Modemessen: Digitales Aufrüsten für Corona – echte Erlebnisse für die Zeit danach
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Kaum ein Industriezweig wurde von Covid-19 verschont. Insbesondere hat es die Eventbranche hart getroffen. Kann auf Formate wie Messen und Events zukünftig ganz verzichtet werden oder wie können diese kreativ neu interpretiert werden? Guido Emmerich, Managing Partner und Marketingchef von Avantgarde, hat sich mit diesen drängenden Fragen befasst.
Mit einer Begegnungsfläche von knapp 3 Millionen Quadratmetern ist Deutschland einer der wichtigsten und größten globalen Standorte für internationale Leitmessen. Kommerzielle Messe- und Eventformate sind etablierte Bestandteile einzelner Industriezweige, um mit Geschäftspartnern und Kunden in Austausch zu treten – ein zentrales Element ist hierbei stets die Live Experience.
So verständlich die gegenwärtigen Sorgen angesichts der Corona-Ausbreitung auch sind, so nachvollziehbar sind die Einschränkungen im Alltag sowie die Stornierungen von geplanten Messen weltweit. Aber: Die Weltgesellschaft wird Corona besiegen. Und auch im Marketing- und Event-Business wird es eine Zeit danach geben – so schwer der Glaube daran angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs und der Welle von abgesagten Messen und Großveranstaltungen gegenwärtig fällt.
Bereits zur Mailänder Modewoche in der zweiten Februarhälfte haben einige der großen Luxuslabels wie Armani die Laufstegshow digital gestreamt – ohne echtes Publikum. Nachdem die Organisatoren den Genfer Autosalon abgesagt haben, musste BMW sein neues Flaggschiff i4 digital vorstellen – das gleiche Bild bei Porsche und VW. Die ART Basel gilt als das wichtigste Branchentreffen in ihrem Sektor, sie ist jedoch erst einmal verschoben. Angesichts dessen darf man sich durchaus fragen, wie es weitergehen wird.
Jede dieser Absagen und Verschiebungen ist richtig, denn Gesundheit und Menschenwohl gehen immer vor. Und wir sind schließlich mittlerweile digital sehr gut gerüstet: Es gibt viele Formate, die Zusammenkünfte und Absprachen online ermöglichen. In der Branche ist das Buzz-Word der vergangenen Wochen die „virtuelle Messe“ – kurz gesagt, die Verlagerung von Showrooms, Ausstellerauftritten und Konferenzen durch Livestreams auf die Screens all derjenigen, die sich für die Exponate und Produktentwicklungen interessieren. Technologien wie Augmented und Mixed Reality bringen kreative Fortschritte, doch stellt sich die Frage, ob der Mensch als soziales Wesen mit einem ausgeprägten Gemeinschaftsgefühl sich ausschließlich mit digitalen Experiences – ohne den so wertvollen Touchpoint „Real-Live“ – zufriedengeben möchte und kann.
Wenn wir die Krise gemeistert haben, wird die Mehrheit der privaten und beruflichen Aktivitäten wieder ins normale Leben zurückkehren. Eine wahrhaftige Sehnsucht nach der neu-gewonnen und eigentlich alt-vertrauten Freiheit wird entstehen, denn erst bei geteilten Erlebnissen mit anderen Menschen leben wir richtig auf. Daher werden physische Erlebnisse immer relevant sein. Vielmehr noch: Ich denke, dass die Menschen nach dieser Krise ein noch größeres Bedürfnis nach Offline-Erlebnissen in der „echten“ Welt haben werden und die Sinne von uns allen werden sich sensibilisieren. Einiges aber wird sich verändern.
Erlebnisse, ja bitte – aber einzigartig
Es fing schon vor Corona an: Messen wie die Cebit wurden eingestellt, weil die Anmeldungen stark rückläufig waren. Das liegt aber meiner Meinung nach viel mehr an veralteten Formaten. Denn Events an sich sind keineswegs tot – und sie werden auch Corona überleben.
