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Sourcing-Messe Texhibition will Istanbul in den globalen Fokus rücken

Von Jule Scott

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Messen|Hintergrund
Die Texhibition in Istanbul. Foto: FashionUnited

Kann die türkische Textilindustrie zum Zentrum des europäischen Textilmarktes werden? Wenn es nach den Veranstalter:innen der Texhibition Istanbul Fabric, Yarn & Textile Accessories Fair geht, die Anfang März in Istanbul stattfand, soll die Sourcing-Messe und damit die Textilproduktion des Landes mehr in den globalen Fokus rücken.

Noch zwei Wochen vor dem geplanten Datum war unklar, ob die Messe nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien Anfang Februar stattfindet. Die Absage der Texhibition wurde in Erwägung gezogen. Nach Rücksprache mit den von der Katastrophe betroffenen Ausstellenden wurden die Pläne jedoch letzten Endes fortgeführt – und das ohne eine einzige Absage, beteuert Fatih Bilici, Präsident des Texhibition-Komitees und Vizepräsident des Istanbuler Textilexportverbands İTHİB. Das Resultat waren drei gut besuchte Hallen auf rund 30.000 Quadratmetern im Istanbul Expo Center. Hier stellten insgesamt 437 Produzenten Strick, Webwaren, Denim, Garne, Druck und Accessoires aus. Ein Rekord für die Messe, die mit dieser Saison zum dritten Mal stattfand. Mit 18.525 Besuchenden erzielte die Messe ebenfalls einen deutlichen Rekord mit 50 Prozent mehr Teilnehmer:innen als zur Premiere vor einem Jahr. Doch es waren es dennoch weniger als die zuvor angekündigten 25.000.

Sowohl die ausstellenden Produzent:innen als auch die Besucher:innen waren größtenteils aus der Türkei. Die Veranstalter:innen gaben an, dass internationale Besuchende aus 104 verschiedenen Ländern angereist waren. Darunter auch Einkäufer:innen aus der EU, England, den Vereinigten Staaten, dem Mittleren Osten und Nordafrika, die nach Istanbul eingeladen wurden. Hörte man sich auf den Messeständen um, wurde jedoch vor allem von heimischer Kundschaft gesprochen.

Das belegten auch die Zahlen, denn während bei der Bekleidungs-Messe Istanbul Fashion Connection (IFCO) rund 45 Prozent der Besucher:innen aus dem Ausland kamen, machten diese nur rund 10 Prozent der Menschen auf der Texhibtion aus. Zukünftig soll sich das ändern, und das Bestreben, die Sourcing-Messe internationaler auszurichten, ist nicht nur ein Traum der Veranstalter:innen, sondern findet auch bei den Ausstellenden Anklang, denn das Hauptaugenmerk der türkischen Textilindustrie ist der Export.

Ambitionierte Exportziele trotz Krise

Nicht nur die Texhibition, sondern die gesamte türkische Textilindustrie hat große Ambitionen. 2022 erzielte sie mit rund 13 Milliarden US-Dollar (12,05 Milliarden Euro) ein Rekordergebnis. Deutschland hat als zweitgrößter Abnehmer der Ware nach Italien maßgeblich zum Erfolg beigetragen.Das Ergebnis des letzten Jahres soll nun, trotz hoher Inflation, bevorstehenden Wahlen und den katastrophalen Auswirkungen des Erdbebens im Südosten des Landes auf 15 Milliarden US-Dollar (13,93 Milliarden Euro) erhöht werden.

Inwiefern die Ziele des zweitgrößten europäischen Textilexporteurs realistisch sind, gilt abzuwarten, denn 28 Prozent des Exportvolumens und damit rund 3,1 Milliarden US-Dollar (2,88 Milliarden Euro) wird den Produzenten der Erdbebengebiete zugeschrieben, doch die Türkei gibt sich resilient und hoffnungsvoll. In der Zukunft will das Land 20 Prozent der Textilimporte der EU bedienen, heißt es in einem Abschlussbericht der Texhibition und auch Ahmet Öksüz ist voller Zuversicht. „Wir werden unsere Produktion konzentriert steigern und den Export mit noch größerer Motivation ankurbeln”, so der Vorsitzende von İTHİB und der Kipaş Holding, zu dem auch der gleichnamige, auf der Messe ausstellende, Denim-Produzent gehört. „Mit der Texhibition Istanbul Exhibition tragen wir dazu bei, unsere Wunden zu heilen, die das Erdbeben hinterlassen hat. Wir stehen als Land zusammen, um die türkische Textilindustrie zu stärken und einen Mehrwert zu generieren.“

