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Geschäfte machen in China: Chancen und Hindernisse für Modeunternehmen

Von Esmerij van Loon

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Messen

Ein Besuch auf der Modemesse Chic in Shanghai ist ein überwältigendes Erlebnis. Die viertausend Quadratmeter große Messefläche, die hermetisch abgeschlossenen Pavillons mit den großen Scharen von wartenden Menschen davor, die enorme Sprachbarriere, über 1200 Aussteller, die schwindelerregende Zahl von hunderttausend Messebesuchern und die pulsierende Musik, die einem an jedem Stand entgegendröhnt, alles ist gigantisch, mannigfaltig und laut.

Ein Gespräch mithilfe eines Dolmetschers verlief ungefähr so:
„Wann haben Sie mit Ihrem Modelabel angefangen?“
„2015.“
„Und in wie vielen Geschäften wird es jetzt verkauft?“
„In ungefähr 9000.“

Wer seine Chancen in diesem Markt wittert, sollte fest auf beiden Beinen stehen, um nicht gleich beim Hören einer derartigen Zahl ins nächste Flugzeug zu steigen und nachhause zu fliegen. Westliche Kleidungsmarken genießen in China immer noch ein großes Ansehen. Das sagt Chen Dapeng, Direktor der Chic Shanghai und geschäftsführender Vize-Präsident der China National Garment Association. „Das ist ihr Vorsprung gegenüber lokalen Modemarken.“ Chinesen finden die westlichen Marken aus dem mittleren Segment oft viel teurer.

Der chinesische Konsument kann zwar mehr Geld ausgeben als vor ungefähr fünf Jahren noch, aber er achtet auch mehr darauf wofür. Lokale Produkte sind gut und oft erheblich billiger als die aus dem fernen Europa. Außerdem ist das Angebot explosionsartig angestiegen. Chinesische Kleidungshersteller haben ihr Geschäftsmodell angepasst und zusätzlich zu den Produktionsaktivitäten ihre eigenen Label aufgesetzt. So haben sie ihr Wissen, das sie in den letzten Jahrzehnten bei der Produktion für westliche Unternehmen erworben haben, bei den eigenen neuen Marken eingesetzt. Bezüglich der Qualität, des Design und der Passform stehen die neuen Marken den Labels aus dem Westen in nichts (mehr) nach. Oder wie Chen Dapeng es formuliert: „Keine gute Marke ohne gute Produktion.“

Nehmen wir beispielsweise die junge chinesische Marke Wemely, die sich in dieser Saison auf der Chic Shanghai präsentierte. Wemely bietet eine Gesamtkollektion für Damen und führte während der Chic eine Produktlinie von langen, geschmeidigen Damenmänteln aus hochwertigem Kaschmir in wunderbar gedämpften Farben vor. So kann Wemely auf den ersten Blick mit Marken wie Max Mara problemlos mithalten. Der Unterschied besteht darin, dass die italienische Marke Max Mara auch in China einen hohen Bekanntheitsgrad hat und der bringt meist einen stolzen Preis mit sich. Die Mäntel von Wemely gehen über Tmall.com, einem Online-Retailer, für noch nicht einmal umgerechnet 400 Euro über den Ladentisch. Auf Nachfrage, wiederum mithilfe eines Dolmetschers, erzählt der Vetreter von Wemely, dass die Marke auf der Messe nicht nur Endkunden sucht. Über die Kollektion zeigt der Hersteller hinter Wemely auch seine Fachkenntnisse, um so neue Kunden für den Produktionszweig zu gewinnen. Die Produktion und die Eigenmarken-Aktivitäten von chinesischen Unternehmen stärken sich gegenseitig.

Eigene Label und eigene Läden

Westliche Akteure, die auf der Suche nach Großhandelskunden sind, stoßen in China auf ein neues Phänomen: Mehrmarkenhandel - in Europa synonym für eine eigensinnige Markenmischung - die von gut informierten, selbstständigen Unternehmern zusammengestellt wird, hat sich in diesem Land ganz anders entwickelt. Hier haben die chinesischen Hersteller ‚Mehrmarken‘-Läden eröffnet, in denen sie ihre eigenen Marken zum Kauf anbieten. Erfolgreiche Multibrand-Ladenkonzepte wurden mit der Unterstützung von Investoren dann in einem großen Maßstab mit hunderten von ähnlichen Mehrmarken-Läden im Anschluss eröffnet.

