• Home
  • Nachrichten
  • Mode
  • Alexander Shumsky: #Rewiringfashion - Kritik am Modesystem lange überfällig

Alexander Shumsky: #Rewiringfashion - Kritik am Modesystem lange überfällig

Von Natalia Popova

Wird geladen...

Scroll down to read more

Mode |INTERVIEW

In der vergangenen Woche erschienen im Internet und in den Medien mehrere Absichtserklärungen, die Veränderungen im globalen Modesystem forderten. Die Website Business of Fashion veröffentlichte die Petition #rewiringfashion, unter der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung fast 2000 Unterschriften von Branchenführern und Modeakteuren aus der ganzen Welt zu finden waren.

Alexander Shumsky ist Exekutivpräsident des russischen Moderates und Präsident der Mercedes-Benz Fashion Week Russia. Im Jahr 2017 entwickelte er im Rahmen der Nationalen Technologieinitiative der Agentur für strategische Initiativen das innovative Konzept FashionNet, bei dem es um die Neuformatierung des traditionellen Modemarktes ging.

Zu den Projekten des russischen Moderats gehören die Plattform Futurum Moskau für junge Designer, die Ausstellung Pop-Up Shop und der Accelerator Fashion Futurum. Da die Modewoche aufgrund des Coronavirus abgesagt wurde, fand die Mercedes-Benz Fashion Week Russland vom 4. bis 6. April digital statt und wurde von 830.000 Menschen besucht.

FashionUnited sprach mit Alexander Shumsky über seine Meinung zum Vorschlag von #rewiringfashion.

#Rewiringfashion

#Rewiringfashion ist ein Aufruf zur Veränderung der internationalen Modeindustrie, der aus laufenden Diskussionen zwischen einer wachsenden Gruppe unabhängiger Designer, CEOs und Führungskräften des Einzelhandels aus der ganzen Welt hervorgegangen ist. Laut diesen Branchenvertretern ist mit dem derzeitigen System niemandem gedient und eine Verlangsamung der Modeindustrie, insbesondere in Zeiten von Covid-19, geboten. Drei Themen werden besonders hervorgehoben: der nicht mehr zeitgemäße Modekalender, das veraltete Modeschau-Format und die unverhältnismäßigen Rabattschlachten.

Alexander Shumsky: "Die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Modesystem ist längst überfällig - es hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Obwohl es immer akzeptiert wurde, Kollektionen im Voraus zu zeigen, hat dies zu einem riesigen Fast-Fashion-System geführt, das die interessantesten Ideen auf internationalen Laufstegen sieht und dann darauf basierende, billigere Produkte herausbringt. Das Problem der Plagiate in der Mode ist kritisch und ist bis heute nicht gelöst. Noch vor 10 bis 15 Jahren akkreditierten viele Modehäuser in Mailand und London Online-Publikationen und chinesische Fotografen für ihre Shows nicht, um zu verhindern, dass ihre Ideen in die billigeren Modesegmente durchsickern, bevor ihre Kollektionen in den Handel kommen.”

"Damals waren die Hauptgäste auf Messen Einkäufer, und die Branche klammerte sich an Zeitschriften, die den Beginn der Schlussverkäufe ankündigten, aber formal ist heute nicht viel anders. An den Modeschulen in New York und in Moskau wird den Designstudenten immer noch gesagt, dass Einkäufer auf einer Show eine Notwendigkeit sind und dass die Kollektionen in Männer- und Frauenkollektionen aufgeteilt werden sollten. Rewiringfashion ist in einer Zeit sinkender Umsätze und sich ändernder Prioritäten ein gezielter Aktionsplan zur Überwindung der Folgen der Coronavirus-Krise. Es ist zwar nicht bewiesen, dass Fast-Fashion-Firmen, wenn sie die Ideen anderer kopieren, den Umsatz von Designermarken reduzieren, aber Dries van Noten, Missoni und andere sind wahrscheinlich nicht sehr glücklich, wenn ihre Kreativität vom Massenmarkt übernommen wird, bevor sie ihren ersten Euro verdienen können".

