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Ulla Ertelt, HML Modemarketing: „Das Lebensgefühl der Menschen in der nächsten Saison umsatzmäßig zu treffen wird eine große Herausforderung.“

Von Weixin Zha

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Business |Interview

Bild: Ulla Ertelt, Geschäftsführerin von HML Modemarketing in Frankfurt

Nach einer Zeit ohne Mode müssen Bekleidungshändler mutiger in die SS22-Saison gehen, sagt Ulla Ertelt. Die Geschäftsführerin des Frankfurter Marktforschungsunternehmen HML Marketing erfasst mit ihren Umfragen rund 98 Prozent des deutschen Bekleidungsmarktes und kennt ihn wie kaum eine andere.

Im Interview erzählt Ertelt, wo sie den Bekleidungsmarkt Ende des Jahres sieht und auf welche Veränderungen im Kundenverhalten sich Modeunternehmen nach der Pandemie einstellen müssen.

Die Frühjahr/Sommersaison neigt sich langsam dem Ende zu. Wo steht der deutsche Bekleidungsmarkt laut Ihrer jüngsten Verbraucherumfrage jetzt?

Zum 1. Juni haben wir unsere Befragung von Februar bis Ende Mai abgeschlossen. In diesen vier Monaten haben wir einen Wertverlust über alle Kaufkanäle von insgesamt 19,4 Prozent in der DOB gehabt – und in der Menge von 14,6 Prozent, in der HAKA -21,4 Prozent im Wert und -15,3 Prozent in der Menge. Das heißt, dass preiswerter eingekauft wurde. Der Preisrückgang liegt im Schnitt bei 5,6 Prozent.

Wie sieht das im Damenmode-Bereich auf die einzelnen Marktsegmente aufgeteilt aus?

Bemerkenswert ist, dass der gehobene Markt – wir nennen ihn A-Markt – nur um 18,8 Prozent zurückgegangen ist. Auch hier wurde weniger gekauft. Das ist der Markt, der mit 20 Prozent der Frauen, 60 Prozent der DOB-Umsätze ausmacht, und unglaublich fachhandelsrelevant ist.

Der Markt der Mitte, oder B-Markt hat 21 Prozent verloren, also deutlich mehr. Dieser casual-orientierte Markt, der in der Regel nur zwei Garderoben – eine für den Alltag und eine besondere Anlässe – kennt, hat durchschnittlich 6,5 Prozent vom Preis her verloren. Das heißt er ist in der Corona-Zeit hoch preissensibel geworden.

Und trifft das auch auf den preisgünstigsten Markt in Deutschland zu?

Der C-Markt, der 50 Prozent der Deutschen umfasst, hat 19,7 Prozent an Wert verloren, und 13,6 Prozent in der Menge. Das heißt die Menschen haben noch preisgünstiger eingekauft, obwohl der Preismarkt der Bereich ist, in dem eher kein Homeoffice stattfindet.

Das heißt ein Großteil der deutschen Frauen schaut seit Beginn der Pandemie sehr genau auf den Preis. Woher stammen die Unterschiede im Kaufverhalten zwischen dem gehobenen A-Markt und dem mittleren B-Markt?

Im A-Markt haben Menschen hochwertige Bekleidung gekauft, teilweise haben sie sogar mehr Geld ausgegeben. Das heißt in den A-Märkten ist deutlich mehr Geld vorhanden als in den B-Märkten. Die B-Märkte sind sehr viel mehr von den strukturellen Umstellungen in der Industrie und dem Dienstleistungsbereich betroffen. Denken Sie beispielsweise an die ganzen Banken- und Sparkassenfilialen, die im Moment schließen. Das mittlere Management, was aufgrund von Digitalisierung in den Firmen abgebaut wird, das sind die Arbeitsplätze, die verloren gehen. Diese Haushalte sind verunsichert und kaufen entsprechend zurückhaltend und Wert optimierend ein.

Und wo kaufen diese Kunden aus dem mittleren Markt jetzt ein?

