„Erde ist die Lösung“: Topmodel und Aktivistin Arizona Muse über Nachhaltigkeit in der Mode
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Fotoshootings und das vermeintlich glamouröse Modelleben scheinen eine Welt entfernt von Landwirtschaft, Erde und der freien Natur zu sein. Dirt (deutsch: Dreck) ist jedoch genau das, womit sich Model Arizona Muse nun jeden Tag beschäftigt.
Vergangenes Jahr gründete die Aktivistin ihre Wohltätigkeitsorganisation Dirt, die sich der Regeneration des Bodens und der Förderung biodynamischer Landwirtschaft überall auf der Welt widmet. Die einst von Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour als „das neue Gesicht der amerikanischen Mode“ betitelte Muse nutzt nun ihren Einfluss in der Branche, um sich für eine nachhaltigere und ethische Zukunft der Mode einzusetzen.
Dirt unterstützt derzeit mehr als 20 Projekte, darunter die Restaurierung von Goldminen in Uganda, die Förderung biodynamischer Wolle im Vereinigten Königreich und die Errichtung eines biodynamischen Bauernhofs in Rumänien, der zu einem sicheren Zufluchtsort für geflüchtete, vom Menschenhandel betroffene Frauen werden soll. Die gemeinnützige Organisation ist stets auf der Suche nach Partner:innen aus der Mode- und Kosmetikbranche, die einen finanziellen Beitrag zur Regeneration der Erde leisten möchten.
Im Interview mit FashionUnited spricht Arizona Muse über ihren Weg zum Aktivismus, die Bedeutung der Bodengesundheit und darüber, wie die biodynamische Landwirtschaft die Modewelt retten kann.
Woher stammt Ihr Interesse an Nachhaltigkeit?
Es hat sich aus meinem Modeljob ergeben. Eines Tages sah ich mich um und stellte fest, dass ich nichts darüber wusste, wo und von wem diese Kleidung, die ich präsentierte, hergestellt wurde. Also begann ich, mich zu informieren, und was ich dabei herausfand, war furchtbar: Die schreckliche Wahrheit hinter unserer Kleidung und dieser Industrie, dass wir den Planeten zerstören und viele Menschen in Zwangsarbeit oder unter sehr unfairen und unsicheren Arbeitsbedingungen arbeiten. Ich war schockiert und beschloss, dass ich etwas dagegen tun muss. So begann mein Aktivismus.
Wurde Ihr Aktivismus durch die Erfahrungen, die Sie bei Ihrer Arbeit in der Modebranche gemacht haben, noch verstärkt?
Auf jeden Fall. Ich habe die Wegwerfkultur in der Mode gesehen: bei Fotoshootings, in Showrooms und bei den Designteams. Das ändert sich zwar gerade, aber als ich vor zehn Jahren viel als Model gearbeitet habe, waren die Leute fast stolz darauf, wie verschwenderisch sie sein konnten. Hinzu kommt die Kultur der Angst in der Mode. Es gibt eine strikte Hierarchie bei Fotoshootings und in Designbüros, und ich habe das alles miterlebt. Wenn Menschen in einem toxischen Umfeld arbeiten, neigen sie dazu, schlechte Entscheidungen zu treffen. Für mich ist das alles eng miteinander verbunden. Unser zerstörerisches Verhalten gegenüber der Umwelt, gegenüber der Erde, auf der wir leben, und unsere Art und Weise, miteinander zu interagieren, sind im Grunde ein und dasselbe. Wir müssen beides schnell ändern.
Sie haben die gemeinnützige Organisation Dirt gegründet, die sich der biodynamischen Landwirtschaft verschrieben hat. Wie kam es dazu?
