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Regierungssturz in Bangladesch: „Es wird erwartet, dass alle Fabriken ab heute wieder in vollem Umfang arbeiten“

Von Regina Henkel

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Business |Interview

Mostafiz Uddin Credits: Mostafiz Uddin

Bangladesch ist nach China der größte Bekleidungsproduzent der Welt. Was bedeuten die politischen Unruhen der letzten Wochen für die Modeindustrie und wie geht es nach dem Regierungssturz weiter?

Nach Wochen der gewalttätigen Unruhen in Bangladesch, bei denen rund dreihundert Menschen ums Leben gekommen sind und Ausgangssperren verhängt wurden, wächst die Hoffnung auf eine friedliche und demokratische Zukunft. Ministerpräsidentin Sheikh Hasina, gegen deren Politik sich die Massendemonstrationen richteten, hat das Land verlassen und das Parlament wurde aufgelöst. Damit ist der Weg frei für Neuwahlen. Bis dahin soll eine Übergangsregierung gebildet werden.

Am Montag veröffentlichte Mostafiz Uddin, Veranstalter der Bangladesch Denim Expo, CEO von Denim Expert Limited und CEO von Bangladesh Apparel Exchange, einen offenen Brief an die Modeindustrie, mit dem Aufruf, dem Land während des Aufbaus einer neuen politischen Führung weiterhin zur Seite zu stehen. FashionUnited hat mit Uddin darüber gesprochen, wie es aktuell in Bangladesch aussieht.

Herr Uddin, seit Wochen kommt es in Bangladesch zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei. Betrifft das nur die Hauptstadt oder das ganze Land?

Mostafiz Uddin: Es gab Proteste in vielen Teilen des Landes, aber die meisten Zusammenstöße gab es in der Hauptstadt Dhaka.

Auslöser war die Wiedereinführung des Quotensystems für Staatsbedienstete. In den Monaten zuvor hatte es auch Proteste für eine Erhöhung des Mindestlohns gegeben. Geht es bei den Unruhen in Ihrem Land nur um die Quotenregelung, oder geht es um mehr?

Nein, bei den Protesten geht es nur um die Quoten. Die Frage des Mindestlohns war schon lange vorher geklärt.

Sogar das Internet wurde abgeschaltet - ist es möglich, unter diesen Bedingungen zu arbeiten?

Natürlich war es schwieriger, ohne Internet zu arbeiten, aber jetzt funktioniert das Internet einwandfrei und alles ist wie immer. Außerdem sind unsere Hersteller sehr anpassungsfähig, einfallsreich und resilient.

Sie sind selbst Denim-Konfektionär, allerdings nicht in Dhaka. Ist Ihr Unternehmen zum Stillstand gekommen, auch wegen der Ausgangssperre?

Nein, mein Unternehmen ist nicht zum Stillstand gekommen. Es gab Unterbrechungen, aber nichts, was unüberwindbar gewesen wäre. Und jetzt ist die Ausgangssperre natürlich aufgehoben worden.

Wie wirken sich die Unruhen auf die Bekleidungsproduktion in Bangladesch aus? Wurden Fabriken geschlossen?

Die Bekleidungsfabriken waren eine Zeit lang geschlossen, aber die Ausgangssperre ist jetzt aufgehoben worden. Die Geschäfte in Bangladesch sind nach etwa einmonatigen Protesten wieder angelaufen. Alle Fabriken in den Freien Exportzonen (FEZ), einschließlich unseres Unternehmens Denim Expert Limited, sind seit heute (6. August) Morgen wieder in Betrieb. Die Banken sind wieder geöffnet. Der Schulbetrieb wurde wieder aufgenommen. Die Menschen haben ihr normales Alltagsleben wieder aufgenommen. Es wird erwartet, dass alle Bekleidungsfabriken des Landes ab morgen (7. August) wieder in vollem Umfang arbeiten werden.

Wie reagieren Ihre Kund:innen auf diese Situation?

Wir haben gute Beziehungen zu unseren Kund:innen und haben sie über die Situation hier auf dem Laufenden gehalten. Sie verstehen unsere Position.

Was könnten die Einkäufer:innen tun, um die Situation in Ihrem Land nicht noch schlimmer zu machen?

Ich würde sie bitten, den Lieferanten weiterhin zur Seite zu stehen und Aufträge zu erteilen. Es besteht keine Notwendigkeit, die Produktion in andere Länder zu verlagern. Diese Phase ist nun vorbei und die Stabilität in Bangladesch ist wiederhergestellt.

Bangladesch schätzt das Vertrauen der internationalen Modeeinkäufer:innen in seine Bekleidungsindustrie. Es ist also an der Zeit, dass Bangladesch mit seinen Modepartnern nach vorne blickt.

Welche Auswirkungen könnte die aktuelle Situation auf den Bekleidungssektor in Bangladesch haben?

In der Zwischenzeit wurde der Name von Professor Dr. Muhammad Yunus als Chefberater der Übergangsregierung vorgeschlagen. Dr. Yunus ist der erste und einzige Bangladeschi, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Dr. Yunus ist auch ein altgedienter Professor für Wirtschaftswissenschaften, der mit der Gründung der Grameen Bank das Schicksal Tausender armer Frauen in Bangladesch verändert hat. Er genießt also internationales Ansehen und Akzeptanz. Die Übergangsregierung wird freie und faire Wahlen abhalten und durch die Übergabe der Macht an eine gewählte Regierung die Demokratie wiederherstellen. Die politische Stabilität wird also gegeben sein.

Die Bekleidungsindustrie in Bangladesch bleibt ein Eckpfeiler unserer Wirtschaft. Sie bietet Millionen von Menschen, insbesondere Frauen, Arbeit. Unsere Bekleidungsindustrie war eine der wichtigsten verbindenden Kräfte für Bangladesch und brachte wichtige Exporteinnahmen und Wohlstand.

Da eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein stabiles Bekleidungsgeschäft die politische Stabilität ist, glaube ich, dass unsere Modeeinkäufer:innen Bangladesch in den kommenden Tagen und Jahren als langfristigen Beschaffungspartner betrachten können.

Sie befürchten also keine Abwanderung der internationalen Einkäufer:innen?

Nein, das tue ich nicht. Ich denke, die Marken erkennen heutzutage, wie wichtig es ist, den Lieferanten in guten und schlechten Zeiten zur Seite zu stehen. Man darf auch nicht vergessen, dass alle Länder ihre Herausforderungen haben. Die politische Situation ist in anderen Teilen Asiens, aus denen Marken ihre Waren beziehen, auch nicht immer reibungslos. Das liegt in der Natur der globalen Beschaffung und die Einkäufer:innen verstehen das.

Sie planen die nächste Bangladesh Denim Expo im November. Haben die aktuellen Ereignisse irgendeinen Einfluss darauf?

Nein. Die Bangladesh Denim Expo wird zum geplanten Termin stattfinden.

Hintergrund:

Auslöser für die Proteste der Studierenden war die Wiedereinführung eines Quotensystems für die Besetzung staatlicher Stellen. Demnach müssen 30 Prozent dieser Stellen für Nachkommen von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 gegen Pakistan reserviert werden. Dieses 1972 eingeführte System war bereits 2018 von Premierministerin Hasina nach Protesten von Studierenden abgeschafft worden, um im Juni dieses Jahres wieder eingeführt zu werden. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent forderten Studierende in ganz Bangladesch eine Reform des Quotensystems. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen die Regierung auch Schusswaffen einsetzte, um die Forderungen der Studierenden zu unterdrücken. Hunderte Menschen, darunter auch Kinder, wurden getötet und mehr als tausend verletzt.

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