Avenir: Berliner Upcycling-Label haucht alter Kleidung neues Leben ein
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Das junge Upcycling-Label Avenir hat große Pläne: Nach der erfolgreichen Gründung zu Beginn der Corona-Pandemie will die Berliner Brand seine Made-to-Order-Designs in den stationären Handel bringen.
Schnell, billig und in großen Mengen. So lässt sich das Einkaufsverhalten der Mehrheit der Menschen beschreiben: unbedacht und günstig erstandene Kleidungsstücke werden nach einer Saison aussortiert und durch neue, trendorientiertere Modelle ersetzt – eine Entwicklung, die zu Unmengen von textilem Abfall führt. Laut dem Fashion Waste Index Europa wurden 2020 allein in Deutschland rund 392.000 Tonnen Textilien weggeworfen.
Genau dieser Schnelllebigkeit will das Berliner Upcycling-Label Avenir entgegenwirken. Das zentrale Konzept der Brand ist Wiederverwertung. „Upcycling funktioniert, und zwar auf so vielen unterschiedlichen Wegen”, sagt Gründerin Sophie Claussen im Interview mit FashionUnited. Ihren eigenen Ansatz beschreibt sie als recht simpel: Avenir nutzt alte Kleidungsstücke oder Textilien und Restposten-Stoffe und fertigt daraus neue Produkte, das Label fertigt nur auf Bestellung.
Versteckt zwischen einer Kleingartenanlage und zahlreichen Autowerkstätten bei der Blaschkoallee im Berliner Bezirk Neukölln hat das junge Label sein kleines Atelier. In einem unscheinbaren roten Haus mit alten Fensterläden aus Holz arbeitet die Gründerin mit ihrem fünfköpfigen Team. In den zwei Räumen herrscht ein liebevolles, kreatives Chaos. Zwischen Bergen aus Denim-Resten, Moodboards und Samples befindet sich die neue Frühlings/Sommer-Kollektion in den letzten Zügen der Fertigstellung. Auch diese Kollektion trägt die charakteristische Handschrift des Labels: Die Designs sind geradlinig geschnitten, untailliert. Patchwork und Denim sind die tragenden Designelemente, finden sich bei Hosen und Jacken wieder. Aber auch ein Hemd, gefertigt aus alten Tischdecken, hängt auf der Kleiderstange.
Aus der Pandemie auf den Roten Teppich
Avenir bedeutet Zukunft auf Französisch – Claussen gründete das Label im Januar 2020, davor arbeitete sie als Juniordesignerin bei Rejina Pyo in London. Den Wunsch zu gründen trug sie schon lange in sich. „Der Wunsch war bei mir speziell gepaart mit dem Gedanken, etwas nachhaltig zu machen, es besser zu machen”, erzählt sie. Nach ihrer Zeit in London arbeitete sie beim Textilhafen, dem Materialpool der Berliner Stadtmission, wo wöchentlich rund elf Tonnen gespendete Kleidung ankommen. Dort sah sie, wie viele überschüssige textile Materialien im Umlauf sind: „Und aus dieser Idee, dass es so vielen textilen Abfall gibt, der aber noch einen schönen Nutzen hat, wenn man es richtig angeht, ist Avenir entstanden”.
Die Startphase des jungen Labels korrelierte mit dem Beginn der Corona-Pandemie, wodurch sich das Gründungsjahr anders gestaltete als geplant. Reisen war undenkbar und kulturelle Veranstaltungen wurden auf Eis gelegt – der Besuch von Produzent:innen war unmöglich und der kreative Austausch und Kontakt zu Kund:innen stark eingeschränkt. Claussen beschreibt es rückblickend als ein langsames Vorankommen: Sie entwickelten den Schriftzug für das Logo, starteten die Produktion und den Verkauf von Stoffmasken und erlernten grundlegende Vertriebs-Basics. Für das Label war es im Nachhinein ganz angenehm, „weil der Anfangsdruck weg war”, so Claussen.
