Aufstrebende Menswear-Labels aus den USA
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Die New Yorker Modewoche begann mit der halbjährlich stattfindenden Präsentation aufstrebender Herrenmodelabels auf dem New York Men's Day (NYMD), der nun schon zum 17. Mal der alteingesessenen Modeszene der Stadt neue Talente vorstellt. Einer dieser Veteranen, Perry Ellis, stellte auf der Messe sein Label Perry Ellis America vor. Daneben gab es acht aufstrebende Marken, die um die Chance wetteiferten, im Namen von Perry Ellis eine Capsule-Kollektion zu entwerfen.
Die gesamte Veranstaltung war gut besucht, mit langen Schlangen vor den Aufzügen in den Canoe Studios, einer Party am Morgen mit geimpften Models und einer abendlichen Live-Darbietung des Songs „Tarifa“ der in Brooklyn lebenden Sängerin Sharon Van Etten, begleitet von einem Flügel.
Die Wiederbelebung der amerikanischen Modeindustrie
Neben einer Hommage an das US-amerikanische Erbe in Form von College-Klassikern, die von Perry Ellis gezeigt wurden, gab es auch eine Verbeugung vor der US-amerikanischen Produktion, die nicht nur im New Yorker Bekleidungsviertel stattfindet, sondern auch im Mittleren Westen. Das in Cleveland ansässige Unternehmen William Frederick wird von William McNicol, einem Autodidakten aus Pittsburgh, entworfen, der für das College nach Ohio zog und sich dort niederließ. Dass die Marke zu hundert Prozent in Cleveland hergestellt wird, begründet er mit seiner langjährigen Vorliebe für die Fertigung und den Erhalt von Arbeitsplätzen vor Ort.
„In den 1950er Jahren war Cleveland nach New York die zweitgrößte produzierende Bekleidungsindustrie der Welt“, sagte McNicol gegenüber FashionUnited und verwies auf die florierenden Jahrzehnte der Branche im 19. und 20 Jahrhundert. Er beobachte, dass kleine Marken zunehmend versuchen, den Produktionsprozess bei sich vor Ort zu gestalten, anstatt automatisch nach Übersee oder sogar nach New York und Kalifornien zu schauen. „Ich habe auf jeden Fall eine neue Energie bemerkt, die darauf abzielt, vor Ort zu produzieren, diese Geschichte erzählen und den Menschen helfen, die in unserer Nähe leben. Ich möchte es nicht als Trend bezeichnen, weil ich hoffe, dass es mehr als das ist, aber ich habe beobachtet, dass sich die Dinge in diese Richtung bewegen.“
Für McNicol und andere Marken, die lokal in ihrer Region produzieren, hat die Nähe zum Produktionsprozess Vorteile, vor allem wenn es um die Qualitätskontrolle geht. Aaron Potts, der zusammen mit McNicol am Vormittag seine neueste Kollektion vorstellte, ist in Detroit aufgewachsen, lebt aber in Brooklyn und entwirft für seine Marke A.Potts. „Ich verbringe die Hälfte meines Lebens im Garment District, sowohl bei der Beschaffung als auch in der Fabrik, es ist also alles lokal. Das ist nicht nur gut für die Arbeitsplätze, sondern auch für die Qualität der Produkte – wenn sie nah sind und man sie sehen kann.“
Und für den Brooklyner wird sein Arbeitsort bald noch näher rücken, denn das New Yorker Bekleidungsviertel dehnt sich weiter in Richtung Sunset Park aus. Die Stadt arbeitet über ihre Wirtschaftsentwicklung (NYCEDC) daran, bestehende Industriegebäude zu restaurieren, um einen „Made in NY Campus“ zu schaffen, der ab diesem Jahr Flächen zwischen 2.000 und 35.000 Quadratmetern an Modeunternehmen vermieten wird, die in den Bereichen Schnitterstellung, Sortierung, Zuschnitt und Nähen sowie der Fertigung von Mustern tätig sind. Die inländische Fertigung sowie die Verlagerung der Beschaffung und andere Aspekte der textilen Lieferkette sind auch das Thema einer Podiumsdiskussion auf der Fachmesse Sourcing at Magic in Las Vegas.
