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Die Pariser Modewoche in Gelb und Blau

Von Jesse Brouns

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Mode|KOMMENTAR
Balenciaga FW22. Bild: CatwalkPictures

Die Trendfarbe der Herbstsaison ist schwarz. Und doch waren Gelb und Blau die Farben der Pariser Modewoche – jeder hatte die Situation in der Ukraine vor Augen.

„In einem Moment wie diesem verliert die Mode ihre Bedeutung und ihre Existenzberechtigung”, schrieb Balenciaga-Designer Demna Gvasalia in einem Brief an die Zuschauer:innen seiner Show. „Die Modewoche fühlt sich wie eine Absurdität an”. Der Designer schrieb, er habe in Erwägung gezogen, die Schau gänzlich abzusagen. „Aber das hätte bedeutet, vor dem Bösen zu kapitulieren, das mir 30 Jahre lang so viel Kummer bereitet hat.” Gvasalia ist selbst Geflüchteter: Als Kind musste er seine Heimat Georgien verlassen. „Der Krieg in der Ukraine hat die Wunde des Traumas, das ich seit 1993 in mir trage, wieder aufgerissen.”

Ein Schneesturm hinter Glas

Vielleicht sind das die gründe dafür, das die Balenciaga-Show so stark war. Der Veranstaltungsort, ein kreisrunder Hangar auf dem Geschäftsflughafen Le Bourget, wurde in eine trostlose Schneelandschaft verwandelt. Die Kulisse war von einer Glaswand umgeben, hinter der die Zuschauer:innen saßen. Ursprünglich sollte die Show ein Kommentar zur globalen Erwärmung sein. Aber jetzt bekamen die Kulissen und die Präsentation, die sich darin abspielte, eine neue, noch dringlichere Bedeutung. Die Models stolperten auf hohen Absätzen durch den Schnee, trugen eine Art Müllsack mit sich – wie Geflüchtete, die in aller Eile ihre Habseligkeiten zusammengesucht hatten. Ihre Schritte wurden durch die Windmaschinen noch deutlicher erschwert. Die Show wurde begleitet von lauten, aggressiven Techno, der an Blitze und Bombengeräusche erinnert. Den Abschluss der Show bildeten ein Model in einem gelben Jogginganzug und Gvasalias Muse Eliza Douglas in einem himmelblauen Kleid.

„Diese Show braucht keine Erklärung", schrieb Demna. „Dies ist eine Ode an den Mut, an den Widerstand und an den Triumph der Liebe und des Friedens".

Die stärkste Show der Modewoche war somit auch die ungemütlichste. Der Modemacher hatte Recht: Kleidung war im Moment unwichtig. Dennoch haben wir uns die Pariser Modewoche weiter angeschaut.

Wie reagiert man als Modelabel oder Designer auf ein humanitäres Drama, ohne heuchlerisch zu wirken? Gvasalia zum Beispiel mag selbst ein Geflüchteter gewesen sein, aber letztendlich dient die Show hauptsächlich dazu, die teuren Kleider seines Arbeitgebers zu verkaufen. Ist es ethisch vertretbar, menschliches Leid für kommerzielle Zwecke zu nutzen? Ist Schweigen nicht manchmal besser, als sich zu äußern?

Protest auf und um den Laufsteg

Vor der Balenciaga-Show, die Mitte der Modewoche standfand, gab es viel Kritik an der Schweigsamkeit der als zu "frivol" empfundenen Modebranche. Diese Auffassung war nicht ganz gerechtfertigt: In der ersten Reihe waren Redakteur:innen und Influencer:innen vom ersten Tag an aktiv, trugen Outfits in Gelb und Blau oder posteten Links zu Hilfsorganisationen in ihren sozialen Medien.

Giorgio Armani war der erste Designer, der auf die Krise reagierte. Er ließ seine Show in Mailand in aller Stille und ohne Musik ablaufen. Auf dem Laufsteg in Paris waren unter anderem Isabel Marant und Christelle Kocher von Koché zu sehen, die eine gelb-blaue Brosche beziehungsweise einen gelb-blauen Pullover trugen.

Botter FW22. Bild: Botter

Das Label Botter, vom niederländische Designduo Rushemy Botter und Lisi Herrebrugh, machte den Anfang und kombinierte Hellblau und Gelb auf dem Laufsteg. Es gab auch eine Jacke mit der Aufschrift „No War", die mit Perlen geschrieben wurde. Es war eine der stärksten Shows der Herbst-Winter-Saison.

Balmain projizierte ein Zitat aus Antoine de Saint-Exupérys Kriegsklassiker „Der kleine Prinz" auf eine große Leinwand. Acne Studios teilte mit, dass es 100.000 Euro an UNHCR und UNICEF für humanitäre Hilfe gespendet und alle Aktivitäten in Russland eingestellt habe. Auch diese Show zeigte eine Reihe von Outfits in Blau und Gelb.

