Berliner Modemessen: Nachhaltige Kleidung weckt mehr Interesse bei Händlern
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Nachhaltige Mode war eines der wichtigsten Themen der Berliner Messen vom 2. bis 4. Juli: Bei steigendem Interesse der konventionellen Händler bewegt sich das Thema aus der Nische in den Mainstream. Aber auch der Wettbewerb steigt - bleibt dann noch Raum für nachhaltig ausgerichtete Messen oder einen grünen Modestandort wie Berlin?
Eine bunte, ausgefranste Patchwork Denim-Jacke zu Shorts; ein übergroßer meerblauer Strohhut zu einer knallroten, ab den Knien geschlitzten Hose; die Models sind der Neonyt Fashion Show sind international gecastet; einige tragen Nasenringe, die eine Kette mit einem Ohrring verbindet. Expressiv und laut gibt sich das von der grünen Modemesse Neonyt im Berliner Ewerk inszenierte Laufstegspektakel. Beim Verlassen der Modenschau sagt eine Dame zu ihrem Begleiter: „Das sah ja richtig schick aus.“
Nachhaltige Kleidung ist modisch - einer der Treiber hinter dieser Änderung der Wahrnehmung ist die Neonyt, die neue Dachmarke unter der der weltgrößte Messeveranstalter Messe Frankfurt seine Formate Green Showroom und Ethical Fashion Show im Januar zum ersten Mal vereinigt hat. Die Berliner Messen im Juli unterstreichen, dass nachhaltige Bekleidung bereit für den Massenmarkt ist, sie muss nur raus aus der Nische für blasse “Ökomode”.
"Kratzige Wollpullis" werden nicht zugelassen
Die ausstellenden Modelabels müssen 70 Prozent eines sozialen und ökologischen Kriterienkatalogs erfüllen, dann folgt die modische Kuratierung, sagte Thimo Schwenzfeier, Leiter der Neonyt, am Dienstag auf der Messe im Kraftwerk Berlin. “Wenn ein Unternehmen einfach nur kratzige Wollpullis herstellt, dann wird es bei uns nicht zugelassen”, erklärt er.
Bild: Neonyt / FashionUnited
Die zwei unteren Geschosse der Neonyt sind voll, 170 Aussteller zeigen hier Produkte, die von Handtaschen aus Apfelleder über Sneaker mit Ochsenblut bis zu Viscose-Kleidern aus Rosenblättern reichen. Auf der Neonyt und ihren Vorgängern Green Showroom und Ethical Fashion Show informiert sich die globale Modeindustrie über die jüngsten Durchbrüche in diesem Segment, sagte Kayla Marci, Markt-Analystin bei der Handelsdatenplattform Edited per Email. “Berlin ist seit langem ein ethischer Vorreiter, und Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema innerhalb der Fashion Week.”
In den obersten Geschossen des Kraftwerks diskutieren Vordenker über Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit und Technologie bei der Fashionsustain Konferenz. Erstmals im Juli auf dem Konferenzprogramm der Neonyt ist das Thema Einzelhandel - so soll konventionellen Modehändlern das Thema Nachhaltigkeit näher gebracht werden.
Etwas mehr als die Hälfte der Neonyt-Besucher waren im Januar Händler und auch im Juli trifft man zwischen den Ständen auf die Besitzer grüner Läden, aber auch konventionelle Modehändler, die erwägen nachhaltige Bekleidung in ihr Sortiment aufzunehmen oder aufzustocken. Das steigende Interesse der herkömmlichen Modehändler zeigt sich auch an der Zusammensetzung der Besucher der Neonyt.
Modehändler beschäftigen sich stärker mit grüner Mode
Bei der ersten Ausgabe der Neonyt im Januar betrug der Anteil der konventionellen Händler 40 Prozent, der Rest waren auf nachhaltige Mode spezialisierte Geschäfte – vor drei Jahren waren es noch 20 Prozent bei den Vorgängerveranstaltungen, sagte Schwenzfeier. Innerhalb der verschiedenen Handelsketten kämen mittlerweile auch mehr Einkäufer. “Wir strengen uns auch sehr, sehr viel an. Wir wollen auch vielmehr konventionelle Händler hier auf die Messe bringen”, sagte er.
Zu den Besuchern gehören bereits Einkäufer von großen Kaufhäusern und Modehändlern wie Selfridges, Zalando, Engelhorn, Breuninger oder Galeries Lafayette. Auf grüne Themen spezialisierte Einkäufer großer internationaler Unternehmen kommen her, aber zumeist treffe er hier seine deutschsprachigen Kunden, sagte Sebastian Thies, Geschäftsführer des High-End Sneakerlabels Nat-2. In seinen Schuhen kommen innovative Naturmaterialien wie Heu und Holz oder recyceltes Glas und Weinkorken zum Einsatz.