Zu Beginn war ich allein in meinem Wohnzimmer und bildete mich im Stillen weiter, las, lernte und sprach mit Leuten, die sich für das Thema interessierten, was vor sieben Jahren nicht sehr viele waren. Durch dieses Selbststudium wurde ich immer wieder zum Erdreich zurückgebracht. Erde ist die Lösung. Alles, was wir brauchen, wächst im Erdreich. Deshalb habe ich begonnen, mehr Zeit auf Bauernhöfen zu verbringen, mich ehrenamtlich zu engagieren, mit Landwirt:innen zu sprechen und mehr über die Landwirtschaft zu lernen. Ich habe Dirt gegründet, um Farmer:innen zu unterstützen und das Bewusstsein für die biodynamische Landwirtschaft zu schärfen. Ich spreche täglich mit Landwirt:innen auf der ganzen Welt und sammle Spenden, um die Arbeit zu unterstützen, die sie zur Regeneration des Bodens leisten.
Was ist biodynamische Landwirtschaft?
Die Natur funktioniert in einer wunderschönen, komplexen Form, in der jede einzelne Pflanzen-, Tier- und Pilzart ihre Aufgabe hat und sie alle arbeiten zusammen, um Leben zu schaffen. In diesem Sinne versteht sich die Biodynamik als ein Weg für den Menschen, mit dem Leben zu interagieren. Die biodynamische Landwirtschaft ist ein Dach, unter dem alle regenerativen Anbaumethoden wie Fruchtfolge, Begleitpflanzen, Kompostierung und ganzheitliche Weidehaltung angewandt werden, doch das Besondere ist, dass die Landwirt:innen auch eigene Präparate für ihre Bauernhöfe herstellen.
Können Sie diese Präparate genauer erklären?
Bei diesen biodynamischen Präparaten handelt es sich um flüssige Tinkturen, die aus tierischen, pflanzlichen und mineralischen Zutaten nach speziellen Rezepten hergestellt werden. Das ist ähnlich wie bei homöopathischen Mitteln – nur eben für die Erde – und sie sind unglaublich wirksam. Wir können uns vorstellen, dass der Boden in der Erde etwas in sich hat, das ihn am Leben erhält, und deshalb halte ich persönlich die biodynamischen Präparate für einen Vorteil gegenüber der einfachen regenerativen Landwirtschaft. Ohne die Präparate arbeitet man immer noch auf der physischen Ebene und nicht auf der nicht-physischen Ebene der Lebensenergie.
Wie hilft das der Umwelt?
Die biodynamische Landwirtschaft regeneriert nicht nur den Boden, sondern steigert durch die Erhöhung des Wurzelanteils im Erdreich auch dessen Fähigkeit, Wasser zu absorbieren und der Atmosphäre mehr Kohlendioxid zu entziehen, wodurch die Gefahr von Bränden verringert und starke, biodiverse Ökosysteme aufgebaut werden. Alle biodynamischen Landwirt:innen, mit denen ich spreche, sagen, dass ihre Lebensqualität jetzt, wo sie biodynamisch arbeiten, viel höher ist. Das liegt daran, dass sie keinen giftigen Chemikalien ausgesetzt sind und eine Beziehung zwischen sich und der Erde aufbauen, ähnlich wie es die Ureinwohner:innen mit ihrem Land tun. Sie arbeiten mit ihrem Land zusammen, lernen, wie es sich entwickelt und wie es gepflegt werden muss. Das ist einfach eine ganz andere Herangehensweise als bei der chemischen Landwirtschaft.
Entscheiden Sie als Model, ob Sie mit bestimmten Marken zusammenarbeiten, abhängig davon, wie nachhaltig und ethisch diese sind?
Immer mehr. Das war vor acht Jahren, als ich mit meinem Aktivismus begann, noch nicht möglich. Wenn ich das getan hätte, hätte ich keine Arbeit und damit kein Einkommen gehabt. Es gab nicht genug Marken, die Gutes taten. Jetzt ist es durchaus möglich, und außerdem modle ich kaum noch, weil ich so viel mehr an meinem Aktivismus interessiert bin. Aber manchmal überschneiden sich die beiden, und ich kann für Marken modeln, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen. Sie sind vielleicht noch nicht perfekt, aber sie sind dabei und bemühen sich. Ich habe das Gefühl, dass das auch mein Kontaktpunkt ist. Es ist wichtig, die Botschaft zu verbreiten und Marken auf ihrem Weg zu unterstützen, denn ich denke, wir brauchen eine Integrationskultur und Unterstützung für alle, die versuchen, nachhaltiger zu werden.