Neujustierung des Modekalenders

Der erste #rewiringfashion-Vorschlag rät zur Überarbeitung des aktuellen Modekalenders, der mit dem heutigen Markt nicht mehr synchron ist, sowie zum Überdenken von Show-Timings, Orderzeiträumen und Produktauslieferungen. Er betont auch, dass Modenschauen zu weit im Voraus stattfinden und dass die Liefertermine nicht mehr mit den realen Jahreszeiten übereinstimmen.

Stattdessen wird vorgeschlagen, Damen- und Herrenmodewochen, die im Januar oder Februar und Juni stattfinden, zusammenzulegen, längere Verkaufszeiträume zum Vollpreis ermöglichen, den Reiseaufwand für Einkäufer zu minimieren. Darüber hinaus werden besser getimte Modenschauen, Kollektionsauslieferungen und reale Saisons gefordert, so dass die Schauen stattfinden, kurz bevor die jeweiligen Kollektionen in die Geschäfte kommen.

"Das Problem der Fast-Fashion stimuliert exzessiven Konsum, der nicht nachhaltig ist", findet Alexander Shumsky. "Um sich anzupassen, haben viele Marken "grüne" Programme ins Leben gerufen, was viele nur um des Marketings willen tun. Das Thema der nachhaltigen Entwicklung wird wichtig bleiben, um sich von der Krise zu erholen. Ich denke, dass es jetzt an der Zeit ist, den Zeitplan und die Saisonalität der Modewochen zu überprüfen. Die heutigen Shows sind für Medien, soziale Netzwerke und Verbraucher gemacht, nicht für die Geschäfte, wodurch sich der Zeitpunkt des Kaufzeitraums verschoben hat.”

"Auch in Mailand und Paris wirkt sich die Präsentation neuer Kollektionen nicht auf die endgültigen Ordern aus, da die Hauptordern bereits zwei bis drei Monate früher getätigt werden. Modewochen in diesem Sinne haben sich zu Content-Veranstaltungen entwickelt. Was die Änderung der traditionellen Saisonalität der Mode und das Zeigen dessen, was bald in den Geschäften erscheinen wird, betrifft, so kann ein besseres Timing zu weniger Plagiaten auf dem Massenmarkt führen, da es schwierig sein wird, geschlossene Ausstellungsräume auszuspionieren, da das Fotografieren verboten sein kann".

Modenschauen neu erfinden

Der zweite #rewiringfashion-Vorschlag legt nahe, dass das Format von Modenschauen veraltet ist und dass Marken in der Lage sein sollten, die Präsentation ihrer Kollektionen frei zu gestalten, um ihr Zielpublikum besser zu erreichen. Zwar werden nun auch Influencer und Prominente eingeladen, doch sind Modenschauen nicht für diese neue, unmittelbare digitale Welt optimiert, in der sich die Bilder schnell verbreiten.

Die Modefachleute schlagen deshalb die Neupositionierung von Modenschauen als Veranstaltungen vor, die in erster Linie darauf abzielen, die Verbraucher anzusprechen, sowie das Bewusstsein und den Wunsch nach Kollektionen zu schaffen, kurz bevor die Kleidungsstücke im Geschäft ankommen.

"Die Optimierung der Show ist das, was wir seit vielen Saisons allen Designern, die an der Mercedes-Benz Fashion Week Russland teilnehmen wollen, gesagt haben", so Shumsky im Hinblick auf die potenzielle Umstrukturierung von Modeschauen. "Seit vielen Jahren übertragen wir alle Schauen der Modewoche im Internet und auf einer riesigen Leinwand in der Lobby der "Manege", was unser Publikum über den physischen Veranstaltungsort hinaus vergrößert. Deshalb bedeutet Optimierung in unserem Fall, dass der Designer etwas mehr tun muss, als nur die Models auf dem 30 Meter langen Laufsteg laufen zu lassen. Vor fünf Jahren stellten wir große Leinwände auf, und die Designer begannen, spezielle Videos für die Show vorzubereiten. Das hat uns sehr geholfen, als wir die diesjährige Modewoche abgesagt haben. Wir sammelten mehr als 30 gute Videos für die digitale Veranstaltung, da viele Designer bereits im Februar und März Videos ihrer neuen Kollektionen vorbereitet hatten.

