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Nachhaltigkeit in der Lieferkette: „Es braucht auch Anpassungen des Verbrauchers”

Von Lara Grobosch

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Business |Interview

Bild: Unsplash

Eine effiziente Logistik ist essenziell für Modemarken und Einzelhändler. Von der Rohstoffbeschaffung und Konfektionierung über die Auslieferung bis hin zum Recycling – die reibungslose Organisation des Warenflusses wird mit der Digitalisierung und steigenden Nachhaltigkeitsanforderung an Bedeutung gewinnen.

FashionUnited sprach mit Professor Markus Muschkiet, Leiter des Center Textillogistik der Hochschule Niederrhein und des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik, über Nachhaltigkeit in der Lieferkette, umweltfreundliche Transportmittel und Konzepte für die letzte Meile.

In welchen Bereichen kann die Bekleidungslogistik helfen, wenn Modeunternehmen nachhaltiger werden möchten?

Ein großes Problem sind die Entsorgung und die Warenströme. Wir haben uns in der Textil- und Modebranche dahin entwickelt, dass wir sehr viele Fasern, Spezialbeschichtungen und vor allem auch Mischungen aus verschiedenen Fasern haben, die dazu führen, dass ich das Textil gar nicht recyceln kann. Je mehr verschiedene Stoffe miteinander verbunden sind, in welcher Variante auch immer, desto schlechter kann ich es recyclen. Auch die Ausrüstungen der Textilien haben einen enormen Einfluss darauf, wie etwas recycelt werden kann. Beim Recycling kommt die Logistik wieder ins Spiel, die diese Warenströme steuert: wo wird was wie gesammelt, welche Mengen, was kann ich damit machen, wie kann ich es recyceln oder wiederverwenden. Ohne die physische Verknüpfung durch die Logistik wird es auch dort nicht gehen.

Welches Transportmittel ist am nachhaltigsten auf dem Weg von der Fabrik zum Geschäft?

Wenn man das von der Nachhaltigkeitsperspektive aus betrachtet, ist der Seeverkehr auf das einzelne Stück gerechnet, die nachhaltigste Variante. Hier fällt aufgrund der Skaleneffekte auf das einzelne T-Shirt oder die einzelne Jeans gerechnet am wenigsten CO2 an.

Die Bahnfracht ist eine interessante Ergänzung, doch auch nur für bestimmte Märkte, wie zum Beispiel aus China. Was dort täglich mit der Bahn unterwegs ist, ist aber natürlich weniger, als ein einzelnes großes Containerschiff transportieren kann. Ansonsten ist der im Großen und Ganzen nachhaltigere Bahnverkehr für unsere Branche aufgrund der Geschwindigkeit unterrepräsentiert.

Bild: Prof. Markus Muschkiet

Innerdeutsch gibt es Bahnfracht mit textilen Produkten so gut wie gar nicht. Wenn der Container morgens im Hafen ankommt, möchte ich den ein paar Stunden später auf dem Lkw wissen und abends soll er irgendwo in Deutschland, Tschechien oder den Niederlanden im Warehouse liegen und damit auf der Webpage verfügbar sein oder in der Nacht noch weitergeschickt werden in die Filialen. Da warte ich nicht noch anderthalb oder zwei Tage, bis die Bahn diese paar hundert Kilometer geschafft hat. Da kommt der Geschwindigkeitsaspekt wieder zum Tragen, wegen dem die Bahn für unsere Branche leider nicht das passende Angebot hat.

Und die Luftfracht ist der größte Umweltsünder?

Aus Perspektive der Nachhaltigkeit ist das die schlechteste Variante. Luftfracht emittiert um ein Vielfaches mehr an CO2 im Vergleich zu allen anderen Bereichen. Wenn ich meiner Marke ein grünes Image geben möchte, dann sollte ich tunlichst vermeiden zu fliegen. Dass das nicht immer geht aufgrund der Prozesse ist klar, aber natürlich ist das Fliegen von allen Varianten, wie man reisen kann – egal ob persönlich oder die Fracht –, die schädlichste.

Wie viel wird derzeit in der Modeindustrie per Luftfracht transportiert?

Bis vor wenigen Jahren Jahren waren Textilien in den Top Fünf der Importierten Güter per Luftfracht. Ob wir durch die Pandemie darin wieder aufgestiegen sind, wird sich zeigen. Dies wird über die Zollanmeldungen ermittelt. Eine Aufteilung, wie viel, wie, wo und womit geflogen wird, ist etwas, was in der Branche nicht offengelegt wird. Es handelt sich aber auch um Kostenentscheidungen, wie zuvor erläutert. In Bereichen, wo die Time to Market sehr wichtig ist, so wie bei Fast Fashion, wird trotz des geringen Warenwertes teilweise geflogen.

Welches Transportmittel wird für eine nachhaltige Zukunft an Bedeutung gewinnen?

Es wird Verschiebungen geben, die von Markt zu Markt unterschiedlich sind, je nachdem von wo ich komme. Aus Fernost oder selbst Indien und Bangladesch gibt es, abgesehen vom Fliegen, kaum eine andere Möglichkeit als das Containerschiff. Da wird es keine großen Änderungen geben.

Der große Hebel liegt letztendlich in der Verteilung in Europa. Wenn wir es dort schaffen, mehr auf die Bahn zu setzen, weil die Prozesse zum Beispiel so gestaltet werden, dass ein Tag mehr Transportzeit vielleicht nicht so schlimm ist, wenn ich dafür enorme CO2-Einsparungen heraushole, wäre das schon mal ein großer Schritt. Eines darf man aber nicht unterschätzen: Der Kunde sagt zwar immer, er möchte alles grün haben, die Realität zeigt aber genau das Gegenteil. Der Druck auf unsere Branche ist sehr hoch. Unternehmen müssen alles mögliche tun, um grüner zu werden, dürfen damit aber letztendlich nicht teurer werden und ihre bewährten Prozesse, um den Kunden zu verwöhnen, auch nicht so sehr abändern, dass diese darunter leiden.