Nun bleibt die Frage, was westliche Unternehmen in China zu suchen haben. Die Zahl von 9000 Geschäften, die oben erwähnt wurde, hört sich für uns zunächst bizarr an und ist für einen ausländischen Journalisten nicht überprüfbar, aber aufgrund der Einwohnerzahl von 1,4 Milliarden Chinesen, davon 25 Millionen allein in der Stadt Shanghai, kann man sich das etwas besser vorstellen. Der besagte Hersteller, es handelt sich um Semir Garment Co., bietet inzwischen zwölf Marken in verschiedenen Segmenten an, wie zum Beispiel Gson für Männer und Balabala für Kinder. Semir ist vom Volumen her vergleichbar mit dem spanischen Inditex-Konzern, der mit acht Marken weltweit ca. 7500 Geschäfte zählt. „Jedoch“, sagt Chen Dapeng, „notiert der gesamte Börsenwert von den hundert größten chinesischen Kleidungsunternehmen an der Börse in Shanghai nur doppelt so hoch wie der von Inditex.“

Die chinesische Ruyi Group präsentierte sich auf Chic Shanghai mit einem großen, frei zugänglichen Stand, auf dem alle Modemarken der Gruppe vertreten waren. Auffallend war das Firmenvideo, das durchgehend gezeigt wurde und mit Theaterbildern und bombastischer Musik die globale Reichweite des Unternehmens unterstrich.

Allerdings muss eine westliche Marke nicht in derartigen Dimensionen denken, um in China erfolgreich zu sein. Rose Chen, Verkaufsleiterin der italienischen Luxus-Schuhmarke Spernanzoni, sagt: „Spernanzoni hat in China nur eine Handvoll Verkaufsstellen, aber die Marke ist in den besten Geschäften erhätlich – wie zum Beispiel dem SKP in Peking und Lafayette in Shanghai. Wir verkaufen dort erhebliche Mengen und daher ist China zusammen mit Russland, der größte Wachstumsmarkt der Marke.“ Im Heimatland Italien und in Europa verbucht Spernanzoni kaum noch Wachstum. Dort macht sich die zweite, preisgünstigere Marke IL Gerco besser.

Birgit Rieker, Geschäftsführerin der bekannten deutschen Dessous-Marke Escora, ist zum ersten Mal mit der Marke in Shanghai und steht dem nach eigenen Angaben offen gegenüber. „Escora wird schon in China verkauft. Wir haben Einzelhandelskunden hier, aber die haben die Ware auf der Lingerie-Messe in Paris eingekauft.“ Rieker äußert sich mit Zurückhaltung: „Ich habe das Gefühl, dass China derzeit mehr exportiert als importiert und ich kann mir vorstellen, dass der chinesische Einzelhandel unsere Marke wahrscheinlich zu teuer findet.“

“Der westliche Lebensstil nimmt immer noch eine führende Stellung bei chinesischen Konsumenten ein,“ sagt der Chic Shanghai Direktor Chen Dapeng. „In der Vergangenheit haben sich zuweilen europäische Aussteller bei der Messeorganisation beschwert, dass zu wenig Bestellungen auf der Messe aufgegeben wurden, aber ich denke, dass Unternehmen, die auf dem chinesischen Markt erfolgreich sein wollen, mehr Flexibilität an den Tag legen müssen. Zum Beispiel sollten sie sich nicht an Mindestbestellungen festhalten.“ Ferner begrüßt er die Idee, mit lokalen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Aber Chen Dapeng stellt auch eine Veränderung im Markt fest. „Das Interesse von chinesischen Konsumenten an lokalen Produkten wächst und die zweite Generation von Herstellern führt einen tiefgreifenden Wandel herbei. Sie studieren in Europa und kehren wieder nach China zurück, um die Fabriken ihrer Eltern und die von ihnen produzierten Kollektionen noch weiter zu verbessern.“ In fünf Jahren wird sich dieser Markt wieder tiefgreifend verändert haben.

Auf der Ausstellungsfläche von Chic Shanghai gab es auch (begrenzte) Aufmerksamkeit für traditionelles Handwerk.

FashionUnited reiste auf Einladung der Organisatoren zur Chic Shanghai.

Alle Fotos: FashionUnited

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