Premium Group Kosmos – die Antwort Anita Tillmanns auf die Umbrüche in der Modeindustrie. Ein Gespräch
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Ein Gespräch mit Anita Tillmann über die Rückkehr ihrer Messen nach Berlin ist zugleich eines über die sich verändernde Modelandschaft. Durch die Pandemie wurden Entwicklungen beschleunigt, die Tillmann, Managing Partner der Premium Group, durch den Aufbau ihres kommenden Events reflektieren will. Im Interview gibt sie einen Einblick in ihre Pläne und welche Besuchszahlen sie erwartet.
Die Planungen für die Modemessen Premium und Seek, die Anfang Juli stattfinden, laufen in die heiße Phase. Auf der Tafel im Besprechungsraum der Premium Group sind bereits die Tage 7. bis 9. Juli eingetragen, unter den Daten kleben bunte Post-its mit Namen bekannter Brands und Streetwearhändler. Während des Gesprächs klingelt das Handy von Anita Tillmann, ihr fallen Meetings ein, die noch geblockt werden müssen. Am letzten Tag der Berlin Fashion Week ist sie gut gelaunt und energiegeladen, als sie über den Neuanfang in Berlin spricht.
Ihre Begeisterung ist ansteckend als sie durch eine Präsentation des Events klickt, das Gelände und Gebäude erklärt. Warst du schonmal auf der Messe Berlin? Hier wurden Szenen der Netflix-Serie “Das Damengambit” gedreht, hier kommst du aus der U-Bahn hoch, hier wird eine Band spielen. „Mega Location, architektonisch sensationell”, ruft sie. „Alles kommt in einer Location zusammen. Die Branche trifft sich nach zwei Jahren das erste Mal wieder.”
Wie geht Messe nach dem Ausbruch der Pandemie?
Zwei Jahre lang fanden ihre Messen nicht statt, dazwischen lag noch ein Umzug nach Frankfurt und Rückzug nach Berlin, über deren Beweggründe sie jetzt schon nicht mehr sprechen will. Investitionen wurden versenkt, die Pressemitteilungen sind schon raus, das Thema ist abgehakt. Stattdessen richtet sie ihren Blick und ihre Energie nach vorne.
Und diesen Fokus, ihre Aufgeschlossenheit und Unerschrockenheit gegenüber Neuem braucht es jetzt. Die Pandemie hat die Begegnungen zwischen Menschen auf das Nötigste reduziert und stellt das Geschäftsmodell der Messen in Frage. Modemarken haben gelernt, wie sie Order mit Händler:innen digital abwickeln, einige Brands verkaufen am liebsten selbst an die Endkundschaft – und das online.
Auf all diese Veränderungen im Modeökosystem reagiert Anita Tillmann mit ihrem kommenden Event, das sie “Premium Group Kosmos” getauft hat. Auf Nachfrage der Branche finden die Contemporary-Modemesse Premium und die auf Streetwear spezialisierte Seek auf einem Gelände statt – anstatt an zwei Orten wie in der Vergangenheit. Denn physische Zusammenkünfte wie Messen müssen in Zukunft konzentrierter ablaufen.
Zum ersten Mal lädt die Premium Group zur Veranstaltung “The Ground” ein und mit ihr auch Endkonsument:innen. Musik, Sport und Well-being-Sessions wird es geben und einen Vintage-Bereich. Die Hauptzielgruppe sind Gen Y und Gen Z. Wie soll die junge Generation auf ein Gelände mit B2B-Veranstaltungen gelockt werden? Mit angesagten Namen aus der Berliner Modeszene. „Wir sprechen bei The Ground unter anderem mit Highsnobiety, Gate194, Reference Studios, Overkill, Voo Store”, sagt Tillmann.
Hier liegt die Stärke der unermüdlichen Unternehmerin – sie ist mit den verschiedenen Seiten der Branche vernetzt wie kaum jemand in Deutschland, spricht mit den Trendsettern aus Berlin ebenso wie mit alteingesessenen deutschen Modeunternehmen.
Die verschiedenen Szenen der Modeindustrie will sie nun auch in Berlin zusammenbringen. „Alle Menschen mit Interesse an Mode will das Event ansprechen – in Berlin bedeutet das, sowohl die Cool Kids aus Marzahn als auch die Mode- und Style-Enthusiasten aus bilingualen internationalen Schulen”, sagt Tillmann. „Wir bringen die Bubbles zusammen.”
Ein Kosmos, der die gesamte Modeindustrie umfasst
Mit dem neuen Event “The Ground” schließt sich der Kreis für Anita Tillmann. Denn die klassische Trennung zwischen Marken, Handelsunternehmen und Kundschaft existiert nicht mehr, und ebensowenig sollte diese Trennung auf ihrem Event bestehen.
Früher war das Modesystem recht linear, erklärt Tillmann. Sie schnappt sich eine Serviette, die auf dem Tisch liegt und beginnt zu zeichnen: Die Brands hießen damals noch Produzenten, zwischen ihnen und dem Retail gab es den Vertrieb oder Agenturen, und der Handel verkaufte am Schluss an die Konsument:innen.
Aber diese Zeiten sind vorbei.