Das Nachhaltigkeitsbewusstsein des Kunden endet also da, wo man sich selbst einschränken muss?

Genau, es gibt in der Modelogistik Stellschrauben, an denen man drehen kann bis zu einem gewissen Grad, bis der Kunde Leistungseinbußen merkt. Ab da wird es dann meistens schwierig. Die Nachhaltigkeit wird zwar gefordert, sobald diese Nachhaltigkeit aber Auswirkungen auf das gewohnte Kaufverhalten hat, wird das in der Regel von Kunden nicht honoriert und das ist ein Problem für die Branche. Letztendlich braucht es für eine nachhaltige Modebranche gerade beim Thema Geschwindigkeit auch Anpassungen oder Änderungen des Verbrauchers, damit sich etwas ändern kann.

Von der Fabrik zur Modemarke oder von der Marke zum Verbraucher: Wo fällt der größte Anteil an CO2-Emissionen und Abfall an? Abfall fällt in der ganzen Kette immer mal wieder an, je nachdem wie etwas verpackt ist. In der Modelogisitk haben wir die Situation, dass einzelne Kleidungsstücke häufig nochmal in einem Polybag verpackt sind, um sie vor äußeren Einflüssen zu schützen. Wenn ich die Ware umverpacke, fällt da selbstverständlich Müll an.

Pauschal lässt sich nicht sagen, wo der größere CO2-Anteil anfällt. Es kommt auch darauf an, wie der Kunde zum Laden kommt oder ob die Ware geliefert wird. Wenn er zu Fuß zum Laden geht oder mit dem Fahrrad fährt, dann gewinnt natürlich diese Strecke. Spätestens wenn der Kunde aber mit seinem eigenen Auto fährt, ist es vorbei. Wenn ich das damit ins Verhältnis setze, wie viel Kraftstoff verbraucht wurde, um die Jeans und das T-Shirt zum Beispiel per Container-Transport von Fernost nach Hamburg zu bringen, dann hat die Seefracht pro Teil gegebenenfalls weniger Kraftstoff verbrannt als die Fahrt des Kunden nach Hause.

Und wenn dem Kunden die Ware geliefert wird?

Von der Produktion bis ins Distributionszentrum oder Warehouse in Europa sind die Umweltbelastungen weitgehend gleich und dann kommt die Unterscheidung. Entweder ich bringe es von dort zum Laden auf die Verkaufsfläche oder ich bringe es per Kurier- Express-Paketdienstleister (KEP) zum Endkunden. Da steht das Paket noch ein bisschen schlechter da, aber dann kommt noch der Weg vom Laden durch den Endkunden nach Hause hinzu. Das ist ein kompletter Transport und es ist der ineffizienteste. Natürlich ist die Variante mit dem Lieferfahrzeug schlechter als zu Fuß oder mit dem Fahrrad, aber auf das einzelne Teil heruntergerechnet ist das deutlich effektiver, als wenn der Kunde selbst ins Geschäft fährt. Wenn ich diesen letzten Schritt nicht komplett CO2-neutral mache, dann ist in vielen Fällen der E-Commerce nachhaltiger. Letztendlich kommt es aber auf den Einzelfall an.

Die letzte Meile kann manchmal die längste sein. Was sind Herausforderungen bei der Zustellung zum Endkunden? Die fehlenden Parkmöglichkeiten und überhaupt diese Zustellvarianten sind eine Herausforderung. Auch, dass die Fahrzeuge bei Weitem noch nicht alle umweltfreundlich sind, ist ein Problem. Viele fahren noch klassisch mit Diesel. Aber auch der Strom für Elektrofahrzeuge müsste natürlich klimaneutral erzeugt werden.

Welche Konzepte gibt es für die Zukunft der letzten Meile?

Die dringende Frage ist: Wo treffe ich den Kunden auf der letzten Meile an? Aktuell, zu Zeiten des verstärkten Homeoffice, ist das eine andere Situation, als wenn nach Corona wieder mehr Menschen ins Büro gehen. Als KEP-Dienstleister, habe ich das Problem, wann ich wo zustellen kann. Wir müssen unsere Prozesse effektiver und digitaler gestalten, um die Kommunikation zwischen den KEP-Dienstleistern und den Kunden zu verbessern und die Bedürfnisse des Kunden somit besser zu treffen.

Können Sie ein Beispiel für eine effizientere Lösung nennen?

Ein Konzept ist, dass der Kunde zum Beispiel beim Zusteller angeben kann, „ich bin am Donnerstag im Homeoffice: Bitte liefere mir alle Pakete, die ich von Montag bis Donnerstag bekommen habe, am Donnerstag nach Hause”. Solche Lagerservices werden teilweise schon angeboten. Der Kunde müsste aber bereit sein, auf seine Bestellungen zu warten – das ist er oft wieder nicht. Gebündelte Zustellungen, Zustellungen am Arbeitsplatz, ein verstärkter Einsatz von Packstationen und privaten Paketkästen oder Lieferungen nach Hause grundsätzlich mit Aufpreis – das sind verschiedene Geschäftsmodelle, die in der Industrie diskutiert werden. Letztendlich wird es eine Mischung aus spezialisierteren Services, eventuell auch angepassten und damit vielleicht auch geringeren Services sein.

Markus Muschkiet
Nachhaltigkeit
Supply Chain