Beim Bart des Designers: Antwerpen ist Mode
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Antwerpen ist eine Stadt der Mode. Wo sonst kann man drei Mal am Tag einem bekannten Designer auf der Straße begegnen? Aber vielleicht hat die Tourismuszentrale ja auch längst ein paar Doubles von Walter Van Beirendonck eingesetzt um die shoppenden Modetouristen bei Laune zu halten. In der flämischen Stadt hat man längst erkannt, dass Mode mehr ist als eine lustige Begleitererscheinung, mit der man bei kulturellen und wirtschaftlichen Anlässen erheitern kann.
Dass Mode in Antwerpen ernst genommen wird, sieht man nicht nur an den zahlreichen Läden von Designern wie Dries Van Noten, Ann Demeulemeester, Stephan Schneider, Veronique Branquinho und natürlich Walter Van Beirendonck, sondern auch an dem mitten im Stadtzentrum gelegenen ModeNatie-Gebäude. Hier ist das Flanders Fashion Instiute (FFI), ein Modemuseum und als Herzstück, die Modeabteilung der Königlichen Akademie der Schönen Künste untergebracht. Während letztere die Modedesigner ausbildet, hilft das FFI bei den ersten Schritten in die Selbstständigkeit und kümmert sich darum, dass belgische Mode nicht in Vergessenheit gerät. Oft wird die Geschichte der "Antwerp Six", zu denen neben Demeulemeester und Van Noten auch Martin Margiela gehört, als die einer Erweckung erzählt - sechs Absolventen eben dieser Schule, die in den achtziger Jahren zusammen nach London gingen und belgisches Design weltberühmt machten.
Generationen von Designern folgten, unter ihnen Bernhard Willhelm und Raf Simons, der gerade als Chefdesigner bei Jil Sander angestellt wurde. Dass am dritten Juni-Wochenende dieses Jahres aber auch auswärtige Modedesigner wie Azzedine Alaïa das Straßenbild schmückten, lag daran, dass jedes Jahr um diese Zeit eine neue Designergeneration ihre Abschlusskollektion zeigt. Diesmal haben es sieben Studierende geschafft, den strengen Kriterien der Dozenten standzuhalten und nicht vorzeitig von der Schule geworfen zu werden. Sie kommen aus Belgien, Japan und auch einer aus Deutschland: Christoph Fröhlich, der seine subtil gearbeitete Männerkollektion am Vormittag in einer verlassenen Garage gegenüber der ModeNatie aufgebaut hat, damit die internationale Jury ihre Noten verteilen kann.
Über 6000 Menschen kommen zu den drei Modenschauen - neben Presse, Modefachleuten und Freunden und Verwandten auch jede Menge Antwerpener, die einfach neugierig sind, was in ihrer Stadt in Sachen Mode passiert. Die Modenschauen der "Hogeschool" sind ein Ereignis für die ganze Stadt - überall hängen Plakate und kaum jemand, den man trifft, hat nicht eine Karte für eine der Schauen.
Die Zuschauer bekommen in dem alten Lagerhaus, das am Hafen direkt an der Schelde liegt, aber auch viel Kleidung für ihr Geld zu sehen: Alle vier Studienjahre dürfen vorführen, was sie im vergangenen Jahr entworfen und erarbeitet haben. Das Pensum ist erschütternd - schon im zweiten Jahr zeigt jeder Student vier komplette Outfits, im dritten sind es sieben, und für die Absolventen mindestens zwölf. Nicht umsonst gilt diese Schule als eine der besten der Welt: Was im dritten Jahr an Qualität in Schnitt, Entwurf und Fertigung präsentiert wird, würde anderenorts den Rahmen einer Diplomkollektion bei weitem sprengen.
Gut, dass es nach fast zwei Stunden Schau eine Pause vor den letzten sieben Kollektion gibt - so viele Muster, Stoffmassen, Schleifen am Bauch, am Rücken, aufgebauschte Tüllröcke, riesige Capes und wattierte Schultern sind an einem vorbeigezogen, dass man ein wenig den Überblick zu verlieren droht.
Die Kollektionen der Absolventen machen dann eins ganz deutlich: In dieser Schule geht es nicht darum, bestimmten Strömungen zu folgen, sondern einen möglichst eigenwilligen Stil zu finden und sich auf dem Weg dorthin durch nichts ablenken zu lassen. Hideki Seo schickt ihre Models als Zwitterwesen aus lustigen Dinosauriern und japanischen Comicfiguren auf den Laufsteg. Didier Van Der Vorst hüllt seine von Kopf bis zur Fußfessel in zarte weiße Schleier, darunter verbergen sich elegante und fein ausgearbeitete Kleider in Pastelltönen. Der einzige deutsche Absolvent bleibt mit seiner durchdachten Männerkollektion dagegen subtil. Christoph Fröhlich zerlegt Kleidungsstücke in ihre Einzelteile und setzt sie neu wieder zusammen: Ein Parka mit Tarnmuster ist so mit einem Jackett zu einem Kleidungsstück verbunden, dass das Sportive zusammen mit dem Eleganten nicht einen Stilbruch ergibt, sondern eine Symbiose eingeht und zu einem neu definierten Kleidungsstück wird.
Marion Michel spielt dagegen sehr offensiv mit weiblichen Schönheitsidealen: An ihren Kleidern sind mal Busen, mal Po, mal Hüfte durch Wattierungen überdimensional vergrößert, die weiblichen Rundungen werden so zu monströsen Stoffgeschwüren. Reich kostümiert hat Christopher De Vos seine Männermodels und zusätzlich noch mit Dschingis-Khan-Bärten ausgestattet. Pluderhosen, große, reich verzierte Umhänge und in der Taille betonte Tuniken wirkten nicht etwa wie aus einem Kostümfilm kopiert, sondern eigentümlich modern. Am Schluss stürmen alle Studenten noch einmal auf die Bühne - und da ist er wieder, der Bart des Van Beirendonck. Die Absolventen des dritten Jahres tragen geschlossen weiße T-Shirts, bedruckt mit dem charakteristischen Bart und einer Liebeserklärung an ihren Lehrer Van Beirendonck.