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Kreativität als Hoffnungsträger: Ukrainische Modewoche kehrt nach Kiew zurück

Von Jule Scott

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Mode
Die Ukrainian Fashion Week im September Credits: Luca Fröhlingsdorf

Welchen Stellenwert hat die Mode inmitten eines Krieges? Vom 1. bis 4. September versuchte die Ukrainian Fashion Week (UFW), inmitten der anhaltenden Widrigkeiten Antworten zu finden. Es war das erste Mal, dass die Modewoche seit der russischen Invasion der Hauptstadt und dem Beginn des Krieges 2022 nach Kiew zurückkehrte und mehr als 50 lokale Modeschöpfer:innen, die in den vergangenen Saisons nach London, Paris, Kopenhagen oder Berlin abgewandert waren, auf heimischem Boden zurückkehren. Die Kollektionen, die den Geist der Widerstandsfähigkeit und Hoffnung des Landes hervorheben, wurden in verschiedenen Formaten vorgestellt, darunter Modenschauen, Präsentationen, Installationen und Performances.

„Die Stimme der Ukraine muss gehört werden“, sagte Iryna Danylevska, Gründerin und CEO der ukrainischen Modewoche, die immer wieder die Bedeutung der ukrainischen Modeindustrie und der physischen Rückkehr nach Kiew betont hat, trotz der anhaltenden und unbestreitbaren Gefahr, die nicht nur lauert, sondern auch gegenwärtig ist. Nach Angaben des ukrainischen Militärs hat es erst am 4. September eine neue Welle russischer Angriffe auf Kiew und Lemberg abgewehrt.

Ukrainian Fashion Week Credits: Ihor Gaida

„Der Krieg geht weiter. Aber wir leben in diesem Krieg, wir kämpfen für den Sieg. Wir arbeiten für die Gegenwart und die Zukunft“, erklärte Danylevska bei der Eröffnung der Fashion Week. Das Eröffnungsmanifest, das als gemeinsame Erklärung von über 50 Vertreter:innen der ukrainischen Modeindustrie an die internationale Gemeinschaft betrachtet wurde, fand auf den Stufen des Kulturzentrums Ukrainisches Haus statt und sollte die Einheit der Ukrainer:innen, die Solidarität der Modeindustrie und das Bekenntnis zu den Idealen der Freiheit und des Glaubens an die Zukunft des Landes symbolisieren. Namhafte Designer:innen wie Lilia Litkovska, Ksenia Schnaider und Ivan Frolov hielten Schilder wie ‘Mutig, die Zukunft zu gestalten’ und ‘Wir gestalten Hoffnung trotz des Krieges’.

Ukrainische Modewoche rückt Kultur und Vielfalt in den Mittelpunkt

Hoffnungen gestalten trotz des Krieges könnte zugleich als Leitspruch der gesamten Modewoche gelten, denn während sowohl die Organisator:innen auch als die Desgner:innen sich der aktuellen Realität mehr als bewusst sind, wählen sie es, die Ukraine als starkes, kreatives und kulturell vielfältiges Land zu zeichnen. Vergessen oder gar beschönigt wird dabei die Lage keineswegs, denn der Krieg ist in vielerlei Hinsicht dennoch allgegenwärtig. Das historische Mystetskyi Arsenal, Hauptstandort der Ukrainian Fashion Week, hat etwa eine Installation mit Designer:innenkreationen, die den russischen Krieg reflektieren, sowie Porträts von Mitarbeiter:innen der ukrainischen Modebranche, die sich den Streitkräften angeschlossen haben und nicht an der Modewoche teilnehmen konnten.

Optisch mag es so scheinen, als sei die Mode fernab von der düsteren Welt des Krieges, aber ein gemeinsamer Nenner vieler Kollektionen ist das Gefühl eines verstärkten kulturellen Erwachens in dem Land. Es entsteht der Eindruck, dass Modeschöpfer:innen alles daran setzen, die Geschichte und die Kultur ihres Landes zu bewahren, während eine andere Macht versucht, genau das und noch viel mehr zu zerstören.

Das ist der Fall bei Gunia Project, einer Marke, die schon immer stolz darauf war, auf der Grundlage traditioneller ethnischer Kulturen zu entwerfen. Für ihre Rückkehr nach Kiew hat sich die Marke entschieden, eine Kollektion namens „Viltse“ zu präsentieren, ein Name, der sich von einem Hochzeitsbaum ableitet, der früher ein wesentlicher Bestandteil der Hochzeitszeremonien in der Ukraine war.