Was hält Marken Ihrer Meinung nach davon ab, sich für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen?
Im Moment haben viele Firmen das Gefühl, dass sie über nichts, was sie tun, sprechen können, denn wenn sie etwas veröffentlichen, werden sie für die anderen Dinge kritisiert, die sie noch nicht getan haben. Und das ist traurig. Aber noch trauriger ist das Greenwashing, das von anderen Unternehmen betrieben wird, die wirklich nichts oder nicht genug tun und die kleinen Dinge verherrlichen, die sie vielleicht zukünftig tun werden. Das ist ärgerlich mit anzusehen, weil es die großartige Arbeit, die einige Marken bereits geleistet haben, herunterspielt.
Angesichts des ganzen Greenwashings: Was müssen Sie tun, um einer Marke zu vertrauen und sicher zu sein, dass sie wirklich nachhaltig ist?
Ich schaue mir ihre Materialien an. Ich muss alles über die Stoffe wissen, die sie verwenden, wo sie gefärbt werden und womit sie gefärbt werden. Und das sollten die Marken wissen. Sie wissen immer, ob sie ihre Sache gut machen. Wenn man zum Beispiel die Nachhaltigkeitsseite eines Unternehmens liest und es dort viele Worthülsen gibt, die nicht wirklich etwas bedeuten, oder sie nur Dinge sagen wie „eines Tages haben wir das Ziel, das zu tun“, dann bedeutet das, dass sie nichts oder nicht genug getan haben. Ich mag eine ganz klare und simple Nachhaltigkeits-Website, auf der steht: „Wir haben dies getan, wir haben das getan und wir haben jenes getan“ - alles in der Vergangenheitsform. Dann fühle ich mich sicher, dass die Firma das Richtige tut.
Gibt es noch weitere Faktoren, auf die Sie bei der Zusammenarbeit mit Marken achten?
Neben den Materialien ist auch der soziale Aspekt wichtig: Ich muss wissen, dass die Fabriken, in denen die Produkte hergestellt werden, ihre Mitarbeiter fair bezahlen. Wird auf die Transporte geachtet? Denken sie darüber nach, wo ihre Fabriken liegen? Welche Verpackungen werden verwendet? Das sind die wirklich wichtigen Dinge, auf die ich zuerst schaue. Und das ist heute recht einfach zu erkennen, denn die Marken sind so von sich selbst beeindruckt, wenn sie etwas Gutes tun, dass sie es einem bereitwillig mitteilen.
Könnten Models die Modeindustrie möglicherweise stärker beeinflussen und sich mehr für Nachhaltigkeit einsetzen?
Ich plädiere dafür, dass alle Menschen den Aktivismus für sich entdecken. Je länger ich mich für Veränderungen einsetze, desto stärker fühle ich mich. Ich lade jeden dazu ein, das Gleiche zu tun, unabhängig davon, welchen Beruf Sie ausüben. Informieren Sie sich, und fangen Sie dann an, darüber zu sprechen und Inspiration zu verbreiten. Und seien Sie auch bereit, etwas zu sagen, wenn Sie bemerken, dass sich jemand auf eine Art und Weise verhält, die einer besseren Zukunft nicht förderlich ist - sei es am Arbeitsplatz mit dieser Kultur der Angst, in der Schule Ihrer Kinder oder bei den Verpackungsmaterialien, die Ihre Umzugshelfer verwenden. Jedes Mal, wenn ich in ein Geschäft gehe und gefragt werde, ob ich eine Plastiktüte möchte, sage ich nicht einfach „nein, danke“. Ich sage „Nein, weil ich Plastik vermeiden möchte“, und ich sage es mit einem Lächeln. Wenn man es schafft, etwas zu sagen, anstatt nichts zu sagen, dann ist das Aktivismus, und es fühlt sich toll an. Ich empfehle es wirklich jedem, Models und allen anderen, fangt einfach an und ihr werdet es lieben – versprochen.
