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„Ethischen Einzelhandel gibt es nicht, er kann aber die Lösung sein, um die Modebranche nachhaltig zu gestalten“

Von Sarah Vandoorne

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Einzelhandel|Interview
Foto via Unsplash

Die Nachhaltigkeitsforscherin Talia Hussain ist der Meinung, dass der Einzelhandel eine wichtige Rolle dabei spielen kann, die Textilindustrie nachhaltiger zu machen. Derzeit schreibt sie eine Doktorarbeit zu diesem Thema an der Universität Loughborough.

Für ihre Doktorarbeit an der Universität Loughborough befragte Hussain Verbraucher:innen, die sich für Nachhaltigkeit interessieren. Ohne das Wort "Schuld" oder "Konsumschuld" in den Mund nehmen zu wollen, waren so gut wie alle Befragten mit ihrer Wahl überfordert, erzählt sie FashionUnited via Zoom. "Sie versuchen so viel wie möglich gebraucht zu kaufen und mehr mit Kleidung zu machen. Aber wenn sie einkaufen gehen müssen, tun sie sich schwer mit ihren Einkäufen, weil sie nicht alles perfekt machen können. Und das bei einer Konsument:innengruppe, die sich überdurchschnittlich stark für Nachhaltigkeit einsetzt", betont sie.

Es helfe nicht, betont die Wissenschaftlerin, dass wir jederzeit und überall die Möglichkeit hätten, einkaufen zu gehen. „Einkaufen hat unser ganzes Leben übernommen. Es kommt in jedem Aspekt unseres Lebens vor: zum Beispiel, wenn wir ein Museum, einen Flughafen oder eine Andachtsstätte besuchen. In den Vereinigten Staaten gibt es Kirchen, nennen wir sie „Megakirchen“, die einen Teil ihres Einkommens aus dem Einzelhandel beziehen. Es ist auch eine Möglichkeit, Kirchgänger:innen anzulocken, die nicht nur am Beten, sondern auch am Einkaufen interessiert sind. Diese Art von "Mega-Kirche" scheint genau auf die Frage zu antworten: Was würde Jesus kaufen?“

Hussain muss über ihren eigenen Kommentar lachen, bevor sie wieder ernst wird und ihre Argumentation fortsetzt. "Unsere Smartphones haben offensichtlich nicht geholfen. Dank der Technologie und des elektronischen Handels können wir rund um die Uhr einkaufen, sogar auf der Toilette. Jahrzehntelang wurde unsere Wirtschaft vom Einkaufen dominiert. Nach 9/11 rief US-Präsident George W. Bush seine Landsleute auf, nicht untätig herumzusitzen, sondern ... einkaufen zu gehen. Auch in der Corona-Krise, drängte der damalige britische Premierminister Boris Johnson die Bevölkerung, die Wirtschaft durch massenhaftes Einkaufen zu reaktivieren. Ist das wirklich eine nachhaltige Botschaft?"

Forscherin Talia Hussain. Bild: Talia Hussain

Retail als heiliger Gral?

Gerade die Geschäfte, die uns konstant umgeben, können zur Lösung des Nachhaltigkeitsproblems beitragen. „Es ist ja nicht so, dass wir auf Kleidung verzichten können. Wir brauchen Kleidung, aber was wir im Moment am meisten brauchen, sind Möglichkeiten, sie auf bessere Weise herzustellen, mit weniger schädlichen Stoffen und Verfahren. Einzelhändler:innen können dabei als Gatekeeper fungieren und ihre Erfahrungen an die Verbraucher:innen weitergeben".

Hussain fällt auf, dass die bisherige akademische Forschung diesen Weg noch nicht gegangen ist. „In der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Einzelhandel geht es im Allgemeinen darum, wie man Menschen dazu motiviert, mehr und nicht weniger zu kaufen“, bemerkte sie. Dies steht im Gegensatz zu Marken, die Verbraucher:innen dazu ermutigen, weniger zu konsumieren, wie etwa Patagonia. Die Outdoor-Marke von Yvon Chouinard, der kürzlich sein Unternehmen verschenkte, tat dies zuvor mit der Kampagne Kauf diese Jacke nicht. Das entpuppte sich neben einer sensibilisierenden Botschaft vor allem als cleveres Marketing: Genau dieser Slogan sorgte für einen sprunghaften Anstieg der Verkaufszahlen.