Über Avenir:
- Gründerin: Sophie Claussen
- Mitarbeiter:innen: Hanna Abdullha (Schnitt, Nähen), Joely Walford (Design), Alizé Briend (Marketing), Alessia Senatore (Praktikantin), Bernadette Böllhof (Business Development)
- Verkaufsstellen: Eigener Onlineshop, Avocadostore, Habitus, Entire Stories, Refurbed, Not just another label
- Preiskategorie: 59-450 Euro
- Bestsellermodell: Sophie Denim Pants
- Kontakt für den Einzelhändler:innen: info@avenirberlin.de
Den Großteil der Materialien bezieht Avenir vom Berliner Textilhafen, überwiegend Denim. Die restlichen Stoffe werden auf unterschiedlichen Wegen von verschiedenen Großhändlern gesourct, die sich auf Restposten spezialisiert haben. Die Made-to-Order-Aufträge werden in Berlin handgefertigt und machen den Großteil des Geschäftes aus. Die Produkte können online geordert werden, die Größen reichen von S bis XL, individuelle Anpassungen nach Maß sind ebenfalls möglich. Nach eingegangener Bestellung macht sich das Avenir-Team an die Arbeit. Durch die limitierte Stoffauswahl und das Nähen in Handarbeit sind diese allesamt Einzelstücke.
Zudem hat das Label einige Fabriken in Portugal, die Restpostenstoffe in ihre Produktionskette integriert haben und anbieten, erklärt die Gründerin. Dort produziert die Brand einige wenige Modelle, wie ein schlichtes weißes T-Shirt aus recycelter Baumwolle, in kleinen Serien, die neben den Made-to-Order-Designs angeboten werden.
Durch die Wiederverwertung und die damit einhergehende limitierte Stoffauswahl ist Avenir, wie alle Upcycling-Labels, in Bestellmenge und Wachstum begrenzt. Durch das Weitertragen gut funktionierender Modelle in neue Kollektionen, bei denen nur die Farbpalette wechselt, sieht das Team eine Möglichkeit, dennoch zu wachsen und größere Mengen anzubieten. „Made-to-Order wird aber immer ein bisschen limitiert bleiben”, sagt Claussen, „das finden wir auch gar nicht schlecht, denn diese Produkte bauen eine emotionale Bindung zu den Kund:innen auf”.
Im Februar zeigte das Label seine Designs erstmals auf der Berlin Fashion Week, als Teil der Gruppenausstellung Berliner Salon. Die handgemachte Denim-Pufferjacke, die die Brand bei der Ausstellung präsentierte, wurde auch schon von Content Creator Jacob Rott, dem über acht Millionen Menschen auf TikTok folgen, auf einem Event der Video-Plattform getragen. Musikerin Lotte brachte Avenir sogar schon auf den roten Teppich: Sie zeigte sich bei den “New Faces Awards” in einem Allover-Denim Look des Labels.
Upcycling-Mode für stationäre Läden
Avenir vertreibt seine Produkte derzeit vor allem über den eigenen Onlineshop, aber auch über andere Shopping-Plattformen wie dem Avocadostore oder Entire Stories. Die Zusammenarbeit mit Online-Marktplätzen war für Claussen spannend, weil einige Plattformen, wie Habitus, das Made-to-Order-Konzept in ihr Angebot aufgenommen haben: Auf der Upcycling-Plattform kann das Bestsellermodell, die Sophie Denim Pants sowie eine Denim-Bomberjacke geordert werden.
Zukünftig will die Brand den Schritt in den stationären Handel wagen. „Meine liebste Vorstellung wäre es, wenn wir dem stationären Einzelhandel eine Art Konzept anbieten, das wir bei unseren Pop-up-Stores auch selbst schon ausprobiert haben”, erklärt Claussen. Mit geschultem Personal, das die Produkte anbietet und Maße nimmt, soll Made-to-Order in den klassischen Einzelhandel einbezogen werden und ein neues Einkaufserlebnis bieten – immer kombiniert mit einem kleinen Serienangebot an “Mitnehmware”. „Wir haben in unseren Pop-ups gemerkt, dass das gut funktioniert”, sagt Claussen, „und auch die Kund:innen fanden es gut”.
Für die Zukunft will das Avenir-Team seine Produkte weiterentwickeln, Upcycling leichter gestalten und als eine ganzheitliche Form für die Kund:innen anbieten – beispielsweise durch Einsendung alter Kleidung oder Workshops. „Wir wollen Upcycling als etwas Angenehmes etablieren”, so die Gründerin, „und damit natürlich auch uns als Brand etablieren”.
Damit sich dieses Vorhaben leichter gestaltet, muss sich laut Claussen aber auch der Modestandort Berlin in Bezug auf Nachhaltigkeit weiterentwickeln und breiter aufstellen: „Es gibt andere Standorte, die tolle Plattformen und Förderungen haben, wie Copenhagen, die sich einfach besser und weiter vernetzen”. Doch die Avenir-Gründerin bleibt optimistisch. „Vielleicht finden wir ja ein paar mutige Einkäufer:innen, die auf unser Konzept eingehen.”