Der İTHİB-Vorsitzende Ahmet Öksüz auf der Messe. Bild: Texhibition

Textilindustrie blickt vereint in die Zukunft

Der Zusammenhalt des Landes, insbesondere der Textilindustrie, zeigt sich auch während der Gespräche mit den Ausstellenden. Besonders hart traf das Erdbeben Webereien und Spinnereien im Süden des Landes, darunter die Regionen Adana, Kahramanmaras, Gaziantep und Kayseri, doch auch Ausstellende aus Istanbul oder anderen Standorten im Land, sprachen über psychologische Wunden, die das Beben hinterließ. „Wir hatten unglaublich viel Glück”, so Hande Yildirim, Sales Executive des in Adana ansässigen Denim-Spezialisten Bossa. Das Unternehmen ist einer der größten Denim-Hersteller der Türkei und liefert unter anderem Jeansstoffe an Marken wie Diesel, G-Star und auch Inditex. „Unser Werk wurde nicht groß beschädigt, wir haben die Produktion aber trotzdem für eine Woche unterbrochen, um unsere Arbeiter:innen zu unterstützen.” Denn diese oder ihre Familien wurden in manchen Fällen weitaus härter von dem Beben getroffen, als ihre Arbeitgeber:innen und haben mit dessen Auswirkungen zu kämpfen.

„In dieser Situation müssen wir wie eine Familie zusammenhalten", betonte auch Ahmet Ak, Sales-Vertreter des größten türkischen Garnherstellers Sasa. Er sprach von Nachbeben, die den Überlebenden weiterhin den Schlaf rauben, doch auch bei Sasa sei das Werk unbeschädigt, die Produktion hätte nicht gestoppt werden müssen. Im Laufe des Gesprächs relativiert der Vertreter diese Aussage. Das Werk an sich sei nicht beschädigt worden, doch einige der sehr sensiblen Maschinen müssen neu kalibriert und gestartet werden. Insgesamt rechne die Firma mit zehn bis 20 Prozent weniger Umsatz als Resultat des Bebens. Das liegt vor allem daran, dass einige Rohstoffe aufgrund der Krise derzeit nicht geliefert werden können – auch wenn die eigene Produktion des Herstellers kaum betroffen sei.

Ein solcher Lieferant, der derzeit Schwierigkeiten hat, Aufträge zu erfüllen, ist der Baumwoll-Anbieter Iskur, doch das ist erstmal zweitrangig. 32 Arbeiter:innen starben bei dem katastrophalen Beben und auch die beiden Kinder und die Ehefrau des Iskur-Geschäftsführer Kadir Kurtul – der zur Zeit des Bebens in Istanbul war – kamen ums Leben. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie das Leben nach einem Schicksalsschlag wie diesem weitergehen soll, doch die Iskur-Gruppe, die wie so manch ein Unternehmen im türkischen Textilbusiness auch im Agrar- und Automotivsektor, im Versicherungsgeschäft sowie im Energiemarkt tätig ist, versucht nach vorne zu Blicken.

Ein Blick auf die Messe. Bild: Texhibition

Das Erdbeben zerstörte 30 Prozent des Warenhauses, rund 70 Prozent der Garnfabrik sei abgebrannt, erzählte Leyli Rozyyeva, die für das Marketing von Iskur zuständig ist. Warenbestände habe das Unternehmen auch keine mehr, doch bereits während der Messetage laufe die Produktion langsam wieder an. 40 bis 45 Prozent der Produktion wurden in Fabriken anderer Hersteller:innen ausgelagert, denn diese seien mehr als bereit, in dieser schweren Zeit auszuhelfen. Bis die Produktion in den eigenen Fabriken wieder vollständig hergestellt sei, könne es noch sechs Monate bis zu einem Jahr dauern, schätzte Rozyyeva. Iskur könne sich allerdings glücklich schätzen, denn die Kund:innen seien äußerst verständnisvoll, einige kaufen nun sogar mehr, um die Firma finanziell zu unterstützen.

„Vor dem Erdbeben gab es Konkurrenz, jetzt teilen Hersteller:innen ihre Werke und Kapazitäten”, erklärte İTİB-Vizepräsident Bilici. Er bestätigte, dass Gespräche und Vereinbarungen unter den einzelnen Produzent:innen stattfinden, schließlich kenne man sich in der Branche. Aufträge sollen nun, wie auch im Falle von Iskur, an funktionierende Werke weitergeleitet werden. „Wenn wir weiterleben wollen, müssen wir zusammen leben”, so Bilici über die Textilindustrie in der Türkei.