Was sind Ziele, die Sie mit Dirt in den nächsten Jahren erreichen wollen?
Wir hoffen, die Umwandlung von viel Land zu finanzieren, damit es biodynamisch bewirtschaftet und gepflegt werden kann – das ist eines meiner großen Ziele für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Eine Sache, die wir alle tun können, ist der Kauf von biodynamischen Produkten, also von Lebensmitteln. Und hoffentlich wird es bald mehr und mehr Textilien geben, die biodynamisch angebaut wurden. Das ist ziemlich neu, denn die Modeindustrie hat bisher nicht nach biodynamisch angebauten Rohstoffen gefragt. Mir ist aufgefallen, dass die Modebranche fast ausnahmslos nicht wusste, dass es biodynamische Landwirtschaft überhaupt gibt. Die Modeindustrie kauft jedes Jahr für Milliarden von Dollar Rohstoffe von Landwirtschaftenden ein und ich hoffe, dass diese Gelder bald in die biodynamische Bewegung fließen oder konventionelle Landwirt:innen bei der Umstellung unterstützen können.
Haben Sie persönliche Ziele für die biodynamische Bewegung?
Ein weiteres Ziel ist, dass mehr Menschen mit der Biodynamik in Berührung kommen, denn für mich persönlich hat die Zeit, die ich auf den Bauernhöfen verbringe, eine transformative Wirkung. Ich fühle mich jedes Mal so gut, wenn ich dorthin gehe, und mein Gehirn ist so wach. Ich hoffe, dass sich immer mehr Menschen mit der biodynamischen Landwirtschaft vertraut machen und sich vielleicht sogar entscheiden, biodynamische Farmer:innen zu werden. Ich möchte so bald wie möglich selbst Bäuerin werden! Das ist mein Traum.
Wie sieht die Zukunft der Modeindustrie aus?
Wir werden wesentlich weniger produzieren. Die Überproduktion wird eingedämmt werden, und wir werden keine Dinge mehr produzieren, die wir nicht brauchen. Vieles wird auf Bestellung hergestellt werden, und die Fabriken werden anfangen, anders zu arbeiten, sodass sie tatsächlich auf Made-to-Order umstellen können. Darüber hinaus müssen die Modemarken anfangen, ihre Zulieferer besser zu bezahlen. Die Verbraucher:innen werden sich daran gewöhnen müssen, länger auf etwas zu warten. Wir sollten es nicht mehr gewohnt sein, einfach in ein Geschäft zu gehen und alles sofort zur Verfügung zu haben. Wir sollten vorausschauend denken, in den Laden gehen, etwas anprobieren und bestellen. Um diesen Teil der Umstellung zu meistern, müssen wir uns vielleicht eingestehen, dass der Grund für das Shopping oft eher in der Sucht als im Bedürfnis liegt.
Was muss sich ändern, um eine nachhaltigere Zukunft zu gewährleisten?
Es muss ins allgemeine Bewusstsein rücken, dass Kleidung von Landwirt:innen angebaut wird, damit die Verbrauchenden diese besser unterstützen können. Im Moment leben die Farmer:innen in einer unmöglichen Situation. Sie werden für die enorme Arbeit, die sie das ganze Jahr über leisten, so schlecht bezahlt, und sie tragen das gesamte Risiko von Ernteausfällen. In einer perfekten Welt würden Landwirtschaftende ihre gesamte Ernte verkaufen, bevor sie sie anbauen. Wenn sie Leinen in Partnerschaft mit einer Marke anbauen könnten, die sie im Voraus bezahlt, so dass sie das Saatgut und die Ausrüstung nicht mehr selbst kaufen und die Arbeitenden nicht mehr selbst bezahlen müssen, würde sich die Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft sehr schnell zum Vorteil verändern und die Farmer:innen könnten viel bessere Entscheidungen für ihr Land treffen. Landwirt:innen zu unterstützen ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Und die Biodynamik schnürt das Ganze zu einem großen Gesundheitspaket – zertifiziert von Demeter.