Shanghai-Lockdown: Industrie droht noch mehr Materialmangel
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Der deutschen Wirtschaft droht als Folge chinesischer Lockdowns und weltweiter Schiffsstaus eine weitere Verschärfung der gravierenden Lieferprobleme. Nach Angaben des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und des Rotterdamer Hafens ist die Zahl der aus China Richtung Westen fahrenden Schiffe bereits gesunken. Und die Londoner Schifffahrtsberatung Drewry schätzt, dass im Hafen Shanghai allein im April 260 000 für den Export in alle Welt bestimmte Container nicht verladen wurden.
Die Auswirkungen werden nach Einschätzung des Berliner Mercator Instituts für Chinastudien (Merics) sowohl die Verbraucher als auch die Industrie spüren. Deutsche Einzelhändler verkauften eine große Auswahl in China hergestellter Produkte, von Elektronik über Möbel und Kleidung bis zu Spielwaren, sagt Merics-Analyst Jacob Gunter.
Die Industrie litt schon vor dem Ukraine-Krieg und dem Lockdown in Shanghai unter großem Nachschubmangel. "Wir gehen davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Tagen und Wochen weiter verschärfen wird, weil bisher noch Schiffe ankamen, die den Hafen Shanghai vor der Schließung verlassen haben", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in München. "Die eigentlichen Folgen des Lockdowns in Shanghai werden wir erst in einiger Zeit, dann aber sehr drastisch spüren."
Der Hafen Shanghai ist der größte der Welt, die Stadt und ihr Hinterland eine Industrieregion von weltweiter Bedeutung. Den größten Anteil bei chinesischen Exporten von Industriekomponenten haben nach Angaben des Mercator-Instituts elektronische Bauteile und Computer aller Art. "Für Deutschland besteht außerdem das Risiko übermäßiger Abhängigkeit von China als Exporteur und Verarbeiter von Schlüsselrohstoffen, vor allem in der Automobilindustrie", sagt Merics-Analyst Gunter. Als Beispiele nennt er Kobalt und Lithium für die Herstellung von Elektroauto-Batterien.
Der Analyst geht davon aus, dass die chinesischen Lockdowns eine Art weltumspannenden Welleneffekt haben werden: "Wenn ein Komponentenlieferant in Japan, Großbritannien oder Mexiko seinerseits am Beginn der Lieferkette Zulieferer in China hat, kann das Auswirkungen auf deren Produktion haben." Die Folge wäre dann limitierter Nachschub für deutsche Unternehmen, die am Ende der Lieferkette stehen.
Dass Lieferungen aus China komplett zum Erliegen kommen, ist aber nicht zu befürchten: "Ein Rückgang des Frachtvolumens in westlicher Richtung wegen des Lockdowns in Shanghai ist zu erwarten, aber das wird ein begrenzter sein", sagt eine Sprecherin des Rotterdamer Hafens.
Der Effekt des Lockdowns in Shanghai und anderer rigider Covid-Beschränkungen in China macht sich in Europa mit erheblicher Verzögerung bemerkbar, weil eine direkte Schiffsreise schon vor Beginn der Corona-Pandemie 30 bis 40 Tage dauerte.
Üblicherweise werden mehrere Häfen angelaufen, so dass die normale Laufzeit eines Containers an die 80 Tage beträgt. Seit zwei Jahren bringt Covid die Fahrpläne durcheinander. Derzeit sind Containerschiffe laut Schifffahrts-Datenbank Alphaliner im Schnitt 101 Tage unterwegs. Das wiederum bedeutet, dass die Schiffe mit mindestens drei Wochen Verspätung wieder retour Richtung Ostasien fahren, und dort dann für die nächste Fahrt Richtung Europa fehlen.
Der Lockdown in Shanghai begann Ende März und sollte eigentlich nur ein paar Tage dauern. Mittlerweile sind die Beschränkungen gelockert, doch eine Rückkehr zur Normalität ist nicht in Sicht. Der Shanghaier Hafen stand zwar nie still, aber der Transport in und aus dem Hafen wurde hart getroffen, wie die Sprecherin des Rotterdamer Hafens erläutert. Und auch in anderen Regionen Chinas können viele Fabriken nur eingeschränkt produzieren, weil Personal und Lieferungen blockiert sind.
Für chinesische Beamte in Bezirken, Landkreisen, Städten und Provinzen sei die wichtigste Ausgabe, Covid fernzuhalten, sagt Merics-Analyst Gunter. "Viele haben extreme Beschränkungen erlassen, um Einreise oder sogar Durchfahrt durch ihre Jurisdiktionen zu verhindern." Mit der Covid-Bürokratie konfrontierte Lkw-Fahrer nehmen demnach den Kampf um die Vielzahl der nötigen Sondergenehmigungen häufig erst gar nicht auf, sondern fahren einfach nicht.
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel stellte bis zur vergangenen Woche noch keinen Rückgang der Importvolumina in Rotterdam oder Hamburg fest. "Auch in den kommenden Wochen dürfte sich der Effekt auf die Häfen in der Nordsee in Grenzen halten, da sich auch in der Nordsee ein Stau aufgebaut hat, quasi ein Puffer", sagt Ökonom Vincent Stamer.
Doch Mitte Mai war laut IfW das Frachtvolumen im Roten Meer fast ein Fünftel niedriger, als es in normalen Zeiten zu erwarten gewesen wäre. Naturgemäß steuern nicht alle Schiffe im Roten Meer Rotterdam oder Hamburg an. Doch ist dies ein Indiz, dass Lieferungen ausbleiben. (dpa)