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Berlin Fashion Week: Zwischen Schneiderkunst und Techno-Tempel

Von Jule Scott

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Mode

Berlin Fashion Week SS24. Bild: Fashion Council Germany

Die Berliner Modewelt hat ambitionierte Ziele. Es gehe nicht darum, sich mit Paris zu messen und andern Modestädten nachzueifern, sondern die deutsche Hauptstadt als eigene Modemetropole zu etablieren, so das häufig betonte und gerne wiederholte Ziel des Fashion Council Germanys, der die Schirmherrschaft der Berlin Fashion Week innehat.

Um den alten Glanz von Berlin als Epizentrum der deutschen Mode wiederherzustellen, aber vor allem auch um die Stadt in den internationalen Fokus zu rücken, setzt der Fashion Council Germany gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe auf die Förderung von jungen Talenten – vielleicht auch um diese an die deutsche Hauptstadt zu binden, denn zuletzt zog es einstiges Berliner Talent, wie GmbH und Ottolinger, auf die Pariser Modewoche.

Wofür steht die Mode der Berliner Schule?

„Berlin hat sein ganz eigenes Narrativ”, betonte FCG-Vorsitzende Christiane Arp bei einer Eröffnungsveranstaltung der Modewoche und unterstrich damit, was der erste Tag der Modewoche bereits bewies: Berlin lebt von Stilpluralität und Kontrast. Das gilt sowohl für die künstlerischen Darbietungen als auch für die Architektur der Stadt, die es hier und dort schaffte, der eigentlichen Hauptattraktion, der Mode, die Show zu stehlen. Neben jeder Menge Mode bot die Fashion Week eine Sightseeing-Tour durch Berlin, die Dank vollem Programm und Reisebus einen modischen Klassenfahrt-Charakter annahm und bereits am ersten Tag auf eine vielfältige und teils widersprüchliche Berlin Fashion Week einstimmte.

Den Kern der Fashion Week bildeten die Gewinner:innen des Konzeptwettbewerbes “Berlin Contemporary”, der im Januar vom Senat und dem FCG initiiert wurde. Die insgesamt 18 Preisträger:innen, darunter auch vier ukrainische Marken, die bereits seit der vergangenen Saison das Gesicht der Modewoche mitgestalten und diese politisieren, erhielten jeweils 25.000 Euro, um eine Show während der Berlin Fashion Week auf die Beine zu stellen.

Bobkova, Melisa Minca, LMM Studio, Odeeh. Bild: (v.l.n.r.): Fashion Council Germany, Frank Schröder für Platte Berlin, Fashion Council Germany

Eröffnet wurde die Berliner Modewoche vom ukrainischen Label Bobkova der gleichnamigen Designerin Kristina Bobkova. Im Herzen der Museumsinsel, im Garten des Kronprinzenpalais präsentierte diese eine zarte, wenn auch unspektakuläre, Kollektion aus zarten Pastell Nuancen mit Blumenprints und sanften, fließenden Kleidern im Kontrast zu maskulin angehauchten Silhouetten. Wer hiernach dachte, diese erste Show würde den optischen Ton der Woche angeben, lag falsch, denn von hübscher Alltagskleidung im historischen Baudenkmal am Boulevard Unter den Linden ging es in einen Plattenbau-Hinterhof. Auf einem ein etwas wackelig wirkenden Laufsteg präsentierte dort Melisa Minca, Gewinnerin des Nachhaltigkeitspreises Platte Award, eine provokative und sehr konzeptionelle Upcycling-Kollektion, die von Idee nur so strotze, allerdings Verarbeitungstechnisch ein wenig strauchelte – eine Tendenz, die an einigen Stellen zu beobachten war, denn bei einigen Kollektionen wich Technik und Schneiderkunst dem Konzept.

Nach einem Mini-Rave bei Lucas Meyer-Leclère, der sich in dieser Saison der Choreographie und der Couture widmete, rundeten Otto Drögsler und Jörg Ehrlich von Odeeh den ersten Tag der Berliner Fashion Week mit einer farbenfrohen, pailettenreichen Kollektion in der James-Simon-Galerie ab und brachten damit einen Tag zu Ende, der das kontrastreiche Programm der kommenden Tage erahnen ließ.