“Nicht so billig wie Fernost, aber auch nicht so teuer wie Europa”

Argumente für Istanbul als Textil-Zentrum für Europa liefern die Hersteller:innen in Fülle. Die geografische Lage des Landes ist ein unschlagbarer Faktor, denn viele Bekleidungshersteller:innen suchen nach Wegen, zumindest Teile ihrer Produktion aus Asien zurück nach Europa zu verlagern. Die Gründe dafür liefert Alp Hamzagil von der Druckerei Rabek Textil. In nahezu perfektem Deutsch fasste er die Stärken der Türkei als Beschaffungsland zusammen: „Wir sind nicht so billig wie Fernost, aber auch nicht so teuer wie Europa. Außerdem können wir schneller und günstiger liefern als die Konkurrenz.”

Wie schnell so manch einer der Ausstellenden arbeitet, verdeutlicht ein Gespräch mit Ezgi Gürer, Leiterin für Sales und Marketing beim Spitzen-Produzenten Antik Dantel. „Wir arbeiten sehr viel mit der Inditex-Gruppe zusammen und müssen daher schnell sein”, so Gürer. „Sobald ein Musterstoff bei uns angefragt wird, verschicken wir diesen noch am selben Tag.” Zu den rund 17.000 bereits existierenden Designs von Antik Dantel kommen zudem zwei bis drei neue Designs pro Woche, ein Rhythmus, der dem von Modeketten wie Zara und dessen wöchentlichen ‘Drops’ durchaus ähnelt.

Was genau die mögliche Rückkehr von Inditex nach China für die Türkei bedeutet und welche Auswirkungen das für die vielen Lieferant:innen hat, konnte oder wollte niemand so wirklich sagen. Gürer gab lediglich zu, dass die Türkei durchaus von den Covid-19 bedingten Lieferengpässen profitierte, betonte aber auch, dass die meisten Firmen seither mehr darauf achten, Risiken zu reduzieren und sich abzusichern – mit Lieferant:innen sowohl in der Türkei, als auch in China oder anderen Beschaffungsländern.

Besucher:innen auf der Texhibition. Bild: Texhibition

Die flexible Logistik, die kürzeren Lieferzeiten und Transportwege sind schlagkräftige Argumente für die Zusammenarbeit mit den Textilexporteur:innen der Türkei, doch auch Qualität und Verlässlichkeit spielen eine große Rolle. Jedoch machen sich die heimischen Unternehmen, zumindest laut Fatih Bilici, keine Hoffnungen auf Kund:innen der Luxusindustrie. Das Hauptaugenmerk sei die europäische Fast-Fashion-Industrie. Für die Produktion von Basics sei das Land allerdings nach wie vor zu teuer und könnte nicht mit den Preisen anderer nicht-europäischer Länder mithalten.

„Wir sind derzeit zehn bis 15 Prozent teurer als vergleichbare Mitbewerber:innen aus China, doch dafür überzeugt unsere Qualität”, so Yücel Ikiler, Export-Manager der Lederimitat-Firma Hefa. Preislich sind die türkischen Produzenten kompetitiv, jedoch nicht unschlagbar. Dafür hat das Land allerdings einen ganz anderen, für manche Unternehmen sogar alles entscheidenden Vorteil, denn die Türkei setzt verstärkt auf Nachhaltigkeit – nicht zuletzt, um den Ansprüchen der Kund:innen gerecht zu werden.

Inditex, Mango und der European Green Deal treiben Nachhaltigkeit an

Nachhaltigkeit wird an den meisten Ständen der Texhibition thematisiert. Einige werben stolz mit ihren Zertifizierungen noch bevor die Verkaufsfläche betreten wird, andere wiederum erzählen von der Nutzung erneuerbarer Energien – insbesondere Solaranlagen – auf den Dächern ihrer Fabriken. Die nachhaltigen Bemühungen gehen meist auf den steigenden Anforderungen aus Europa zurück – insbesondere die der für die Türkei so wichtigen Fast-Fashion-Unternehmen wie Mango oder die Inditex Gruppe. Die Zusammenarbeit mit Inditex ist für den Textilproduzenten Migiboy das nächste große Ziel, derzeit sei das allerdings noch nicht möglich, so Export-Managerin Elif Begen. Sie erklärt, dass die Fabrik derzeit noch mit Kohle beheizt wird, ein Faktor, der für Inditex eine tragende Rolle spielt.