„Diese Kollektion ist ein kulturelles Manifest, das die Bedeutung der Bewahrung und Neuinterpretation des nationalen Erbes angesichts der Globalisierung unterstreicht“, erklärt die Marke in ihrer Produktbeschreibung. „Sie wirft die Frage auf, wie traditionelle Werte in die Gegenwart integriert und für neue Generationen relevant gemacht werden können.“

Gunia bei der Ukrainian Fashion Week Credits: Andriy Sokolov

Die Kollektion zeigte eine Fülle von Details, insbesondere Stickereien, auf weißen und cremefarbenen Kleidungsstücken, die von maßgeschneiderten Anzügen und strukturierten Stücken über Strickwaren bis hin zu fließenden Kleidern und Röcken reichten.

Allerdings war es nicht nur Gunia Project, das sich von bisher vernachlässigter Geschichte und Folklore inspirieren ließ. Bobkova, eine Marke, die die Berlin Fashion Week seit 2022 ihr temporäres Zuhause nannte, hat sich für ihre Kollektion von Mavka leiten lassen, der Heldin der karpathischen Mythologie. Die Werke von Künstler:innen wie Mykhailo Kotsiubynsky, Lesya Ukrainka, Oleksandr Oles und Ivan Franko dienten dabei als Anregung für die Kollektion – auch wenn die minimalen Entwürfe dies nicht direkt erahnen lassen.

Die Natur, die bei der Inspiration der Kollektion ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte, wurde in subtilen Motiven wiedergegeben, vor allem in den Farben, die von blassen Algen- und Wasserlinsenschattierungen bis hin zu sanften Blau- und Türkistönen reichten, sowie in Cremetönen und Farben. Auch die Wahl von fließenden Stoffen aus Mischfasern aus Seide, Baumwolle und poliertem Leinen sowie von Seidenstrickwaren mit Nasseffekt und von dekorativen Elementen wie Perlen, Muscheln und Steinen griffen naturverbundene Gedanken der Kollektion erneut auf.

Bobkova bei der Ukrainian Fashion Week Credits: Andriy Sokolov

Die ukrainische Designerin Lilia Litkovska wiederum lebt und schafft bereits vor dem Kriegsbeginn in Paris, kam seither jedoch, wie auch Bobkova einer Einladung der Berliner Fashion Week nach und präsentierte ihre Mode seither sowohl in der deutschen als auch der französischen Hauptstadt. Nun folgte die Rückkehr nach Kiew.

„Kiew war schon immer unsere Heimat und wird es auch immer bleiben, und wir wollten dieses Gefühl der Rückkehr nach Hause schaffen und Wünsche von der Welt an die Ukrainer:innen und von den Ukrainer:innen an die Welt zurückbringen“, sagte die Designerin über ihre Rückkehr in die Stadt, in der sie demnächst einen Flagship-Store eröffnen will. In dem Geschäft, das auch als Präsentationsort für die Marke diente, wurde eine Ausstellung mit 80 Fotografien gezeigt, die Schlüsselmomente aus fast 20 Jahren der Marke zeigten und als „eine Ernte von Errungenschaften und Erinnerungen vor einer neuen aufregenden Seite in ihrer Geschichte“ beschrieben wurden.

Litkovska bei der Ukrainian Fashion Week Credits: Maksym Lisovyi

Paris, wohin die Marke als Nächstes reisen wird, ist immer noch in Litkovskas Gedanken und spielte eine wichtige Rolle bei der Rückkehr der Marke, die sich für eine Präsentation anstelle einer Schau entschied. Diese vereint die Vergangenheit und die Gegenwart durch „zhnyva“, zugleich der Name der Präsentation als auch eine historische Ernte auf Ukrainisch, sowie die Kiew-Paris-Dichotomie, die Teil der DNA der Marke ist, so Litkovska.