Irgendwie ist es nicht so überraschend, dass Wissenschaftler:innen bisher wenig über die Reduzierung des Konsums gesprochen haben, stellt Hussain fest. „Einzelhändler:innen sind Teil desselben Wirtschaftssystems wie die Hersteller:innen, die Umwelt- und Menschenrechte missachten. Auch die Miete müssen sie noch bezahlen. Das können sie nur, wenn sie eine bestimmte Menge an Kleidung verkaufen können.“

„Insofern“, bleibt Hussain kritisch, „ist ethischer Einzelhandel ein Widerspruch. Einzelhändler:innen sagen, dass sie sicher weniger kaufen können, aber sie müssen immer noch verkaufen, um zu überleben und die Miete bezahlen zu können."

Zum Thema Mieten führt Hussain weiter aus. „Es ist logisch, aber gleichzeitig ist es ironisch, dass die höchsten Mieten in den Regionen mit Straßen verlangt werden, in denen der meiste Verkehr herrscht. Vermieter:innen wissen, dass Einzelhändler:innen dort aus ihren Räumlichkeiten am meisten Kapital schlagen können".

„Außerdem zeigt die Forschung", fährt sie fort, "dass es viel mehr Mühe kostet, neue Kund:innen zu finden, als den bestehenden Kund:innen noch mehr aufzudrängen. Auch hier zeigt sich der Widerspruch zwischen dem Verkauf und dem Aufruf zum Konsum. Denn um zu überleben, geht es nach wie vor um mehr und nicht um weniger!"

Nachhaltigkeitsszenarien für eine bessere Welt

Wie löst man diesen inhärenten Widerspruch? Talia Hussain lässt uns wissen, dass man die Antwort in ihrer Doktorarbeit finden wird. „Bis jetzt habe ich die Lösung nicht gefunden. Deshalb gehe ich meiner Promotionsforschung getrennt von der aktuellen wirtschaftlichen Realität nach.“ Lassen Sie uns vorspulen, schlägt Hussain vor, in eine "schöne Zukunft, in der die oben genannten Probleme wie Mieten keine Rolle mehr spielen". In der sich die Rolle der Händler:innen als Kurator:innen durchsetzen kann.

„Oder stellen Sie sich vor, dass Farbe zu einer Dienstleistung wird und nicht zu einer Entscheidung, die Marken treffen, bevor sie in die Produktion gehen", nennt Hussain ein letztes Beispiel. „Wenn man Kleidung online bestellt und zurückschickt, ist es oft, weil die Farbe doch anders ist, als man dachte. Wäre es nicht besser, wenn die Farbe eines Kleidungsstücks erst beim Kauf festgelegt werden würde, so wie die Farbe einer Wand oder die Farbe eines Autos? Dann geht auch weniger Kleidung verloren."

Einige Szenarien entwickelt Hussain für ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Nachhaltigkeitsszenarien“. Welche das sind, behält sie für sich – ihre Abschlussarbeit wird sie erst Ende März abgeben. Was die Szenarien aber eindeutig gemeinsam haben, ist, dass die Kleidung beim Kauf nicht fertig sein muss. Mit anderen Worten: Der Handel kann in Zukunft wegkommen vom „Fertigprodukt“, auf das er seit Jahren setzt.

„Die Verbraucher:innen, mit denen ich gesprochen habe, wollen hauptsächlich Kleidung, die gut an ihnen aussieht, ohne unbedingt der Mode folgen zu müssen“, sagt Hussain über ihre Zielgruppe. „Und sie sind oft frustriert, wenn sie nicht genau das finden, was sie suchen. Manche wollen sogar weniger Auswahl, aber mehr Orientierung bei der Auswahl.“

Der Verzicht auf Konfektionsware kann Abhilfe schaffen, glaubt die Einzelhandelsexpertin. „Wenn wir uns in den Filialen mit einem Produkt zufriedengeben können, das nicht unbedingt fertig ist, sondern gezielt nach unseren Vorstellungen und Größen angefertigt werden kann … dann könnte man als Händler:in sicher sein, dass Kund:innen wirklich etwas gefunden haben, dass perfekt zu ihnen passt. Das scheint mir die Basis nachhaltiger Kleidung zu sein.“

Dieser übersetzte Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl.

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