Die Menschen gehen weniger in den Fachhandel und greifen deutlich mehr zu Angeboten, die günstiger sind. Für mich ist im Prinzip jetzt eine Zeit ‘of no fashion’. Die Menschen kaufen vor allem Casual-Mode ein, wo die Vergleichbarkeit der Produkte im Internet zu sehen ist. Die Zielgruppe im B-Markt nimmt das Produkt, was vergleichbar aussieht, aber deutlich günstiger ist.

Stichwort Internet. Über welche Kanäle decken sich die Menschen derzeit ein?

Nach den schrittweisen Eröffnungen ab Frühjahr bis Mai haben wir jetzt deutlich eine Wendung im Juni erfahren. Die Menschen gehen wieder in Geschäfte rein, fassen Waren an und lassen sich inspirieren. Die anspruchsvolle, modische Kundin im A-Markt ist auch wieder mit Begeisterung in die Stadt gegangen und hat sich dort beraten lassen und sich die Sortimente angeschaut. Sie ist aber in weniger Geschäfte gegangen, es ist mehr ein bewusstes Kaufen in den Lieblingsläden. Hier war die Transformationsquote Besucher zu Käufer im Fachhandel deutlich besser als in der Vor-Corona-Zeit.

Wie spiegelt sich die Marktentwicklung auf der Einkaufsliste der Menschen wieder?

In der Entwicklung des Warenkorbes sind weiterhin die T-Shirts die Gewinner, das heißt alle Jerseywaren. Sie haben im Frühjahr nur bei minus 6 Prozent gelegen. Wenn man sich den Warenkorb anschaut, sind hochwertigere Teile wie Blusen und Kleider deutlich weniger gekauft worden, diesen Umsatz können T-Shirts nicht wettmachen. Hier liegt der Durchschnittspreis bei 11,48 Euro.

Das Umsatzplus wird jetzt aufgrund der Verschiebung des Warenkorbs entstehen. Man sieht jetzt schon im Juni, dass die Kleider wieder anziehen. Wir haben auch eine sehr starke Rockmode international, dazu kommt die Bluse. Das sind die Warengruppen, die den Markt zur Zeit treiben. Das was im Frühjahr den Markt noch gehalten hat, war das kalte Wetter in Deutschland – sodass wir außergewöhnlich lange noch Strick und Outdoormäntel verkauft haben.

Wie denken Sie, dass der Modemarkt in diesem Jahr abschneiden wird?

Der B-Markt ist der Bereich, der momentan am passivsten ist. Das war auch im vergangenen Jahr schon so. Der A-Markt wird nach der Krise richtig kräftig anziehen und garantiert sein Vor-Corona-Niveau erreichen, wenn er nicht sogar darüber liegen wird. Es besteht hier ein hoher Rückstau im Kaufbedarf der Kundin, in der Neuausrichtung von Modetrends und in der Erneuerung der Garderobe.

Wenn die Geschäfte weiter aufbleiben, kann ich mir vorstellen, dass der A-Markt am Ende des Jahres nur bei einem einstelligen Minus landet. Der B-Markt wird auf jeden Fall im zweistelligen Minus landen, weil die Kundinnen dort preissensibler einkaufen.

Einige Trendforscher und Einkäufer gehen davon aus, dass die Tendenzen für die kommenden Monate und SS22 gegensätzlich sind – also gemütliche Homewear und Partykleider zum Ausgehen. Sehen Sie das auch so?

So eine abrupte Veränderung des Alltags wie die Pandemie führt zu einer Veränderung des Bewusstseins über die eigene Normalität. Und jetzt sind wir soweit, dass unser Alltag neue Konturen angenommen hat. Wir haben einmal den Trend, der den ganzen Outdoor-Bereich betrifft – das sich Bewegen in der Natur, das mehr zuhause sein, das veränderte Fortbewegungsverhalten. Auf der anderen Seite ist der Bereich, der den Auftritt und die Inszenierung ausmacht. Das glaube ich, ist für die Mode ein Kraftakt, weil wir im Moment wenig Inspiration hatten aufseiten der Kreativen und das Lebensgefühl der Menschen tatsächlich in der nächsten Saison umsatzmäßig zu treffen wird eine große Herausforderung.