Kommerzielle Strahlkraft und konzeptionelle Statements

Schauen mit offensichtlicher kommerzieller Strahlkraft wie die Kollektion des ukrainischen Labels Podyh trafen im laufe der Modewoche auf Darbietungen, die besonders durch ihren Grundgedanken und ihre Inszenierungen von sich Reden machten wie Acceptance Letter Studio oder die ebenfalls aus der Ukraine stammende Designerin Irina Dzhus. Letztere präsentierte ihre wortwörtlich wandelbare Kollektion in der Feuerle Collection, einem renovierten Bunker aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Show ihrer Landsfrau Lilia Litkovska im Kraftwerk war vergleichsweise unspektakulär – sowohl in der Inszenierung als auch bei der Wahl der Location.ie Kollektion jedoch, die von klaren Linien und tadelloser Handwerkskunst gezeichnet ist, entpuppte sich als eine der favorisierten Schauen unter den Besucher:innen. Und das ohne viel Firlefanz, oder jegliche Sitzmöglichkeiten.

Litkovska SS24. Bild: Fashion Council Germany

Kollektion wie die von Litkowska beweisen, dass Berlin mehr kann, als die ohnehin überholten Stereotypen des Techno-Tempels Berghain, auch wenn diese selbstverständlich nicht vergessen, sondern in dieser Saison raffiniert wurden. So präsentiert das Designer-Duo hinter der Marke Richert Beil, Jale Richert und Michele Beil, eine Kollektion, die Geschlechterrollen in Frage stellen und diese in Latex und Leder verpacken, ohne dabei zwangsläufig die mit den Materialien üblichen Konnotationen hervorzurufen – insbesondere dank makelloser Verarbeitung und Schnittführung. “Vater, Unser”, so der Name der Kollektion, die in einer alten Supermarkt-Filiale präsentiert wurde, verband Nadelstreifenanzüge, Rockerkluft, BDSM-Elemente und Omas Spitzendeckchen nicht nur mühelos, sondern machte die Kombination obendrein begehrlich. Der Titel der Kollektion mag sowohl eine Anspielung auf die “väterlichen” Elemente der Kollektion, wie besagter Nadelstreifenanzug sein, doch der religiöse Unterton blieb nicht aus, war allerdings weitaus weniger provokativ wie die religiös-verruchte Kollektion von Nan Li und Emilia Pfohl, deren Marke Namilia für Aufsehen und Aufschreie sorgte – sowohl vor Begeisterung als auch vor Empörung.

Richert Beil SS24. Bild: Fashion Council Germany

Während der geringe Andrang auf die meisten Schauen nicht erahnen lassen würde, dass hinter geschlossenen Türen die Mode der kommenden Saison präsentiert wird, wurde das Kronprinzenpalais vor der Namilia-Show von Jünger:innen der Marke umschwärmt. Die in der Kleidung der Marke gehüllten Fans sowie interessierte Schaulustige sind ein gewohntes Bild in anderen Modemetropolen, doch für Berlin in dieser Saison noch eine Seltenheit, denn lediglich Namilia schaffte es einen derartigen Hype auszulösen – auch wenn andere heimische Designer:innen mindestens dasselbe Maß an Aufmerksamkeit verdienten. Dem bunt gemischten Publikum aus Fachpresse, lokaler Prominenz und Fans der Marke wurde in den Sälen des Kronprinzenpalais eine unglaublich clevere, unterhaltsame aber auch überaus provokative Kollektion geboten.

Namilia SS24. Bild: Fashion Council Germany

Mit "In Loving Memory of My Sugar Daddy" huldigten die lobenswert diversen Namilia-Models ihrem scheinbar verstorbenen Gönner. Der bezeichnende Name der Kollektion war Programm und so trafen Markenzeichen der “Neureichen”, wie von Juicy Couture inspirierte Jogginganzüge, auf Klassiker des “alten Geldes”, wie die ikonische Birkin Bag von Hermes die kurzerhand in Röcke und Tops umfunktioniert wurde. Den Show-Notizen zufolge waren bis zu 50 der Entwürfe von “Couturier-Legenden wie Cristobal Balenciaga und Christian Dior” inspiriert, diese gingen jedoch in dem Meer von Latex, nackter Haut und katholischer Ikonographie unter. Für Begeisterung unter den Besucher:innen sorgten die anzüglichen Slogans und theatralische Darbietung jedoch allemal, denn keine andere Show wurde mit so viel Grölen, Zwischenrufen und Applaus gefeiert.

