Tim Walker-Ausstellung in Rotterdam: „Wir sind alle Performer:innen“
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In der Kunsthal Rotterdam in den Niederlanden wurde kürzlich eine Ausstellung eröffnet, die Tim Walker gewidmet ist. Der berühmte englische Modefotograf entfaltet eine fantastische Ikonografie, die Kindheitsnostalgie und Identitätsfragen behandelt.
Tim Walker: Wonderful Things
Als Tim Walker am vergangenen Freitagmorgen zur Pressekonferenz in der Kunsthal Rotterdam eintrifft, wird er von den Mitarbeiter:innen des Victoria & Albert Museums, mit denen er die Ausstellung realisiert hat, sowie von seiner Mutter begleitet. Die Anwesenheit dieser Dame in der ersten Reihe der Veranstaltung erinnert daran, wie sehr die Kindheit des Fotografen seine Arbeit beeinflusst hat. Das Staunen seiner frühen Jahre hat ihn nie verlassen und es ist genau dieses Gefühl des Staunens, das die Ausstellung Tim Walker: Wonderful Things in den Besucher:innen wieder aufleben lassen will.
Der im England der 1970er Jahre geborene Tim Walker arbeitete ab seinem 18. Lebensjahr in den Archiven des amerikanischen Konzerns Condé Nast. Dort wurde sein Interesse an der Fotografie geweckt, als er die Bilder des Fotografen und Kostümbildners Cecil Beaton entdeckte. Jahre später ist seine Liebe zu den Archiven immer noch lebendig. Um den kreativen Funken zu entfachen, führte der Fotograf eine Recherche durch, indem er durch die kilometerlangen Korridore des V&A lief und hier und da eine Menge eklektischer Objekte auswählte. Nach stundenlangen Gesprächen mit den Kuratoren des Museums erfand Tim Walker bezaubernde Bilder, die von einer Handvoll alter Artefakte inspiriert wurden, welche er selbst ausgewählt hatte.
„Jedes Foto ist ein Versuch, die Emotionen einzufangen, die ich bei der Begegnung mit diesen Artefakten empfunden habe und die Geschichten, die sie in meinem Kopf hervorgerufen haben“, heißt es auf einer der Karten zur Ausstellung. Tim Walker hat jeden einzelnen Text verfasst. Seine vertraulichen Worte, die er den Besucher:innen anvertraut, vermitteln auf brillante Weise seinen Enthusiasmus.
In einem mit rosa Tapete ausgekleideten Raum liegt ein vergoldeter Schlüssel aus dem Jahr 1680. Tim Walker erklärt, dass er darin den Ausdruck des universellen Bedürfnisses sah, sich eine intime Welt zu schaffen, in der man seine Wünsche, Träume und Phantasie entfalten kann. „Wir alle haben das Bedürfnis, unsere Geheimnisse in einer privaten Welt zu bewahren, die wir lieben. Ein Tagebuch, ein Album oder sogar ein Telefon“, schrieb er. Aus diesem Schlüssel entstand eine Serie von Fotografien, Box of Delights, die das Model James Spencer in einer bezaubernden Welt in femininen Stücken zeigt.
Weiter hinten erhellen die Buntglasfenster des V&A einen dunklen Raum und markieren den Ausgangspunkt für eine neue Fotoserie, Lil Dragon. Tim Walker erzählt, dass er von den farbenfrohen Hintergründen berührt wurde und dass ihn die lichtdurchflutete rote Farbe an seine Mutter erinnert. Er erzählt: „Als ich klein war, fertigte sie fünf große Lampenschirme aus roter Seide für unser Wohnzimmer an. An Winterabenden war das Haus in ein warmes Licht getaucht. Für mich steht diese Farbe für die Rückkehr nach Hause“
Neben den Objekten aus den Sammlungen des V&A würdigt Tim Walker die Kuratoren des Museums in einem Abschnitt mit dem Titel Handle with care, der unter anderem ein poetisch in Seidenpapier eingewickeltes Kleid von Alexander McQueen enthält. Während der Konferenz erklärte er, dass er von der Arbeit der Kuratoren berührt sei: „Ich fand die Idee der Konservierung als eine menschliche Geste für die Zukunft hoffnungsvoll, da sie bedeutet, dass es eine Zukunft gibt“. Eine Zukunft, in der „die Menschen eine Beziehung zur Schönheit haben werden, wie wir sie heute haben.“
Schönheit
Die Idee der Schönheit ist überall in Tim Walkers Arbeit zu finden und seine Meinung zu diesem Thema ist klar: „Das wahre Geheimnis der Schönheit ist es, man selbst zu sein“, sagt er. Er fügt hinzu: „Zu sein, wer man ist, ist das Interessanteste“. Er erklärt, dass er sich von neuen Schönheiten angezogen fühlt, die man (noch) nicht gewohnt ist zu sehen.
„Was mich interessiert“, schreibt er, „ist es, die Grenzen, die die Gesellschaft geschaffen hat, einzureißen, damit wir die verschiedensten Arten von Schönheit und die wunderbare Vielfalt der Menschheit feiern können“. Bei Tim Walker ist das Photoshop-Tool, das in der Modebranche oft verwendet wird, um einen Schenkel zu straffen oder einen Bauch schlanker zu machen, verboten.
Seine Fotografien zeigen Körper aller Art: die üppigen Kurven von Beth Ditto, die androgynen Züge von Tilda Swinton oder das Gesicht von Melanie Gaydos, einem Model mit einer genetischen Krankheit. Die meisten seiner Motive sind so berühmt wie er selbst, aber er sagt auch, dass er gerne Menschen fotografiert, die weniger an das Rampenlicht gewöhnt sind. Seiner Meinung nach sind wir alle, wenn wir in der Gesellschaft leben, von Natur aus Performer:innen. Wir sind alle Performer:innen, viel mehr als wir denken".
Tim Walker: Wonderful Things, in der Kunsthal Rotterdam. Vom 24. September 2022 bis zum 29. Januar 2023.
Dieser Artikel wurde ähnlich auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