Bild: Stand Nat-2 / FashionUnited
Für das Zusammentreffen von konventionellem Modehandel und nachhaltiger Mode ist der Schauplatz Berlin auch deshalb so interessant, weil hier Nachhaltigkeitsmessen wie die Neonyt auf modisch und kommerziell ausgerichtete Veranstaltungen wie Premium und Panorama treffen. Und auch die zwei großen Bekleidungsmessen haben das wachsende Geschäftsfeld jüngst für sich entdeckt.
Bereits in der vierten Saison präsentieren nachhaltige Marken unter dem Format Xoom auf der Panorama im Berliner Westen ihre Kollektionen. Auf 15 Ständen wurden Seidenschals, vegane Schuhe und nachhaltige Denim gezeigt. Außerdem zeigte ein Concept Store in der Mitte, wie man grüne Brands im Laden präsentiert. Die Xoom ist der verlängerte Berliner Arm der auf nachhaltige Textilien spezialisierten Fachmesse Innatex, die im Jahr 1997 gegründet wurde und zweimal jährlich in Hofheim-Wallau bei Frankfurt stattfindet.
“Der klassische Kunde kauft, weil ihm ein Teil gefällt”, sagte Jens Frey, Geschäftsführer der Muveo GmbH, dem Veranstalter hinter der Innatex. Die wachsenden technischen Möglichkeiten führten dazu, dass vielfältigere Kollektionen bei nachhaltigen Marken produziert werden können. Jetzt gelte es die modischen Lücken vor allem in der Wahrnehmung zu schließen. “Wir müssen transportieren, dass es keine Diskrepanz zwischen Gefallen und Nachhaltigkeit mehr gibt.”
In dieser Saison machte die Modemesse Premium “Sustainable Future” zu einem ihrer Leitthemen mit verschiedenen Talkrunden und brachte 70 nachhaltige Marken auf ihre Ausstellungsfläche. Insgesamt stellten mehr als 250 Marken auf der Berliner Fashion Week aus, die sich als nachhaltig bezeichnen. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtzahl der Marken damit bei mehr als einem Zehntel liegt - insgesamt zeigten sich rund 1800 Brands während der Berlin Fashion Week - lässt vor allem das rasante Wachstum des Segments aufhorchen, wie Daten von Edited zeigen.
Bild: Concept Store auf der Xoom / Panorama | FashionUnited
Als nachhaltig eingestufte Produkte im deutschen Markt haben innerhalb eines Jahres einen Anstieg von 64,6 Prozent bis Juli verzeichnet, so Analystin Marci. “Trotz dieser Faktoren bleibt die Präsenz der Fast Fashion nach wie vor bestehen. Eine Herausforderung für jedes Unternehmen, das versucht, nachhaltige Mode in sein Sortiment aufzunehmen, ist die Attraktivität für preisbewusste Kunden.”
Hindernisse auf dem Weg in den Mainstream
Neben dem höheren Preis bleiben auch andere Hindernisse auf dem Weg in den koventionellen Handel: Kleineren, nachhaltigen Brands fehlt es oft noch an Personal und Budget im Vertrieb und Marketing. Nachhaltig zu produzieren bedeutet auch, dass Labels ihr Sortiment nur in begrenzten Mengen anbieten können, viele Labels verkaufen Händlern noch Ware und nehmen sie nicht auf Kommission.
Eine russische Großhändlerin war an den minimalistischen und luxuriösen Entwürfen ihres Labels Manakaa Project interessiert, aber kauft erst ab 5000 Stück pro Teil, erzählte Valerie Thiesmeyer, einer der Gründerinnen der Berliner Marke, auf der Premium. “Da standen wir uns lachend gegenüber und ich sagte: ‘Da werden wir nie hinkommen’”. Auf der anderen Seite scheuen sich konventionenlle Händler noch davor bedeutend mehr Fläche an nachhaltigen Marken zu geben. Auf den Berliner Messen war aber ein Umdenken schon zu spüren und die ersten arbeiten aktiv an dem Thema.
Bild: Future Bereich mit nachhaltigen Brands / Premium | FashionUnited
“Im Moment tut sich echt was. Das Thema hat im Mainstreambereich extrem zugenommen”, sagte Marc Ramelow, der Geschäftsführer des 1872 gegründeten Modehändlers Ramelow, bei einer Paneldiskussion auf der Neonyt am Mittwoch. Seine Mitarbeiter wollten wissen, wie nachhaltig die von seinen acht Modehäusern in Norddeutschland geführten Produkte sind, daraufhin schickte Ramelow einen Fragebogen an die 100 Marken mit denen er zusammenarbeitet.