Maskulinität in der Kleidung wird weiterhin neu definiert
Die H/W 22-Kollektion von A.Potts wurde von Gregory Wikstrom entworfen, der mit seiner Kollektion einen geschlechtsneutralen und unisex-orientierten Ansatz verfolgt. McNicols Kollektion klassischer Essentials, die er für seinen eigenen Kleiderschrank fertigt, wurde an männlichen und weiblichen Models gezeigt. Potts’ Erkundung von Hauttönen für die Kollektion mit dem Titel „Skinfolk“ zeigte voluminöses Layering und luftige Fallschirmcapes, die sowohl von Männern als auch von Frauen getragen wurden. „Ich habe immer dramatische Looks, aber ich liebe auch Stücke, die jeder an jedem Wochentag tragen kann“, sagte Potts, bevor er auf der Show für Fotos posierte. Unabhängig vom NYMD präsentierte Overcoat – entworfen von Ryuhei Oomaru in seinem Produktentwicklungsstudio in Chinatown – eine Unisex-Kollektion, die von alten Wintersportuniformen inspiriert wurde.
Der Designer Stephen Mikhail, der die erste Kollektion seiner Linie Atelier Cillian vorstellte, sagt, er liebe es, die Grenzen der Männlichkeit zu überschreiten. „Ich glaube, es gibt eine Menge toller Designer:innen für Damenmode, aber Damenmode bietet mir nicht die Herausforderung, nach der ich mich sehne, sie bietet mir nicht die Grenzen, die ich durchbrechen kann. Seine erste Kollektion wurde von den 1718 gegründeten Hellfire Clubs in Großbritannien inspiriert, in denen Parlamentsmitglieder und die Elite der Gesellschaft nach Feierabend ausschweifend feierten. „Sie gingen jeden Tag zugeknöpft zur Arbeit und verabschiedeten Gesetze, die sie später am Abend wieder brachen“, beschreibt Mikhail. „Als ich sah, wie die Politik während [der Pandemie] gehandhabt wurde, war das mein Kommentar zum schlechten Benehmen der Politiker:innen“
Mit schwarzen und grauen Tweed-Anzügen, gestylt mit historisch-authentischen Zylinderhüten, kombiniert mit roten, drapierten Rollkragenpullovern und Tattoo-entblößenden, durchsichtigen Ärmeln mit fingerlosen Lederhandschuhen stellt Mikhail die Frage nach der Männlichkeit und danach, wer sie definiert. Er verweist auf Männer wie König Ludwig XIV., die sich durch das Tragen von Stöckelschuhen mächtiger fühlten. „Du siehst dir all die verschiedenen Varianten dessen an, was im Laufe der Jahrhunderte als typisch männlich galt. Ich finde, in dieser Kollektion sieht man viel Tailoring, das heute mit Männlichkeit assoziiert wird, aber auch zarte Drapierungen und Herrenmode aus Damenstoffen. Das gibt der Kleidung eine wirklich schöne Dualität, in der sich viele verschiedene Menschen wiederfinden können.“
Einige Designerinnen glänzen in der Herrenmode
Nach Emily Bode, die im Februar 2017 als erste weibliche Designerin auf der NYFW Men's auftrat, ist Clara Son auf dem Weg, ihren eigenen Weg zu gehen. Die gebürtige Südkoreanerin gründete ihre Marke während ihres Studiums an der Parsons School of Design und am FIT. Sie beweist eindrücklich, dass auch Frauen die Grenzen von Männlichkeit und Weiblichkeit verwischen können. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Männermode machen würde, denn ich bin mit Barbiepuppen aufgewachsen“, sagte sie gegenüber FashionUnited. „Als ich achtzehn war, habe ich in einem Kurs Aktmodelle gezeichnet, und da habe ich zum ersten Mal den männlichen Körper betrachtet und gedacht, dass Männer Kurven haben, aber ganz andere Kurven, und dass sie auf ihre Weise schön sind. So einfach ist das.“
