nächsten Jahr streben wir ebenfalls ein Wachstum zwischen 30 und 50 Prozent an, auch dank Wholesale-Modellen, die wir in Betracht ziehen, und unseres ersten eigenen Einzelhandelsgeschäfts.

Gibt es bereits konkrete Pläne für den ersten eigenen Laden?

Unser erster Einzelhandelsstandort wird in München sein. Hier haben wir ein dichtes Kundennetzwerk im Vergleich zur Einwohnerzahl. Außerdem sind wir ein Münchner Unternehmen. Der Laden soll nicht nur ein Vertriebskanal sein, sondern auch ein Marketinginstrument. Die Idee ist es, eine Gemeinschaft aufzubauen. Es soll mehr als nur der Verkauf von Kleidung sein, es soll ein Treffpunkt für unsere Kund:innen werden. Daher suchen wir nach Standorten abseits der klassischen Einkaufsstraßen in München, da die Mietpreise dort oft unbezahlbar sind. Stattdessen setzen wir auf kreative Konzepte.

Was steht produkttechnisch als nächstes für Sanvt an?

Wir arbeiten derzeit an Denim-Produkten, aber es gibt noch keine festen Termine. Wir treffen keine überstürzten Entscheidungen und fertigen so lange Prototypen, bis wir uns zu 100 Prozent sicher sind. Mittelfristig planen wir auch eine Damenkollektion. Obwohl wir unsere Produkte derzeit als Unisex verkaufen, sind sie in Bezug auf Größen auf Männer ausgerichtet. Es gibt auch Pläne, in andere Segmente wie Kinderbekleidung und Schuhe zu expandieren.

Sanvt Kampagne 2023 Bild: Sanvt

Sie sagten gerade, Sanvt sei Unisex, allerdings größenteschnisch auf Männer ausgelegt. Inwiefern spiegelt sich das in ihrem Kund:innenstamm wieder?

Etwa 85 Prozent unserer Kund:innen sind Männer oder Frauen, die für Männer kaufen. Dies können wir anhand der Einkaufsdaten feststellen. Nur etwa 12 bis 15 Prozent sind Frauen, die für Frauen einkaufen. Es gibt sicherlich Potenzial, diesen Anteil zu steigern, da unsere Produkte grundsätzlich unisex sind. Derzeit liegt unser Marketingfokus jedoch stark auf Männern.

Apropos Pläne, Sie erwähnten gerade Großhandelsmodelle. Wie passt dies zu Ihrem Konzept mit einer solchen Größenauswahl?

Der klassische Großhandel ist für uns keine Option. Wir bleiben unserem Grundsatz treu, die beste Qualität zum besten Preis anzubieten. Unser Modell ermöglicht einfach keine Großhandelsmargen, die von Einzelhändler:innen gefordert werden würden. Wir erwägen ein Provisionsmodell, wenn die Partner:innen passen. Wir führen erste Gespräche in Deutschland und haben auch weitergehende Pläne für Partnerschaften im Vereinigten Königreich und in Fernost. Dies könnte eine Internationalisierungsstrategie für uns sein, da der klassische Direct-to-Contumer-Online-Vertrieb seine Herausforderungen hat.

Welche Herausforderungen verbinden Sie mit dem Großhandel?

Unser T-Shirt würde, wenn es in den klassischen Großhandel käme, statt 38 Euro zwischen 70 und 80 Euro kosten. Das ist für uns keine Option. Unser Anspruch ist es, Fair Fashion für alle zugänglich zu machen. Dies würde gegen unsere Firmenphilosophie verstoßen, da wir nicht mehr das beste Produkt zum besten Preis anbieten könnten.

Das Vereinigten Königreich und Fernost stehen auf dem Expansionsplan In welchen Ländern ist Sanvt derzeit aktiv?

Derzeit entfallen etwa 85 Prozent unseres Umsatzes auf die DACH-Region. Daher richten wir unseren Fokus nun verstärkt auf die nordischen Länder, Benelux, das Vereinigte Königreich, die USA und Frankreich. Der Aufbau unserer französischen Website läuft derzeit.

Kommen wir nochmal auf ihr Ziel “Fair Fashion für alle zugänglich zu machen” zurück. Denken Sie, sie könnten das perfekte T-Shirt in Zukunft noch preiswerter anbieten?

Es ist nicht möglich, ein deutlich preisgünstigeres Produkt anzubieten, als wir es tun. Daher ist unser Preis angemessen für ein qualitativ hochwertiges, nachhaltig produziertes Produkt. Ich verstehe, dass einige Menschen immer noch zögern, 40 Euro für ein T-Shirt auszugeben, aber die Gesellschaft muss ihr Verhältnis zur Kleidung ändern. Kund:innen sollten ihre Kleidung schätzen und länger tragen, anstatt ständig den neuesten Trends nachzujagen. Wenn es möglich ist, alle zwei Jahre ein neues iPhone zu kaufen, dann sollte man auch darüber nachdenken, etwas mehr in ein hochwertiges T-Shirt zu investieren. Es geht also um eine Änderung der Perspektive. Der Mainstream wurde durch Marken wie Shein und Primark verzerrt, bei denen die Preise oft unverhältnismäßig niedrig sind.

Man sagt allerdings auch, Endkonsument:innen sind derzeit preissensibel. Bekommen Sie das auch zu spüren?

Wir haben Aufklärungsarbeit geleistet und erklärt, warum unsere Produkte den Preis haben, denn sie haben. Bisher haben wir kein negatives Feedback zu unseren Preisen erhalten. Ich verstehe, dass es soziale Schichten gibt, für die es schwieriger ist, 40 Euro für ein T-Shirt auszugeben. Aber die meisten Menschen, die wirklich in Kleidung investieren, müssen lernen, weniger, aber qualitativ hochwertiger einzukaufen. Man kann kein "nachhaltiges" T-Shirt aus Biobaumwolle mit einer zweifelhaften Zertifizierung billig in Bangladesch herstellen und es für 5,90 Euro verkaufen. Das ist kein wirklich nachhaltiges T-Shirt, auch wenn "Green Cotton" darauf steht.

Was macht Ihr T-Shirt nachhaltiger als das “nachhaltige T-Shirt aus Green Cotton"?

Unser wichtigstes Nachhaltigkeitskriterium ist die Langlebigkeit. Was unsere Kund:innen betrifft, war und ist der Nachhaltigkeitsaspekt nicht das Hauptkriterium für den Kauf, sondern die qualitativ hochwertigen und langlebigen Produkte zu einem fairen Preis. Die Nachhaltigkeitskomponente spielt für uns eine unterstützende Rolle. Knapp dahinter folgt die Herstellung in Portugal. Wenn wir Nachhaltigkeit in einem breiteren Kontext betrachten, wird deutlich, dass dies ein wichtiger Aspekt ist. Allerdings kauft bei uns kaum jemand ein Sweatshirt, nur weil es aus Biobaumwolle hergestellt ist.

Und dennoch haben Sie verschiedene Nachhaltigkeitszertifizierungen, korrekt?

Nachhaltigkeitsaspekte beziehungsweise Zertifizierungen sind für uns besonders relevant, wenn wir die Lieferkette nicht bis zum Ursprung der Baumwollproduktion verfolgen können. Die GOTS-Zertifizierung ermöglicht es uns zumindest, die Herkunft der Fasern relativ transparent nachzuvollziehen. Generell betrachten wir dennoch Zertifizierungen kritisch, besonders aus Sicht der Verbraucher:innen. Im Bereich High-Streetfashion und Fast Fashion wird oft Greenwashing betrieben.

Benjamin Heyd
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