Aus ihren Antworten entwickelt Ramelow ein E-Learning für seine Mitarbeiter und trainiert sie, damit sie sicherer mit den Kunden über Nachhaltigkeit sprechen können. Ab Herbst sollen seine Verkaufsmitarbeiter auch im Gespräch herausfinden, was die Kunden bei diesem Thema wirklich bewegt und diese Erkenntnisse mit den Modelabels teilen. Für Mark Ramelow ist die aktive Kommunikation ein erster Schritt um auch festzustellen, was seine Kunden wirklich wollen - nur danach können Entscheidungen zum Sortiment getroffen werden.
Viele Modeunternehmen und Händler hatten sich bis jetzt das Thema Nachhaltigkeit - auch aus Angst vor Kritik - zurückhaltend kommunziert. Aber das beginnt sich jetzt zu ändern. Der Einzelhändler Tchibo hat sich beispielsweise dazu entschlossen, seine Bemühungen ab Montag offener in einer Kampagne in über 600 Filialen und 8.000 Supermärkten zu kommunizieren.
Bild: Paneldiskussion mit Mark Ramelow / Neonyt | FashionUnited
“Ich war vor vier Jahren das erste Mal im Green Showroom, der damals deutlich kleiner war. Klasse, dass jetzt Accessoires, Schuhe und Schmuck dazugekommen sind und die Branche generell immer mehr wächst", sagte Sabrina Müller, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Tchibo, am Dienstag in Berlin. Sie besucht die Neonyt um Inspirationen zu sammeln - wie das Sortiment weiter entwickelt werden könnte oder um Partner kennenzulernen, die es abrunden.
Wettbewerb im nachhaltigen Segment zieht an
Bei den Brands spiegelt sich das Interesse des Handels. Das spanische Label Avasan, das handbemalte, in Andalusien gefertigte Kimonos anbietet, hat den ersten herkömmlichen Händler gewonnen, erzählte Gründerin Amy Valentine auf der Neonyt. “Ich hatte heute viele Neukunden. Nachhaltigkeit ist bei jedem auf der Agenda”, sagte Claudia Lanius, Inhaberin des Kölner Damenlabels Lanius, die an mehr als 380 Händler liefert – davon sind bereits 50 Prozent Mischläden und 20 Prozent klassisch-konventionelle Händler. Sie sei auch aus Überzeugung auf der Neonyt, sagte sie als sie auf die nachhaltigen Marken angesprochen wird, die auf die anderen Messen abgewandert sind, um Kunden zu gewinnen.
Bild: Stand Lanius / Neonyt | FashionUnited
Die französische Sneakermarke Veja stellt beispielsweise auf der Skatermesse Seek aus - neben dem nachhaltigen Denimlabel Kings of Indigo - um sich im Streetwear-Umfeld zu präsentieren. Das nachhaltige Modelabel Armedangels zeigt sich auf der Premium. „Auf der Neonyt sind wir zum Netzwerken, auf der Premium zum Verkaufen”, erklärte Daniël Beernink, Geschäftsführer und Gründer des niederländischen Label Rhumaa, das in Berlin auf der Neonyt und der Premium vertreten ist. “Während man auf der Neonyt vor allem über die Materialien redet, steht hier [auf der Premium] das Design im Vordergrund.“
An den Bewegungen der Labels zeigt sich auch der steigende Wettbewerb um das wachsende Marktsegment. Auch wenn es noch dauern wird bis grüne Mode sich im Massenmarkt etabliert, wird sich doch die Frage stellen, ob es in Zukunft noch eine speziell auf Nachhaltigkeit fokussierte Messe oder Brands braucht. Es gibt bereits Modemarken wie Arys, das auf der zur Panorama gehörigen Selvedge Run ausstellt und sich als funktionale Marke präsentiert. Die Produktion in Europa und das Material aus recycelten Plastikflaschen sind schon beinahe selbstverständlich.
Eine ähnliche Frage stellt sich für einen Standort wie Berlin, der für sich mit grüner Mode wirbt. So wird das nachhaltige Format ‘Impact’ der Pariser Modemesse Who’s Next zum ersten Mal im September stattfinden.
"Nachhaltigkeit ist ein globales Thema, wenn nicht das momentan relevanteste Thema überhaupt. Vollkommen klar, dass das auch andere Plattformen erkennen und darauf reagieren”, sagte Thimo Schwenzfeier. “Aber wir schauen auf uns, wir sind seit 10 Jahren am Markt, wir sind die weltweit größte Messe für nachhaltige Mode und wir haben eine klare Vision für die Zukunft. Für die Neonyt und für Berlin."
Dieser Beitrag entstand mithilfe von Jan Schröder und wurde mit weiteren Statements von Brands und Messen aktualisiert.
Bild: Homepage-Bild von John Phillips/Getty Images for Neonyt/ restliche Fotos: FashionUnited