Rick Owens strich den militaristischen Soundtrack, den er für seine Show geplant hatte, und ersetzte ihn durch Mahlers symphonische Melancholie, was sehr gut mit der Show harmonisierte. Owens stellte einigen seiner Models tragbare Nebelmaschinen zur Verfügung, so dass der Laufsteg die Hälfte der Zeit im Dunst verschwand, sehr zum Leidwesen der Fotografen. Schließlich war da noch Ninamounah. Das profilierte niederländische Duo eröffnete die Show am letzten Tag der Modewoche ohne Musik. Ähnlich wie bei Armani wurden auch die Textilien für eine Botschaft genutzt: ein Model trug ein T-Shirt, das Putin als grüne Figur mit Teufelsohren zeigte. Darunter der Text „Putain, Hände weg von der Ukraine" – einfach, aber wirkungsvoll.

Das Schweigen der Luxusgruppen

Nachdem "Le Monde", eine französische Zeitung, einen bemerkenswerten Bericht unter anderem über die Beziehungen zwischen Putin und Bernard Arnault, dem Chef von LVMH, veröffentlicht hatte, änderten auch die Luxuskonzerne ihre Haltung, vor allem mit finanzieller Unterstützung. Geschäfte in Russland wurden geschlossen (auch der Zeitschriftenriese Condé Nast, der unter anderem die russischen Ausgaben von Vogue und GQ herausgibt, zog sich vom Markt zurück). Aber der Krieg wurde von den Laufstegen von Dior, Chanel oder Hermès ferngehalten.

Hermès stellte – nicht zum ersten Mal – in den Kasernen der Garde Républicaine aus. Zuvor konnten die Gäste die Ställe besichtigen und Pferde streicheln – es war wie eine Therapie. Die Kollektion hatte, jedenfalls für Hermès' Verhältnisse, einen hohen Domina-Anteil.

Bild: Chanel FW22

Das Chanel-Set war ähnlich soft. Der Raum im Grand Palais Ephémère hinter dem Eiffelturm war vom Laufsteg bis zu den Sitzen komplett mit Tweed verkleidet. Die Einladung? Eine große, mit Tweed gefüllte Schachtel. Die Kollektion? Tweed. Bei Dior probierte Maria Grazia Chiuri neue Ideen aus, wie zum Beispiel einen fluoreszierenden, leicht futuristischen Body und eine Inside-Out-Jacke mit integrierter Kühltechnologie von D-Air Lab, einem italienischen Start-up-Unternehmen. Einige Outfits schienen von den Trikots des American Football inspiriert zu sein. Balmain liebäugelte auch mit Science-Fiction, insbesondere mit dem Film Dune.

Pariser Debütanten

Abgesehen von der Kriegsmisere war es eine ausgezeichnete Saison mit vielen Pariser Debüts, darunter die skandinavischen Designer Cecilie Bahnsen und Heliot Emil. Die belgische Designerin Meryll Rogge, die für den LVMH-Preis nominiert ist, präsentierte ihre Entwürfe zum ersten Mal mit Models und einer Kulisse aus Dutzenden von Weinflaschen und Hunderten von halbleeren Gläsern. Rogge, der seit langem für Marc Jacobs in New York arbeitet, kokettierte in dieser Saison mit Grunge. Germanier aus der Schweiz zeigte seine Outfits mit bunten Perlen und Glitter zum ersten Mal auf dem Laufsteg des Kristallherstellers Baccarat. Vaquera, ein Duo aus New York, eröffnete die Pariser Modewoche mit einer gelungenen Hommage an die Barbie-Outfits von Martin Margiela. Guram Gvsalia, der Bruder von Demna, stellte VTMNTS vor, die geschlechtsneutrale Nebenlinie von Vetements. Präsentiert wurde die Kollektion von wütenden Models, die in Anzügen und Crop-Tops durch die Ruinen eines kürzlich geschlossenen Supermarkts stapften, begleitet von Hardrock.

Damenmode gibt es nicht mehr

Bild: Louis Vuitton, FW22.

Seit Jahren ist die Rede von der geschlechtsneutralen Mode – das Schreckgespenst für die konservativen Menschen, die Jungen in Röcken – aber im Jahr 2022 scheint die Entwicklung gänzlich angekommen zu sein: Es gibt kaum einen Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Mode. Viele Modeschauen waren gemischt, sogar Miu Miu führte wieder eine Männerkollektion ein. Auf den Laufstegen trugen die männlichen Models Absatzschuhe und Röcke, und es gab auffallend viele Trans-Models, vor allem unter der jüngeren Generation von Designer:innen. Manchmal war es für die Betrachter:innen völlig unklar, wer genau ein Kleid trug. Das ist eine gute Sache: Jeder kann alles tragen, und deshalb gewinnen am Ende alle. Gleichzeitig ließen sich viele Designer:innen von Klassikern der Herrengarderobe inspirieren. Die Gucci-Schau in Mailand war inspiriert von der ersten Kollektion des Designers Alessandro Michele, der Jungen in mädchenhafte Blusen steckte. Bei Louis Vuitton gab Nicolas Ghesquière seinen Models Krawatten. Saint Laurent, das Haus, das mit 'le smoking' den androgynen Stil quasi erfunden hat, zeigte unter anderem Blazer und Smokings. Ein Paar breite Schultern, um die Last der Welt zu tragen.

Dieser übersetzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.nl. Übersetzung und Bearbeitung: Karenita Haalck

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