Ihre Debütkollektion wurde durch einen Besuch im Amsterdamer Stedelijk Museum inspiriert, wo sie ein emotionales Erlebnis hatte, als sie das Werk „Black Cloud“ von Carlos Amorales betrachtete, eine Ode an die Wanderung der Monarchfalter von Kanada nach Mexiko, die aus Papier ausgeschnitten wurde. „Es war sehr unheimlich. Als ich aufwuchs, liebte ich Käfer und wenn ich eine schwierige Zeit hatte, sagte ich meinen Freund:innen, dass ich mich wie ein Käfer fühle.“ Sie wollte die negative Energie in schöne Kunstwerke umwandeln. Son spielt mit modernen und historischen Formen durch Rüschentechniken und mischt schwere mit leichten Materialien, um die harte Schale und den weichen Leib von Käfern nachzuahmen. Die Looks sind zwar fantastisch, aber nicht ohne kommerziellen Reiz. Der Name der Kollektion, „Exuvia“, wird im Insektenkunde-Jargon als eine abgestoßene Außenhaut beschrieben – ein Abstreifen dessen, was nicht mehr gebraucht wird.
Optimismus bleibt
Nach Anzeichen von Optimismus bei den Modenschauen musste man nicht lange Ausschau halten. Die Frage nach der kollektiven Stimmung für die nächsten Monate stellt sich – werden wir uns wieder formeller kleiden? Werden wir mehr Spaß haben? Wird die Rückkehr ins Büro uns einen Grund geben, den einen Tag zugeknöpft und den nächsten dekadent zu sein? Eine Frage, die Stephen Mikhail, der sowohl in New York als auch in London lebt, gerne beantwortet. „Ja, die Leute haben es satt. Ich höre immer wieder, dass die Leute nur einen Vorwand brauchen, um sich schick zu machen, also geben wir ihnen einen Grund dazu.“
Der aus New Jersey stammende Nicholas Raefski, der ebenfalls neu beim New York Men's Day ist, erinnert uns mit seiner Kollektion „Meet Me By The Bleachers“ daran, nach vorne zu schauen und nicht in der Vergangenheit zu schwelgen – auch nicht in den Zeiten vor der Pandemie, denen wir nostalgisch nachtrauern. Wie zum Beispiel den Highschool-Erinnerungen an die Streetwear der 70er, die er für die Show kreiert hat, obwohl er ein paar Jahrzehnte zu spät geboren wurde, um sie tatsächlich erlebt zu haben. Raefski ließ sich von Nostalgie und verfälschter Nostalgie inspirieren: sich an die Vergangenheit besser zu erinnern, als sie war, und sich nach etwas zu sehnen, das man nie wirklich hatte. In seinem Statement zu der Kollektion sagte er: „Ich genieße die Herausforderung, etwas aus der Vergangenheit zu nehmen, über das ich wenig weiß, in der Gegenwart zu denken und es für die Zukunft zu entwerfen.“
Bei der Show beschrieb er seine Erwartungen an diese erste Modewoche. „Mein größtes Ziel war es, einfach Spaß zu haben. In dieser Saison ging es darum, Grenzen zu überschreiten, viele Dinge zu entwerfen und einfach Spaß zu haben. Ich persönlich trage nicht so viel Farbe, also wollte ich etwas entwerfen, was ich selbst nicht trage. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, diese leuchtenden Orangen, Pink- und Blautöne zu entwerfen.“ Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und erzählte, dass er vor lauter Emotionen an diesem Tag ein bisschen sprachlos war. „Ich denke, das ist das Schöne am Design, oder? Nur weil ich ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Hose trage, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch so empfinde. Die Grenzen zu überschreiten, Spaß zu haben und es einfach zu einer Kunstform zu machen – darum geht es mir bei der Mode. Ich habe heute die beste Zeit meines Lebens.“
Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.uk veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ.