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Vertikalisierung - wie ein Modelabel seine eigene nachhaltige Fabrik in der Türkei eröffnete

Von Simone Preuss

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Business |Interview

Aufwendige Brautkleider von Idina Brautmoden. Bild: Idina

Für viele erfolgreiche Modelabels stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, vertikal zu expandieren, also zum Beispiel in eine eigene Fabrik zu investieren. Viele schrecken davor zurück, denn es braucht viel Fachwissen, Erfahrung in diesem Bereich, aber auch ein gutes Maß an Durchhaltevermögen und Durchsetzungsvermögen. Vor allem für Unternehmerinnen scheint dieser Schritt eine schwierige Aufgabe zu sein, da historisch gesehen Männer die meisten Positionen in der Produktion innehatten. 

FashionUnited sprach mit Nadine Bejou, der arabischen Gründerin der in Seattle ansässigen Labels Idina Bride und Nadia's Eveningwear. Nach ihrem Erfolg mit dem Verkauf von Prom-Kleidern, Abendgarderobe und Brautkleidern in den Vereinigten Staaten beschloss Bejou, ihre eigene nachhaltige Fabrik in Istanbul in der Türkei zu eröffnen. FashionUnited sprach mit ihr in einem E-Mail-Interview über die Herausforderungen und Errungenschaften dieses mutigen Schrittes.  

Idina- und Nadia’s Eveningwear-Gründerin Nadine Bejou. Bild: via Coded Agency

Könnten Sie bitte näher erläutern, was Sie dazu veranlasste, eine nachhaltige Fabrik in Istanbul zu eröffnen?

Da ich zwei Standorte im Nahen Osten habe, lag es nahe, zu meinen Ursprüngen zurückzukehren und eine nachhaltige Fabrik zu gründen, die meine eigene ist. Ich wollte auch syrischen Flüchtlingen eine Chance auf ein besseres Leben geben, indem ich sie als Arbeiter:innen einstelle und ihnen ein höheres Einkommen zahle als den meisten in der dortigen Modeindustrie. Nadia's Eveningwear stellt kleine Mengen von Stücken her, die sich gut verkaufen, und schafft so eine schöne und nachhaltige Linie. 

Abendkleid-Bestseller Fafi in Schwarz und Millie in Rot und Königsblau. Bild: Nadia’s Eveningwear

Als wir mit der Herstellung unserer Kleider begannen, arbeiteten wir zunächst mit einer Fabrik zusammen, die sich im Besitz eines größeren Herstellungsbetriebes befand und von diesem betrieben wurde. Dies ist in der Regel der sicherste finanzielle Weg, wenn man neu anfängt, da diese Fabriken bereits über alle notwendigen Materialien, Mitarbeitenden und Maschinen verfügen. Viele etablierte Designer:innen in der Branche arbeiten auf diese Weise, insbesondere bei größeren Stückzahlen.  

Die Schwierigkeit bei der Nutzung einer Fabrik, die mir nicht gehörte, bestand jedoch darin, dass ich nur sehr wenig Kontrolle über Mengen, Qualität und Nachhaltigkeit hatte. Diese Arten von Fabriken erwarten eine größere Mindestbestellmenge, was zur Verschwendung beiträgt, wenn man keine größere Menge an Waren verkauft. Außerdem wurde die Qualitätskontrolle des Bestands zu einer schwierigen Aufgabe, da wir im Laufe des Prozesses viele Qualitätsprobleme feststellten, die ebenfalls zu einer großen Verschwendung von Zeit und Stoffen führten. 

Ich stieß zum Beispiel auf Stoffänderungen und auf die Verwendung billigerer Stoffe für meine Entwürfe, die ich nicht genehmigt hatte. Ich habe mich sehr bemüht, ethische und schadstofffreie Stoffe zu nutzen, aber das war bei diesen Fabriken, die sehr darauf bedacht waren, Textilien von herstellenden Betrieben zu verwenden, mit denen sie bereits ein Netzwerk hatten, nur schwer möglich. 

Die Abendkleider Vegas, Gia und Antalya. Bild: Nadia’s Eveningwear

Wir haben mehrere Jahre lang mit einigen dieser Fabriken zusammengearbeitet, aber mit jeder dieser Fabriken gab es eine Reihe von Problemen, von Produktionsverzögerungen bis hin zu Qualitätsproblemen. Das hat mich schließlich dazu veranlasst, meine eigene Fabrik in kleinerem Maßstab zu gründen, damit ich etwas mehr Kontrolle über die Qualität und die Menge der von uns produzierten Stücke habe und die Stoffbeschaffung mit den nachhaltigen Textilherstellern beibehalten kann, zu denen ich bereits Beziehungen aufgebaut habe.

