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Syrische Flüchtlinge in türkischen Textilfabriken

Von Simone Preuss

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Business |HINTERGRUND

Derzeit leben 2,73 Millionen syrische Migranten in der Türkei. Viele besitzen wertvolle Qualifikationen, die der starken Textil- und Bekleidungsindustrie des Landes zugute kommen könnten. Und tatsächlich tauchten syrische Migranten (und ihre Kinder) in türkischen Fabriken auf, sobald der Flüchtlingsstrom begann, ist doch die Türkei das drittwichtigste Beschaffungsland für BSCI-Teilnehmer. Leider arbeiten syrische Migranten dort nur selten offiziell und legal, und internationale Auftraggeber haben oft keine Ahnung, dass sie bereits Teil ihrer Lieferkette sind.

Ein Webinar des Außenhandelsverbands FTA in der letzten Woche mit dem Titel „Migrant Workers in Turkey - Top 3 Issues Identified in the Supply Chain“ beschäftigte sich mit diesem Problem und den entstehenden sozialen Risiken der Lieferkette. Zu den Herausforderungen für syrische Migranten gehören die Beschaffung der notwendigen Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis, sowie logistische Fragen, sobald sie beschäftigt sind, und die Bedingungen am Arbeitsplatz. Thematik-Expertin Muge Tuna machte darauf aufmerksam, dass es von den 2,73 Millionen syrischen Migranten bis Mai 2016 erst 8.000 geschafft hatten, die notwendige Arbeitserlaubnis zu bekommen.

Maren Barthel, CR-Managerin für die Otto Group, schätzt (vorsichtig) ein, dass rund 15-25 Prozent ihrer Hersteller in der Türkei 2015/16 syrische Flüchtlinge beschäftigten. Eine jüngste Umfrage der Business Social Compliance Initiative (BSCI) zeigte jedoch, dass 95 Prozent der befragten Unternehmen angab, keine Arbeiter aus Syrien zu beschäftigen, während 51 Prozent der internationalen Auftraggeber dazu keine Angaben machen konnten, da sie keine komplette Kontrolle über ihre Lieferkette haben.

15-20 Prozent der Fabriken beschäftigen syrische Migranten

Laut Barthel, die erst kürzlich von einem sechsjährigen Aufenthalt in der Türkei zurückkehrte, sind Arbeitgeber mit den legalen Vorgaben durchaus vertraut und wissen, wenn sie zu viele Migranten beschäftigen oder dies ohne die nötigen Papiere tun - in der Türkei gilt die 10 Prozent-Regel, wonach nur 10 Prozent aller Beschäftigten Ausländer sein dürfen. Kommt es zu einer Betriebsprüfung - die in den meisten Fällen angekündigt wird - sind die ausländischen Arbeiter eben an diesem Tag nicht anwesend.

Die erfahrene CR-Managerin wies darauf hin, dass internationale Auftraggeber diese Situation vermeiden können, wenn sie Augen und Ohren offen halten und vertrauenswürdige Leute in der jeweiligen Fabrik beschäftigen. Sie sollten auch nach Bargeld-Zahlungen an Arbeiter schauen, denn diese sind verboten und könnten auf ein illegales Beschäftigungsverhältnis hindeuten. Barthel betonte auch, dass es wichtig sei, den Wert von Migranten als qualifizierte Arbeitskräfte nicht zu vergessen, ebenso wenig wie ihre schwierige und gefährdete Lage, die leicht ausgenutzt werden könne.

Yakut Oktay, Auditierungskoordinator für die FTA, gab über die rechtiche Lage der Migranten in der Türkei Aufschluss: Obwohl selbst illegale Migranten (d.h. solche ohne Pass) von der türkischen Regierung als Gäste betrachtet werden, müssen sie sich eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis beschaffen. Wie bereits oben erwähnt, müssen Unternehmen die 10-Prozent-Regel beachten, wenn sie Migranten als Arbeiter einstellen.

Bestimmte Fristen sind auf jeden Fall einzuhalten und insgesamt ist die Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht einfach; schwieriger sogar im Falle einer Arbeitserlaubnis, da diese laut eines neuen Arbeitsgesetzes nur ausgestellt werden kann, wenn der Antragsteller bereits einen Arbeitsvertrag hat. Zudem muss der Arbeitsgeber beweisen, dass keine geeigneten türkischen Arbeitskräfte für den Job vorhanden sind. Ein auf sechs Monate begrenzter Schutzstatus, der normalerweise vor der Aufenthaltsgenehmigung vergeben wird, ist auch mit der Einhaltung von Fristen und einigen Behördengängen verbunden.

Barthel warnt davor, angesichts dieser Schwierigkeiten die Einstellung syrischer Migranten als „vermeidbares Risiko“ zu sehen, da diese Einstellung den Weg für weitere illegale Aktivitäten bereiten würde. Falls illegale Migranten in Zulieferfabriken gefunden werden, rät sie, diese Arbeiter nicht zu entlassen, da dies ihre Situation verschlimmern würde. Sie müssen die gleiche Behandlung erhalten wie die anderen Arbeiter und ihr Arbeitsverhältnis muss offiziell gemacht werden, was zugegebenermassen schwierig ist, aber nur so lasse sich in einem legalen Rahmen agieren.

Migranten müssen anderen Arbeitern gleichgestellt sein

Zwei goldene Regeln sollten laut Barthel im Umgang mit Zulieferern und Arbeitern beachtet werden: die Kooperation mit lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen, zum Beispiel den Vereinten Nationen, und Klarheit, was Richtlinien angeht, wenn neue Zuliefer rekrutiert werden. Zudem ist besondere Vorsicht geboten, wenn dies durch Mittler oder Makler geschieht, da klar sein muss, dass die Fabrik die Verantwortung übernimmt, sobald ein Beschäftigter zum ersten Mal die Fabrik betritt, um seine Arbeit anzutreten. Dies ist besonders relevant, wenn es Altersauflagen geht.

Abschließend wies Darrel Doren, Leiter für Nachhaltigkeit beim FTA, auf Trends und weltweite Auswirkungen der wachsenden Migrantenströme hin. Auf jeden Fall sollte bedacht werden, dass der Migrationstrend zukünftig nicht weniger, sondern mehr werden wird: Heute ist bereits einer von 122 Menschen entweder ein Vertriebener, Flüchtling oder Asylsuchender.

Zudem wird der Anteil von Frauen weiter wachsen und den der Männer übertreffen, was die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz auch in dieser Hinsicht relevant macht. Die Hälfte aller Migranten werden Kinder und Jugendliche sein; ein weiteres Problem, dem sich die internationale Gemeinschaft stellen muss (Marken wie H&M und Next tun bereits etwas dagegen). Was die Richtlinien für Auftraggeber angeht, so sollten auf jeden Fall die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation und die BSCI-Richtlinien beachtet werden; ein zusätzliches Dokument wird derzeit entworfen und sollte Mitgliedern bald zur Verfügung stehen.

Fotos: Simone Preuss ; Wilhelmine Wulff / pixelio.de

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