Namilia. Bild: Fashion Council Germany

Junge Talente lecken Blut: Berlins vielversprechende Zukunft

Während Namilia bereits im Januar mit Diversität, Inklusion und provokanter Mode für Furore sorgte, war die Berliner Fashion Week für das Label Milk of Line eine eindrucksvolle Premiere. Das Designer-Duo, das gemeinsam an der Royal Academy in Antwerpen studierte und ihr Können danach bei Givenchy in Paris unter Beweis stellten, brachte die Gäste im Zeiss Major Planetarium wortwörtlich zu den Sternen. Die erdige Farbpalette sowie die Mischung aus Leder und transparenten, fließenden Stoffen ihres Laufstegdebüt “Dozen” verbanden idyllischen Countryside-Flaire mit der düsteren Großstadt. Einige ihrer Entwürfe erinnerten ein wenig an die erste und einzige Kollektion von Ludovic de Saint-Sernin für das belgische Modehaus Ann Demeulemeester, jedoch ist es unvorstellbar, dass diese Kollektion die letzte des Duos sein wird.

Milk of Lime SS24. Bild: Fashion Council Germany

Eine der wohl vielversprechendsten Hoffnungsträgerinnen der Berliner Mode ist Rosa Marga Dahl und ihr Label SF1OG. Mag der Name der Marke viele internationale Gäste vor ein schier unlösbares Rätsel stellen, so glasklar ist das Potential des nachhaltigen Labels, sobald die ersten Pianoklänge durch das Ludwig-Erhard-Haus hallten. Dahls Designsprache vereint eine gewisse Dunkelheit, die so viele mit der Ästhetik der deutschen Hauptstadt verbinden, und verleiht ihr Leichtigkeit und einen Hauch Nostalgie insbesondere durch den Mix an Materialien wie hunderjahrealter Spitze und upcyeltem Leder. Die in der ehemaligen Berliner Börse präsentierte Kollektion “21:16-3-1” widmete sich dem Reitsport und Kindheitserinnerungen der Designerin, doch das Resultat war alles andere als kindisch – trotz Holzpferdchen als Handtaschen. Das Logo der Marke, eine Art umgedrehtes G, war in dieser Kollektion prominenter denn je und lässt eine kommerzielle, jedoch nicht weniger kreative Richtung für SF1OG – und die Berliner Mode – erahnen.

SF1OG SS24. Bild: Fashion Council Germany

Bereits vor dem Start der Berliner Modewoche präsentierte Designer William Fan in den Delphi Filmpalast, um seinen Dokumentarfilm „William Fan – In Between“ zu debütieren. Der Film ist seither in der ARD-Mediathek verfügbar und gibt Einblick hinter die Kulissen der bunten Welt des Designers, der während der Fashion Week eine subtile Pride-Kollektion im Gropius Bau zum Besten gab. Das es sich bei Fans Show um eine der aufwändigsten der Modewoche handelte, war bereits beim betreten des Gebäudes klar, denn hier war eine in Berlin seltene Fotowand für Gäste zu finden und Blitzlichtgewitter verfolgte die anwesende Prominenz. Fan wurde, wie einst die gesamte Modewoche, von Mercedes-Benz gesponsort, doch auch ohne die lukrative Partnerschaft wäre die Kollektion des Designers wohl als eine der emotionalsten, farbstarksten und subtil politischsten Darbietungen in die Analen der Berliner Modewoche für SS24 eingegangen – denn Fan schwängte fast schon heimlich die Regenbogenflagge.

William Fan SS24. Bild: Fashion Council Germany

Unter dem Titel “Ceremony” präsentierte der Modeschöpfer eine Kollektion im Zeichen der Pride-Bewegung, nahm dieser allerdings jegliche optische Klischees und zersetze die bekannte Flagge in ihre Einzelteile. Total-Looks in den Farben des Regenbogens, ein Logo-Shirt mit Aufschrift “Are you a friend of Dorothy”,eine Anspielung auf die Figur des Zauberer von Oz, Drucke die zu Brautsträußen für Bräutigame wurden und Mode die jeden Anlass feierte trafen auf eine aufwendig choreographierte Show zu den Klängen von Guns’n’Roses “November Rain”.

Eine Zelebration des jungen Berlin Talents war auch die gesamte Fashion Week unter dem Dach des Fashion Council Germanys. Die Modeschaffenden stellten unter Beweis, dass Berlin, mit all seinen Ecken und Kanten durchaus das Potential zur Modestadt hat, insbesondere für all jene die Mode suchen, die den Zeitgeist auffängt und Vielfalt nicht als Trend, sondern als Selbstverständlich betrachten.

Ob sich Berlin in den Modekalender Einreiht und in ferner Zukunft nicht nur als fünfte Rad am Wagen hinter New York, London, Mailand und Paris sondern als ernstzunehmende Modemetropole wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten, verdient hätten es die jungen Talente der Hauptstadt aber allemal.

FashionUnited wurde vom Fashion Council Germany zur Berlin Fashion Week eingeladen.

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