Wie viele Mitarbeiter:innen haben Sie derzeit und was ist deren Hauptaufgabe??

Mein gesamtes Team besteht aus engagierten und hart arbeitenden Menschen, die vor dem dem Krieg in Syrien geflohen sind. Wir beschäftigen insgesamt sechs Flüchtlinge in Vollzeit. Wir haben zwei Mitarbeitende, die Schnittmuster erstellen und mir helfen, meine Entwürfe zum Leben zu erwecken, außerdem eine Person, die Stoffe zuschneidet und drei, die sie nähen.  

Wie lässt sich Ihre Fabrik im Vergleich zu anderen in Bezug auf Löhne und Sozialleistungen vergleichen?

Wir bieten Sozialleistungen und Löhne, die 50 Prozent über dem Durchschnittslohn in der Branche liegen. Wir halten eine 40-Stunden-Woche ein, während der Standard bei 45 Stunden liegt. Alle Mitarbeiter:innen erhalten ein Gehalt, das deutlich über dem existenzsichernden Lohn in Istanbul liegt, sowie Krankenversicherungsleistungen und ein wöchentliches Essensgeld, das unser Unternehmen bezahlt. Sie arbeiten nicht mehr als acht Stunden am Tag und haben zwei Wochen bezahlten Urlaub und Krankheitszeiten, die allen Mitarbeiter:innen gewährt werden. Da wir ein kleineres Familienunternehmen sind, tragen die Betreuung und das Wohlergehen meiner Mitarbeiter:innen zum Erfolg unseres Unternehmens bei. Deshalb bemühen wir uns aktiv um die Zufriedenheit unseres Teams am Arbeitsplatz, indem wir ein Umfeld bieten, das sicher ist und in dem es Spaß macht zu arbeiten.

Was macht die Fabrik nachhaltig?

Als Fabrik, die mit anderen Unternehmen zusammenarbeitet, stellen wir sicher, dass wir mit gleichgesinnten Unternehmen zusammenarbeiten, die sich ebenfalls um Nachhaltigkeit bemühen. Wir arbeiten nur mit Fabriken und Stofflieferanten zusammen, die nachhaltige Maßnahmen ergreifen. Das beginnt bei der Belegschaft und der Sicherstellung, dass ihr Team gut versorgt ist, denn das ist definitiv ein Problem in der Branche, da so viele Fabriken die Menschen auf dieser Seite der Welt ausnutzen.

Welche Hürden mussten Sie bei diesem Unterfangen überwinden? War es schwieriger als Frau, da die Branche ziemlich von Männern dominiert wird?

Eine der größten Hürden, mit denen ich zu kämpfen hatte, war die Tatsache, dass ich eine Frau in einer Führungsposition in dieser Branche war. Historisch gesehen haben Männer die Mehrheit der Arbeitsplätze in der herstellenden Industrie inne, insbesondere in leitenden Positionen oder als Besizter. Außerdem leiten viele dieser Personen Unternehmen, die sich seit Generationen in Familienbesitz befinden. Den Kreislauf der Tradition zu durchbrechen war also nicht gerade das, was ich mir vorgenommen hatte. Ich musste lernen, mich in diese Kreisen einzuführen und mich zu behaupten, um nicht ausgenutzt zu werden.  Es kostete mich viel Geduld und Überzeugung, mein Unternehmen richtig darzustellen, damit ich denselben Respekt bekam wie andere Unternehmen.

Was würden Sie Gleichgesinnten raten, die ihre eigene Fabrik eröffnen möchte??

Ich denke, der erste entscheidende Schritt, den man tun muss, ist, sich so viel wie möglich mit der Branche auseinanderzusetzen. Dadurch habe ich viele Schlupflöcher entdeckt und viel über das System und seine Funktionsweise gelernt. Man sollte sich nicht scheuen, immer wieder Fragen zu stellen, und sich mit Leuten aus der Branche austauschen, die das schon seit vielen Jahren tun. Es mag einfach klingen, nachhaltig zu beginnen, aber es gibt einen Grund, warum viele das nicht tun. Das erste, was ich wirklich verstehen wollte, war, warum so viele Fabriken diese Bemühungen nicht in die Tat umsetzen, damit ich weiß, was ich vermeiden muss und wie ich in meinem Bestreben erfolgreich sein kann.

Die Abendkleider Vegas, Roberto und Rio. Bild: Nadia’s Eveningwear
Idina
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