Statt Leistungsschauen in riesigen Hallen am Stadtrand braucht es neue Formate: Marken müssen ihre Kunden dort erreichen, wo sie im Alltag unterwegs sind – also im echten Leben. Durch die Krise steigen die Anforderungen der Kunden voraussichtlich noch weiter an. Wenn es online so viele Möglichkeiten gibt, die momentan fleißig ausprobiert werden können, überlegen Kunden einmal mehr, ob es sich lohnt, das Haus zu verlassen. Events müssen in Zukunft noch mehr bieten: Es geht hier nicht mehr um Convenience, sondern um das Erleben echter Spektakel. Eine Messehalle mit aneinandergereihten Ausstellungsstücken? Überflüssig. Aber eine fulminante Show, bei der Produkte mit einem Konzert oder einer Kunstausstellung kombiniert sind? Kein Ablaufen von Messeständen und auch kein Erleben von virtuellen Solo-Erlebnisse - genau das ist es, was wir nach den Ausgangsbeschränkungen wieder erleben wollen!
Zeit für digitales Aufrüsten
Der digitale Austausch ist möglich und er wird dank Virtual und Augmented Reality stets weiter optimiert. Es ist Zeit für ein Querdenken, um die außerordentliche Situation nutzen zu können, indem bisherige Prozesse kritisch hinterfragt und so Platz geschaffen wird, um möglicherweise ganz neue Wege in Zukunft zu gehen. Auch unsere Routinen erfahren momentan eine wahre Digitalisierung. Denn Telkos und Videokonferenzen ermöglichen uns zur Zeit einen halbwegs normalen Arbeitsalltag – selbst Skeptiker müssen jetzt mitziehen.
Die Umstellung hat auch andere Vorteile wie Klimafreundlichkeit und ersparte (Reise-)Zeit. Apropos Zeit: Covid-19 dreht wahrhaftig an der Zeit. Verschließen Unternehmen sich jetzt neuen Formaten und Denkweisen, drohen ihnen Konsequenzen, die auch einen sonst stabilen Konzern in die Knie zwingen können. Die Verknüpfung von realer und virtueller Realität stehen hier außer Frage, genauso wie ein klarer Purpose dringend notwendig ist.
Trotz der Schockstarre, wird es eine Zeit nach der Corona-Krise geben. Und da werden wir wieder den persönlichen Austausch brauchen. Emotionale Themen funktionieren auch in Zukunft im echten Leben am besten – das gilt für den Business-Alltag genauso wie im Experience Marketing.
Marken sind am erfolgreichsten, wenn sie über verschiedene Sinne erlebbar sind
Digitale Produktvorstellungen wie die des neuen E-Autos von BMW sind also notwendig, für mich aber keine dauerhafte Lösung. Ein Fahrzeug über den Bildschirm kennenzulernen, ist definitiv ein anderes Gefühl als es in echt zu erleben. Wenn ich das erste Mal in ein Auto steige, spüre ich das Lenkrad in den Händen, rieche das frische Leder und höre das Motorgeräusch, wenn ich den Schlüssel drehe. Jeder meiner Sinne wird dabei stimuliert und ich kann eine ganz andere Bindung zum Produkt aufbauen.
Wir tun gut daran, die Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, endlich digital aufzurüsten. Man spürt, dass sich in den Köpfen der Bevölkerung bereits heute einiges geändert hat. So gilt es nach Covid-19 den Spagat zwischen dem unverrückbaren und allzu menschlichen Grundbedürfnis nach Sozialisierung und gleichzeitig der aufgekommenen, gesteigerten Sensibilität vor großen Menschenmengen erfolgreich und mittels kreativer Konzepte zu meistern und das Format Messe zu revolutionieren.
Marketers, seid kreativ und tobt und probiert euch aus – aber bitte bewahrt auch einen kühlen Kopf! Wir werden viel für die Zukunft lernen, doch eines sollten wir dabei nicht vergessen: Das reale Erlebnis, das alle Sinne anspricht, wird auch in Zukunft ausschlaggebend sein. Auch wenn man akzeptieren muss, dass es eine Weile dauern wird, bis die Durchführung solcher Events wieder möglich ist, sehnen sich die Menschen nach dem Austausch von Angesicht zu Angesicht und wollen nicht nur von außen zusehen. Sie wollen in der ersten Reihe dabei sein und den Moment miterleben.
Avantgarde ist ein globales Unternehmen mit dem Schwerpunkt Brand Experience, das Kreativität, Media und Technologie unter einem Dach vereint. Gegründet 1985 als Event-Agentur, hat sich die Avantgarde Group zu einem Multiplayer in der Experience Economy mit mehr als 850 Mitarbeitern und 11 Standorten weltweit entwickelt, der Marken strategisch berät und erlebbar macht.
Bild: Martin Sanchez & Ricardo Nunes / Unsplash