"Da es immer ein paar Herrenkollektionen gibt, hatten wir keine Probleme mit dem Geschlecht. Zwei weitere Saisons von Herrenkollektionen im globalen Modekalender verwischten den Fokus und verdoppelten die Kosten der Designer für Shows, und die Effektivität ist nicht erkennbar. Wenn die "großen vier" Modewochen die Anforderungen an die teilnehmenden Häuser ändern, werden die Zeitpläne vielfältiger, und es wird viele Veranstaltungen geben, die nicht direkt mit der Modenschau zusammenhängen. Viele Marken arbeiten in angrenzenden Bereichen, einschließlich anderer kreativer Industrien, um durch Kunst, Film, Theater, Gastronomie und so weiter ein öffentliches Image aufzubauen. Für mich ist dies vorzuziehen. Ich betrachte die Modewoche als ein Objekt der städtischen Kultur, deshalb beziehen wir seit vielen Jahren auch Projekte außerhalb des traditionellen Formats ein."

Die Sucht der Konsumenten nach Rabatten

Der dritte Vorschlag von #rewiringfashion befürwortet die Idee, dass Modeeinzelhändler ihre Sucht nach Preisnachlässen brechen, die Abschriften am Ende der Saison zeitlich eingrenzen und den Mid-Season-Sale stoppen. So wurden die Kunden darauf geschult, mit Rabatten zu rechnen, weil Einzelhändler zu frühen und häufigen Rabatten greifen, um Verkäufe und Umsatz zu steigern.

Stattdessen könnten diese Probleme gelöst werden, indem man die Einzelhändler ermutigt, extreme Rabatte für S/S 2020-Kollektionen zu vermeiden und den langfristigen Markenwert und die Rentabilität im Auge zu behalten. Zukünftige Rabattierungen sollten auf Januar und Juli eines jeden Jahres verschoben werden, beginnend mit der Herbst/Wintersaison 2020, und Rabattschlachten während der Saison, wie Black Friday, Cybermonday und Single Day, könnten abgeschafft werden.

"Einige Luxusmarken sind nie im Sale und andere verkaufen ihre Kleidung nicht zu Rabattpreisen, sondern vernichten lieber unverkaufte Bestände. Die Besessenheit der Verbraucher mit Rabatten führte dazu, dass große Marken begannen, Kollektionen und Modelle speziell für Outlets zu produzieren: Das Material ist billiger und die Farben und Passformen sind etwas anders. Zum einen ermöglichte es der Modeindustrie, zur zweitgrößten Verbraucherindustrie der Welt nach Lebensmitteln zu wachsen. Aber diese Praxis hat auch den Wert Design als Grundlage der Mode reduziert. Die Marken, die #rewiringfashion unterschreiben haben, wollen in eine Zeit zurückkehren, in der Designerkleidung noch nicht so leicht erhältlich war.”

"Um weniger für mehr zu verkaufen, muss man weniger produzieren. Und um so viel zu produzieren, wie die Verbraucher kaufen, muss man entweder die Nachfrage vorhersagen oder lernen, die Nachfrage so zu befriedigen, wie sie erscheint. Beide Wege erfordern einen Übergang zu einer neuen Stufe der technologischen Entwicklung. Gleichzeitig haben die Offline-Einzelhändler schon vor langer Zeit begonnen, in die Einschätzung der Nachfrage zu investieren, zum Beispiel mittels Bigdata oder KI. Das half ihnen jedoch nicht, sinkende Umsätze und zahlreiche Insolvenzen zu vermeiden. Die Befriedigung der Nachfrage, so wie sie sich darstellt, erfordert eine Umstrukturierung des Produktionssystems durch Reshoring, Automatisierung oder Digitaldruck. Hoffentlich werden sich diese Prozesse beschleunigen, aber fürs Erste sollten Rabattschlachten wie Black Friday begrenzt werden".

Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.ru veröffentlicht. Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung: Barbara Russ

Foto: MBFW Russia

Alexander Shumsky
MERCEDES-BENZ FASHION WEEK RUSSIA
#Rewiringfashion