Eine wichtige Inspiration dabei war die ukrainische Untergrundpost nach dem Zweiten Weltkrieg, ein verstecktes Netz alternativer Briefmarken. Aufbauend auf dieser historischen Erzählung bot Litkovska den Gästen ein interaktives Erlebnis der „Untergrundpost“, die Anfang dieses Jahres in Paris ihren Anfang nahm. Besuchende aus aller Welt schrieben Botschaften der Hoffnung und des Friedens für die Ukraine, die nach Kiew gebracht und als Teil einer Kunstinstallation ausgestellt wurden. Während der gesamten Veranstaltung trugen die Teilnehmer:innen Briefe und Notizen bei, die später nach Paris geschickt wurden, um die Tradition der Korrespondenz wieder aufleben zu lassen.

Doch obgleich Litkovska sich von vergangenen Kriegen wie dem Zweiten Weltkrieg inspirieren ließ, ist die Realität eines andauernden Krieges dennoch allgegenwärtig. Viktor Anisimov, ein Designer, der Kopenhagen in den letzten Saisons zu seiner Wahlheimat gemacht hat, brachte den Konflikt optisch viel näher an den Laufsteg heran. Er kehrte mit einer Kollektion nach Kiew zurück, die sich mit dem Konzept der Uniformen befasste, einem wiederkehrenden Thema in seiner Arbeit.

Viktor Anisimov bei der Ukrainian Fashion Week Credits: Viktor Anisimov

Ein ukrainischer Hoffnungsschimmer

Bei den meisten Modewochen zählen eine negative Kritik oder gar ein verärgerter Gast, der mit seinem zugewiesenen Sitzplatz bei einer Veranstaltung nicht zufrieden ist, zu den größten Sorgen, aber. In der Ukraine ist die Sicherheit nach wie vor ein zentraler Punkt.

Während der Modewoche wurden auf dem Hauptgelände der Veranstaltung Bunker eingerichtet, wie das Branchenmedium Vogue Business berichtete, um den Schutz der Teilnehmer:innen und Besuchenden zu gewährleisten. Danylevska betonte zudem, dass auch bei allen externen Veranstaltungsorten, die von Designer:innen ausgewählt wurden, entsprechende Schutzräume innerhalb von weniger als 500 Metern Entfernung für den Notfall bereitstehen würden. Die Maßnahmen verdeutlichen eindrucksvoll die Herausforderungen, mit denen die Modewelt in der Ukraine konfrontiert ist, und unterstreichen gleichzeitig den ungebrochenen Mut und die Resilienz der Branche in diesen schwierigen Zeiten.

„Trotz Raketenangriffen, Luftschutzsirenen und täglichen Herausforderungen bleibt unser Engagement, unsere Designer:innen in ihrer Kreativität und ihrem Geschäftswachstum zu unterstützen“, so die Organisatorin und betont dabei die Mission der UFW, bei der es sowohl um die Würdigung ukrainischer Kreativität als auch die Stärkung des heimischen Modemarkts geht.

Da internationaler Besuch aufgrund von Reisebeschränkungen und -warnung ausgeschlossen war, fokussierten sich die Veranstalter:innen auf heimisches Publikum. So wurden Buyer:innen aus dem Westen der Ukraine, darunter aus Städten wie Lviv, Ivano-Frankivsk und Uzhhorod Vogue Business zufolge nach Kiew eingeladen. Es seien diese Regionen, die sich während des Krieges als wesentliche Stütze für ukrainische Marken erwiesen, da viele Menschen aus den unsicheren östlichen Teilen des Landes in den sichereren Westen umgesiedelt sind. Zudem haben zahlreiche Unternehmen, Produzent:innen und Marken ihren Sitz in den Westen verlagert, was die Unterstützung lokaler Modegeschäfte intensiviert habe.

„Ukrainische Designer:innen kreieren weiter, erhalten Arbeitsplätze und sprechen mit der Welt über die Ukraine in der Sprache der Kreativität, des Willens und der Unverwüstlichkeit“, sagte Olena Zelenska, die First Lady der Ukraine, in einem Werbevideo vor der Veranstaltung. „Das kann nur eines bedeuten: Die Industrie entwickelt sich, und deshalb herrscht hier und jetzt Leben.“

Die Worte von Zelenska bestätigten sich, als die ukrainische Modebranche das erste Mal in ihrer Hauptstadt wieder zusammen kam und damit die ersten, mutigen Schritte in eine Zukunft, in der die Modebranche vor Ort erneut gedeihen kann, wagten. Der Weg bis dahin mag noch ein langer sein, doch die Rückkehr nach Kiew lässt Hoffnung schöpfen.

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