Ein neuer Anfang für die Berlin Fashion Week
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„Mode muss sich verändern und Veränderungen beginnen in Berlin.“ Mit dieser ambitionierten Aussage eröffnete Mandie Bienek vom Fashion Council Germany (FCG) am 6. September die erste Modewoche nach Covid in der deutschen Hauptstadt. Auch wenn der FCG die Interessen der gesamten deutschen Modeindustrie vertritt, steht für den Modestandort Berlin einiges auf dem Spiel, seit die wichtigsten Modemessen Premium, Seek und Neonyt vor einem Jahr nach Frankfurt gezogen sind.
Die Einführung der Frankfurt Fashion Week hat die deutsche Modeindustrie weiter gespalten. Was traditionell zweigeteilt war - mit Düsseldorf als Einkaufszentrum in Westdeutschland und Berlin als kreativem - und grünem - Modezentrum in Ostdeutschland, ist nun dreigeteilt. Das zwang die Berliner Stadtverwaltung, in diesem Jahr 3,5 Millionen Euro in den Modesektor der Stadt zu pumpen. Eine Kapitalspritze, die natürlich willkommen ist, aber nach Ansicht der Beteiligten und lokaler Medien wie der Tageszeitung Der Tagesspiegel eigentlich zu spät kam. Hätte sich die Stadtverwaltung früher mehr um das Auf und Ab der Modebranche gekümmert, wären die Messen vielleicht geblieben.
Andererseits war der Zeitpunkt für Berlin in dieser Saison perfekt gewählt, denn während die erste Frankfurter Modewoche im Juli aufgrund der anhaltenden Korona-Krise noch digital stattfand, konnte Berlin, auch dank der finanziellen Unterstützung von oben, komplett physisch weitermachen, inklusive ausländischer Modepresse und einer Handvoll Einkäufer, die eingeflogen werden konnten.
Offene Türen in Berlin
Der Umzug der Messen nach Frankfurt zwang Berlin auch, sich neu zu positionieren. Dabei richtet sich die Stadt - traditionell ein Magnet für kleinere, unabhängige Marken und Designschaffende - nun explizit an die Endverbrauchenden. Unter dem Dachnamen Studio2Retail, einer Initiative des FCG und der Stadtverwaltung, öffneten während der Berlin Fashion Week Dutzende von lokalen Designschaffenden und Marken die Türen ihrer Ateliers und Geschäfte für Fashion Week-Publikum. Darunter waren bekannte Namen wie Lala Berlin und Lutz Morris, aber auch kleinere Nischenmarken wie Esther Perbandt und Oftt der britischen Designerin Ashley Hovelle.
Der Schwerpunkt der Berliner Labels auf die deutsche Modekundschaft ist nicht einseitig. Im Gegenteil: Während der Pandemie haben Verbrauchende lokale Modelabels angenommen. Während einige Marken im letzten Jahr durch Schließungen ihre Kundschaft im Einzelhandel verloren, wurden sie von Endverbrauchenden immer häufiger gefunden. Nehmen wir zum Beispiel Natascha von Hirschhausen, ein kleines Nischenlabel, das völlig nachhaltig und plastikfrei arbeitet und die Schnittmuster so optimiert hat, dass weniger als 1 Prozent des Stoffes auf dem Zuschneidetisch zurückbleibt, der dann zu Ohrringen verarbeitet und beim Kauf eines Kleidungsstücks verschenkt wird. Die Designerin sagt, sie verkaufe inzwischen 90 Prozent direkt an Verbrauchende. Bis 2020 erwirtschaftete sie zwei Drittel ihres Umsatzes über den Großhandel.
Weniger Einzelhandelspartner
Luisa Dames von Schuhlabel Aeyde machte ähnliche Erfahrungen. Obwohl die Schuhmarke 2015 als Direct-to-Consumer-Marke an den Start ging, verkauft sie seit 2017 auch über den Großhandel an Online-Shops wie Mytheresa und Net-a-Porter und etwa 75 Einzelhändler wie das Kaufhaus Lane Crawford in Hongkong. „Durch Corona haben wir Einzelhandelspartner verloren. Einige Adressen gibt es einfach nicht mehr“, sagt Dames in ihrem Büro am Strausberger Platz im Osten der Stadt, „aber neue Kunden und Kundinnen und Verbrauchende sind zu uns gekommen. Das sind Leute, die die Marke früher in einem Geschäft gekauft haben, aber als das während des Lockdowns nicht mehr möglich war, sind sie direkt zu unserem Webshop gekommen. Zufälligerweise war das genau das, was ich mit dem Unternehmen von Anfang an vorhatte.“
In Berlin fanden zwar wieder physische Modenschauen, Vorträge und Veranstaltungen statt, die den Eindruck einer fast normalen Modewoche erweckten, doch auf der anderen Seite gab es tägliche Tests, die in Deutschland obligatorischen FFP2-Gesichtsmasken und eine noch strengere Kontrolle an der Tür als vor Corona. Wer heute während der Modewoche eine Modenschau besuchen will, muss nicht nur die von messerscharfen PR-Mitarbeitenden aufgestellten Hürden überwinden, sondern auch QR-Codes von aktuellen Test- oder Impfbescheinigungen vorweisen. Die Zeit des Einschleichens, traditionell ein Sport für junge Designstudierende, ist definitiv vorbei.
Aber es lohnt sich: Nach einem Jahr von Online-Aktivitäten ist die Aufregung einer großen Live-Show, das Wummern der Beats und die Models, die Lichteffekte und das Rascheln der Stoffe und Pailletten ein Fest für die Sinne.
Festlich war es auch, das Publikum der Berliner Modewoche zu beobachten, das sich nach einem Jahr in Freizeitkleidung wieder für die Veranstaltungen einkleidete. Dies war nicht nur bei den Modeschauen und Veranstaltungen der Modewoche zu beobachten, auch das amerikanisch-deutsche Designerduo Johnny Talbot und Adrian Runhof und ihre Marke für Anlass- und Abendmode Talbot Runhof erleben es. Die Marke, die über vier eigene Läden und ein Großhandelsnetz mit Verkaufsstellen in großen Kaufhäusern in den USA verfügt, sollte 2020 ihr 20-jähriges Bestehen mit der Lancierung eines eigenen Parfums feiern, musste die Pläne aber während des Covid-Jahres auf Eis legen. Jetzt, wo Hochzeiten und Partys wieder anstehen, ist die Kundschaft laut Runhof „aus dem Häuschen“. „Wir bekommen Bestellungen für zwei oder drei Kleider von der Mutter der Braut. Ein Kleid ist einfach nicht genug. Die Leute wollen wirklich alles haben, es gibt kein Ende.“ Die Partykleider von Talbot Runhof zeigen jedoch noch einen Hauch des vergangenen Jahres. „Die Silhouette hat sich ein wenig verändert“, erklärt Johnny Talbot. „Der Schnitt ist etwas weiter, es ist bequemer...“, und er zieht zur Veranschaulichung ein mit Pailletten besetztes Cocktailkleid aus dem Regal, ein locker sitzendes Modell mit tiefem Ausschnitt und Taschen.
Es war eine Modewoche, bei der es einerseits um die Hoffnung auf eine bessere Welt nach der Corona-Krise ging, um die Zwangspause und die Zeit des Nachdenkens, die die Branche - und die Welt - gerade durchmacht. Andererseits war in Berlin die Erleichterung spürbar und der Wunsch, dass „alles“ so schnell wie möglich wieder normal werde. So wie früher, nur ein bisschen anders.
FashionUnited wurde vom Fashion Council Germany nach Berlin eingeladen.Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Niederländisch. Aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.