Woraus besteht für die Saison SS22 diese Herausforderung? Lohnt es sich ins Risiko zu gehen?

Normalerweise haben Einkäufer Listen, worauf steht, was sie gut verkauft und schlecht verkauft haben. Und die gibt es in diesem Fall nicht. Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation im Alltag, die sich im veränderten Bekleidungsverhalten und in einer Auszeit von Mode äußert. Es hat ja keine Mode in der Zeit gegeben und jetzt startet sie wieder. Das ist eine Riesenchance, kuratierte Modethemen zusammenzustellen und die auch dem Verbraucher nahezubringen – für alle Zielgruppen. Da gehört Modemut dazu.

Zu den Veränderungen des Verbraucherverhaltens, die Sie bei ihren Umfragen beobachten, gehört auch, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen aktiver auf sozialen Medien geworden sind.

Der Modejournalismus ist von den klassischen Zeitschriften auf Instagram gewandert. Die Nutzung in den modisch interessierten Zielgruppen ist deutlich höher geworden, aber auch in der Klassik ist er gar nicht so schlecht. Immerhin 20 Prozent der Klassiker informieren sich mittlerweile darüber. Vor der Pandemie ist kaum eine Frau über 30 auf Instagram gegangen, über 70 Prozent des Marktes hat sich also gar nicht damit beschäftigt.

Der mediale Austausch von Mode wird nach Corona eine Entwicklung einnehmen, die noch spannend sein wird. Bei der Generation der Großeltern, die mit ihren Enkeln chatten, hat sich die Facebooknutzung verdoppelt. Sie sind auch mit den Sozialen Medien viel vertrauter geworden. Da entstehen gerade unglaubliche Chancen für neue Kommunikationsformen.

Das heißt die großen Modetrends, die jeder haben wollte, wird es – auch wegen der Sozialen Medien – so nicht mehr geben?

Die alte Einheit der Kommunikation von Fashiontrends ist durch Corona gebrochen worden. Jetzt wird es ganz spannend, wie diese zersprengten, inselförmigen Informationen Trends auslösen. Man muss abwarten, welche Influencer sich für die wesentlichen Teile der Märkte, die tatsächlich Umsatz generieren, entwickeln werden.

Was bedeutet diese Entwicklung für Modehändler jetzt?

Mainstream kann nur einen Modeumsatz machen, wenn es ein Mainstream wird. Wenn es keinen Mainstream gibt, gibt es nur zerklüftete Kleinteiligkeit. Meine Empfehlung ist, dass die Einkäufer kuratiert klare Sortimente machen und eine dieser Informationsinseln werden. Die Never-Out-of-Stock-Beschaffung wird zunehmend über das Internet passieren und das, was wirklich Modethemen sind, was man anfassen und sehen will – das sind Themen, die der Einzelhandel frequenz- und umsatzfördernd einsetzen können wird.

Jeder Einzelhändler muss sich jetzt Gedanken darüber machen, inwieweit er mit seiner zukünftigen Marketingkommunikation, über welche Kanäle, welche Kunden erreicht. Das halte ich für eine absolut elementare Anpassung an die Nach-Corona-Zeit des Einzelhandels.

Gemeinhin wird angenommen, dass die Menschen seit der Pandemie nachhaltiger einkaufen, inwieweit stimmt das?

Frauen über 50 Jahren im Premium-Segment kaufen mittlerweile über 20 Prozent, teilweise bei über 30 Prozent, nachhaltige Mode ein. Aber sie kauft nicht nachhaltig ein, um die Umwelt zu schonen. Es ist ihr Lifestyle gesunde Produkte zu essen und „gesunde“ Kleidung zu tragen. Es geschieht also eher aus der Individualität des Selbstschutzes heraus.

Bei den jungen Leuten zwischen 15 und 25 Jahren, die Teil der Fridays-for-Future-Bewegung sind, haben wir einen Anstieg auf über 30 Prozent gesehen. Aber im mittleren Markt, wo der Preisdruck entsteht, haben wir einen Rückgang von 19 auf 14 Prozent im nachhaltigen Kleidungskauf.

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