„H&M ist eine Brand, Prada ist auch eine Brand. Der Brandkosmos hat sich total verändert. Und hier mittendrin sind Endkonsument:innen zu Co-Creators geworden. Man hat also keine lineare Beziehung mehr, alles ist miteinander verknüpft”, sagt sie und malt ein kreisförmiges Diagramm mit Pfeilen zwischen Endkund:innen, Retail, Brands, ihrem eigenen Vertrieb und E-commerce. „Jeder ist mit jedem vernetzt, wir haben also einen Kreislauf der in alle Richtungen läuft. Es geht um das gesamte Ökosystem.”
Veraltete Begriffe, veraltetes Denken
In der Modeindustrie tut sich viel und Anita Tillmann zählt auf. Es gibt Direct-to-Consumer-Brands und Marken, die zweimal im Jahr ihre Kollektionen an den Modehandel verkaufen, aber auch welche die wöchentlich oder monatlich verkaufen. Stores betreiben Cafés und Modehändler:innen arbeiten mit Brands an limitierten Kapseln zusammen. „In einer Zeit, in der Händler und Händlerinnen selbst eigene Labels machen und sogar Kollaborationen mit Brands produzieren – sind die Retailer oder Industrie?” fragt sie.
Aber wenn die Grenzen verschwimmen und die Begriffe nicht mehr zutreffen, ist Messe dann noch das richtige Wort?
„Genau, wir sind nämlich keine traditionelle Messeplattform mehr”, ruft Tillmann. Ordermesse habe es früher geheißen, dann “Marketplace of Product”, sagt sie und streicht die Wörter eines nach dem anderen auf der Serviette durch.
„Ich würde sagen, wir sind eine Pitch-Plattform”, erklärt Tillmann. „Die einen pitchen zum Retailer, die anderen pitchen zu den Konsument:innen.” Der direkt an Endkund:innen gerichtete Teil des Modegeschehens soll “The Ground” stattfinden und gezeigt werden. Aber wie kann der Premium Group Kosmos als Messe überhaupt für Brands relevant sein, die keinen Großhandel betreiben und direkt an Endkonsument:innen verkaufen wollen?
„Als Direct-to-Consumer-Brand kommt man nur bis zu einem bestimmten Punkt, und stagniert dann. Um die nächste Umsatzgrenze zu erreichen, muss man sich mit anderen Marken im Retail messen”, erklärt Tillmann. Ein gutes Beispiel sei das dänische Modelabel Ganni, das als Direct-to-Consumer-Brand begann und sich dann wieder dem Großhandel zuwandte. Die Idee von „The Ground” ist, dass Modemarken sich in einem Kontext mit anderen zeigen, und durch Aktionen vor Ort Bekanntheit und Begehrlichkeit steigern. „Es ist eine Wechselwirkung, man muss sich als Marke stets weiterentwickeln und sichtbar sein”, sagt sie.
Tillmann verstand es, seit die Premium 2003 in einem Berliner U-Bahnschacht begann, relevante Neuheiten zu zeigen. Nicht nur aufstrebende Labels, die später zum Bestseller wurden; auch an die Workshops, auf denen die damals für einige noch neuen Modeblogger vorgestellt wurden, erinnert sie sich gerne zurück. Der Juli wird zeigen, wie die Kombination zwischen Messe und einem Event für Endkonsument:innen ankommen wird.
Für das kommende Event rechnet Anita Tillmann vorerst mit weniger Gästen als in der Vergangenheit, wo um die 50.000 Menschen ihre Messen pro Saison besuchten: „Wir rechnen damit, dass wir in drei Tagen etwa 20.000 Besucher und Besucherinnen haben werden. Ich gehe davon aus, dass es – Stand heute – vom Feedback her eher mehr, als weniger werden."
Fragen zum Schluss
Was bedeuten diese Schätzungen für die Erträge der Premium Group – also wann könnte das Umsatzniveau vor der Pandemie erreicht werden? „Ob wir es jetzt im Sommer schon schaffen, glaube ich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir schnell aufholen werden”, sagt Anita Tillmann.
Die Premium Group hat sich in der Pandemie gut behauptet, brauchte keine staatliche Unterstützung und konnte alles aus der eigenen Kasse finanzieren. Die Löhne der Mitarbeitenden wurden auch zu 100 Prozent ausbezahlt. Tillmann selbst hält seit 2017 nur noch eine Minderheit am Unternehmen, die Mehrheit gehört zu Clarion. Und die Mehrheit an dem britischen Eventveranstalter hält Blackstone, eines der größten Private-Equity-Gesellschaften weltweit, das Clarion während der Pandemie mit Mitteln versorgte. „Uns geht es finanziell zum Glück gut”, sagt Tillmann.
Nach der Rückkehr nach Berlin steht noch eine Termin-Frage für die Zukunft im Raum. Vor ihrem Umzug war die Premium eine feste Säule der Berlin Fashion Week. Jetzt findet die erste Premium im Juli statt, die Berliner Modewoche seit ihrem Wegzug im März und September.
Für Anita Tillmann ist das Thema klar, sie schaut auf die Kollektionsrhythmen und die Termine von Modemessen wie der Pitti Uomo in Florenz. „Unser Timing ist ganz klar durch die Branche definiert. Es ist keines, dass wir uns willkürlich aussuchen.”
„Die Berlin Fashion Week ist ein ganz anderes Thema, diese hat auch eine andere Zielgruppe”, gibt sie zu bedenken, „Wir sprechen immer von Daten, aber man muss sich eher überlegen, was für welche Zielgruppe eigentlich relevant ist.”