Der starke Fokus auf den Export, insbesondere nach Europa, bedeutet zudem auch, dass die Hersteller:innen sich zunehmend an die Anforderungen des Circular Economy Action Plan der Europäischen Union anpassen müssen. Sollten sie diese nicht erfüllen, fällt ein lukrativer Markt und ein beträchtlicher Teil ihres Umsatzes weg. Die größten Ziele der Industrie seien demnach derzeit die Verringerung des Wasserverbrauchs, die Erhöhung der Effizienz erneuerbarer Energiequellen, eine nachhaltigere Organisation der Lieferketten, Zero-Waste in Produktion und die Kreislaufwirtschaft, betont auch der Abschlussbericht der Texhibition erneut. Für die Förderung und bessere Vermarktung des ökologischen Baumwollanbaus in der Türkei gibt es seit einigen Monaten auch ein eigenes Zertifikat namens “GMO Free Turkish Cotton", das Baumwolle ohne jegliche Genmanipulation kennzeichnet.

Laut Bilici sind alle auf der Texhibition vertretenen Firmen bereit für die nachhaltigen Anforderungen der europäischen Modebranche, einige Unternehmen kritisierten aber auch, dass das Sustainability-Thema derzeit wieder hinter der Debatte um einen Preis ansteht.

Klare Vorstellungen und große Ziele

Die Resonanz der Ausstellenden ist überwiegend positiv, immer wieder wird das Potential der Messe und deren Notwendigkeit für den türkischen Textilsektor betont, doch vereinzelt gibt es Verbesserungsvorschläge und kleine Kritikpunkte. Zum einen ist da der Zeitpunkt, denn die Messe bildet das Schlusslicht des Messekalenders. Die meisten Einkäufer:innen – wie auch die meisten Aussteller:innen – haben davor bereits die großen internationalen Messen wie die Premier Vision in Paris oder Munich Fabric Start in München besucht. Istanbul sei nun der letzte Stop für all diejenigen, die für die Produktion ihrer Frühjahr/Sommer 2024 Kollektionen noch etwas vermissen, so Günsel Güngor von BTD Textile, einem Textilhersteller, der in Deutschland unter anderem S.Oliver, Hugo Boss und Esprit zu seinen Kund:innen zählt. In Istanbul würden Besuchende lediglich noch nach Ergänzungen suchen, die Order sei allerdings bei den meisten bereits abgeschlossen, so Güngör.

Die Sourcing-Messe Texhibition in Istanbul. Bild: Texhibition

Diesen Eindruck bestätigt auch Hamzagil. Die Messe sei besonders für jene Besucher:innen interessant, die nahezu alle türkischen Lieferanten an einem Ort kennenlernen wollen. Der Zeitpunkt allerdings ist ein Problem für Europa. „Für die meisten Unternehmen ist das Sourcing bereits abgeschlossen, sie stecken jetzt bereits in der Kollektionsvorbereitung", so Hamzagil. Dennoch sieht er durchaus Potential für die Messe, betont aber auch, dass es noch Luft nach oben gibt. Der Branche insgesamt fehle gerade der Mut, nur die so häufig auf der Sourcing-Messe thematisierte Zara-Mutter Inditex sei immer noch gierig nach Neuem und gebe damit den Ton an.

Mut beweisen auch die Veranstalter:innen der Texhibition mit ihrem Ziel, die wichtigste Textilmesse der Welt zu werden. Fünfzehn Jahre lang hätte es keine ernstzunehmende Messe für Sourcing in Istanbul gegeben, das soll sich nun ändern, sagte Bilici. Seine Aussage revidierte der İTİB-Vizepräsident auf Nachfrage ein wenig, denn die sonst in Paris ansässige Premiere Vision veranstaltete von 2014 bis 2018 eine Messe am Bosporus und auch der Veranstalter Frankfurter Messe brachte die Texworld schon nach Istanbul.

Mit der Premiere Vision möchten es die Veranstalter:innen der Messe jetzt aufnehmen, denn Texhibition soll langfristig nicht “nur” eine von vielen Textilmessen sein. „Wir haben aus der Branche ein großes Interesse festgestellt. Die Texhibition hat sich als internationaler Hub für effizientes Sourcing der Vorstufe etabliert”, so der Vizepräsident im Abschlussbericht der Messe. „Weitere Innovationen für die nächste Ausgabe im September 2023 sind in Planung. Der Fokus liegt dabei auf gesundem Wachstum.” In einem persönlichen Gespräch auf der Messe fand Bilic noch direktere Worte, denn seiner Meinung nach gehöre die Mode und damit Textilien nach Istanbul. Er unterstrich auch das künftige Ziel der Messe: „Nummer eins international, nicht nur in Istanbul!”

FashionUnited wurde eingeladen, die Texhibition in Istanbul zu besuchen.

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