Die Niederlande belebt ihre Ausbildung zum Meisterschneider wieder
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In den vergangenen Jahren hat die Niederlande die Ausbildung zum Meisterschneider wiederbelebt. Der erneute Fokus auf das Handwerk könnte auch eine Antwort auf die großen Fragen der Modebranche sein.
Vor acht Jahren stand die niederländische Staats-Oper vor einem Problem. Die Amsterdamer Institution konnte keine einheimischen Talente finden als sie nach Schneidermeistern suchte. Diese ernüchternde Erkenntnis führte zur Gründung von Meesteropleiding Coupeur, einer privaten Schule mit dem Ziel das Handwerk des Meisterschneiders wiederzubeleben. Bis jetzt scheint das Vorhaben erfolgreich. Absolventen haben Arbeit bei dem international renommierten niederländischen Designer-Duo Viktor & Rolf gefunden, beim Denimhersteller G-Star Raw, der National Oper & Ballet und vielen anderen.
Ein altes Schulgebäude aus roten Ziegeln im Westen von Amsterdam beherbergt die Unterrichtsräume von Meesteropleidung Coupeur, Nähmaschinen und lange Arbeitstischen stehen in sechs Werkstätten bereit. Langgezogene Gänge verbinden die Räume und zeigen die Arbeiten vergangener Schüler – wie ein weißes Kostüm von Königin Elizabeth mit dem sternförmig gezackten Spitzenkragen aus dem Shakespeare-Stück Maria Stuart am Ende eines Flurs.
Streben nach Perfektion
”Alles dreht sich um Qualität,” sagt Schuldirektor Roger Gerards. Die künftigen Maßschneider müssen ihr Handwerk meistern und dafür sind keine Lehrmethoden zu rigoros. Am Anfang der Ausbildung werden die grundlegendsten Techniken ein halbes Jahr lang gelehrt. Manchmal müssen Schüler bestimmte Teile eines Kleidungsstücks 20 bis 30 mal wiederholen bis der Dozent sie abnimmt, erzählt Gerards. “Dieses halbe Jahr prägt die Mentalität der Studenten entscheidend. Sie streben nach Perfektion.”
Nachdem sie die Grundlagen beherrschen, lernen die Schüler, wie sie ein ganzes Kleidungsstück fertigen und spezialisieren sich mit zwei Meisterschneidern in Herren- oder Damenbekleidung. Die Werkstatt-Umgebung sei für die Studenten immens wichtig um ausreichend Raum für die Ausübung ihres Handwerks zu haben.
“Wir entwerfen nicht, wir fertigen nur an”, sagt Gerards um den Unterschied zwischen Schneidern und Designern, sowie den Unterschied zwischen seiner Schule und Mode-Akademien zu betonen. Die Schüler konzentrieren sich auf das Erlernen von Techniken um Kleidung manuell oder mit der Nähmaschine anzufertigen. Es gibt keinen Unterricht in Design, Marketing oder Illustration wie an anderen Schulen.
Die nüchterne, beinahe asketische Ausbildung der Schöpfer hinter den extravaganten Kostümen und filigranen Korsetts, die am vergangenen Tag der offenen Tür im November gezeigt werden, versinnbildlicht der Stille Garten der Schule wohl am besten, in welchem die Schüler gelegentlich ihr Mittagessen einnehmen. “Stille ist für einen Handwerker wichtig, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren”, sagt Gerards.
Über Meesteropleiding Coupeur:
- Kurse & Kosten: Vollzeit 7000 Euro pro Jahr | Teilzeit: 3950 Euro pro Jahr | Gebühren für Abend-, Wochenend- und Meisterklassen variieren
- Derzeitige Studentenzahl: 72
- Adresse: Jan Maijenstraat 11-15, 1056 SE Amsterdam, Niederlande
- Finanzierung: zu 80 Prozent aus Schulgebühren, 20 Prozent kommen aus dem Meester Koetsierfonds, von Vakraad Mitt und bezahlten Projekten mit Institutionen wie dem International Theater Amsterdam, National Opera & Ballet, Strawberries Fashion, Diligence Tailors, Vlisco Netherlands B.V., Prins Bernard Cultuurfonds und anderen
Aber wie nehmen Schüler, die vielleicht von einer glamourösen Modewelt geträumt haben, diese zutiefst bodenständigen Lehrmethoden auf? “Ich habe so oft gehört: ‘Willst du es nicht vielleicht noch einmal probieren?’”, erzählt die 23-jährige Lidewij Plaat, als sie an die Momente erinnert wird, in denen ihre Lehrer mit einem Lineal in der Hand eine Wiederholung verlangt haben. “Aber es ist notwendig. Handwerk ist die Basis für alles. Du kannst ein gutes Vorstellungsvermögen haben haben, aber du musst wissen, wie du diese in Kleidung übersetzt”, sagt Plaat, die 2018 ihre Damenschneider-Ausbildung beendet hat. Sie hat vor allem die Schulprojekte genossen, in denen sie für Museen, Modedesigner oder Bühnenstücke gearbeitet hat und ihre Arbeiten endlich präsentieren konnte.
Schüler führen ein akribisches Logbuch über die Stücke, die sie während ihrer Ausbildung angefertigen. Bewegen Sie Ihre Maus über das Bild um mehr zu entdecken.
Foto: Meesteropleiding Coupeur | FashionUnited
Gefragte Fertigkeiten
Ihr Training stattet die Studenten mit Wissen und handwerklichen Fähigkeiten für Kleidung und Schnittmuster aus, die ihnen viele Türen in der Modewelt öffnen. Neben der Ausbildung in Voll- und Teilzeit bietet die Schule auch Unterricht für Anfänger an und Meisterklassen für Fachleute, die ihre Kenntnisse vertiefen wollen.
Als nächsten Schritt strebt Roger Gerards mehr Zusammenarbeit mit der kommerziellen Modewelt an, die Herstellung und Handwerk in den vergangenen Jahren in den Fernen Osten ausgelagert hat. Die Schule beherbergt auch ein Fit Studio mit verschiedenen europäischen Körpermodellen des US-amerikanischen Passform-Unternehmen Alvanon, der allen Modeunternehmen offen steht, die den Sitz ihrer Kleidungsstücke verbessern wollen.
Die Wiederentdeckung des Handwerks könnte auch als Inspiration angesichts der aktuell massenproduzierten Bekleidung dienen. Maßgeschneiderte, hochwertige Kleidungsstücke, mit einer persönlichen Note des Machers, könnten eine wertige Alternative gegenüber den zumeist anonymen, in fernen Ländern hergestellten Textilien bieten. Die oft schnell wieder weggeworfenen Kleidungsstücke sind ein Kernproblem der heutigen, nicht nachhaltigen Modeindustrie, sagt Gerards. “Handwerk tritt jetzt wieder als eine Antwort in Erscheinung und bietet eine andere Perspektive auf das Modegeschäft und seine Lieferkette.“
Fotos: Meesteropleiding Coupeur / FashionUnited