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Maximalismus, Romantik und Nostalgie: Alessandro Micheles Highlights bei Gucci

Von Jule Scott

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Mode

Jared Leto (3.v.l.) und Alessandro Michele (Mitte) posieren mit (v.l.) Damiano David, Victoria De Angelis, Thomas Raggi und Ethan Torchio von Måneskin. Foto: harley Gallay / Getty Images North America / Getty Images via AFP

Es ist offiziell, Alessandro Michele verlässt Gucci. In seinen fast acht Jahren an der Spitze des florentinischen Modehauses, für das Michele insgesamt 20 Jahre lang tätig war, wurde sein Name zum Synonym für Gucci. Während Mode oft einschüchternd, selbstverliebt und überaus seriös daherkommen kann, verlieh Michele der Branche einen Hauch von Wunder, Neugierde und Fantasie, als er 2015 das Ruder bei Gucci übernahm. Er war ein Kind des Modehauses, hatte sich innerhalb des Unternehmens hochgearbeitet, war als Accessoire-Designer, sowohl unter Tom Ford als auch unter Frida Giannini tätig, schlug jedoch einen entschieden anderen Weg ein, als seine Vorgänger:innen. Alessandro Michele war “neugieriger und neugieriger” und entführte die gesamte Branche in ein Wunderland voller Vintage-Bohème, Exzentrik und Maximalismus.

Revolution, Nostalgie und Star-Appeal

Der in Rom geborene Designer startete eine Revolution, er verwandelte Gucci nach einer langsam verblassenden Ära des Sex und Glamours in ein Symbol für einen exzentrischen und Gender-fluiden Stil. Sein ausgefallener persönlicher Stil sowie seine Sammelleidenschaft und Liebe für Antikes wurden zum Stil des Hauses. In einer Zeit, in der Mode nach vorne blickte, traute Michele sich, die Vergangenheit zu seiner Vision zu machen und gleichzeitig das Metaverse zu erkunden. Micheles romantisch-nostalgische Sensibilität fand nicht nur Anklang bei Brancheninsider:innen und Mode-Fetischist:innen, sondern vor allem auch bei der Prominenz: Jared Leto wurde zu seinem wohl bekanntesten Jünger, Harry Styles ein Kollaborateur und Florence Welsh, Dakota Johnson und Lana Del Rey nur einige seiner namhaften Musen.

Noch bevor sich die Modewelt auf die Suche nach einer potenziellen Nachfolge für Michele macht, schaut FashionUnited auf die unvergesslichsten, bizarrsten und kontroversesten Modenschauen des Designers zurück.

Herbst/Winter 2015: Ein subtiles, verheißungsvolles Debüt

Gucci Menswear (l.) und Womenswear (r.), beides Herbst/Winter 2015. Fotos: Catwalkpictures

Fünf Tage nach Frida Gianninis vorzeitigem Abgang bei Gucci, betrat ein noch unbekannter Alessandro Michele, Designchef für Accessoires, den Laufsteg und verbeugte sich. Er war umringt von seinem Team, mit dessen Hilfe der Modeschöpfer, der zu diesem Zeitpunkt seinen zukünftigen Posten als Kreativchef noch nicht offiziell angetreten hatte, das schier Unmögliche möglich machte: eine komplett neue Kollektion, Runway-Inszenierung und Casting in weniger als einer Woche. Vergleicht man die erste Saison des Designers, sowohl die Herrenkollektion, mit der alles begann, als auch die Damenkollektion, die nur wenige Wochen später folgte, mit den späteren Blockbuster-Inszenierungen, für die Michele bekannt ist, wirken diese rückblickend fast ein wenig zurückhaltend, doch seine Handschrift ist schon zu diesem Zeitpunkt unverkennbar. Naivität, Romanik, Sexualität und Intellektualismus sind frühe Leitmotive des Designers aus Rom. Chiffon, Crêpe und Spitze, Schleifen und Blumen, Falten und Baskenmützen, große Brillen und lange, dünne Schals, jene Elemente, die diese Motive in nur wenigen Saisons zu seinem Markenzeichen machten. Außerdem schritten mehrere Models in dem in Fell gehüllte Princetown Loafer, eines der wohl bekanntesten Designs von Michele, erstmals in seiner Debüt-Show über den Laufsteg.

Resort 2017: Royale Punk-Hommage in Westminster Abbey

Gucci Resort 2017. Fotos: Catwalkpictures

Eine Modenschau in dem Kloster der ikonischen Westminster Abbey in London? Für viele Monarchisten undenkbar, für Alessandro Michele ein wahr gewordener Gotik-Traum. Wenige Wochen bevor England erstmals über seine europäische Zukunft abstimmen sollte, brachte Michele sein schillerndes Gucci-Universum in die historischen Hallen eines der wichtigsten Gebäude der anglikanischen Kirche. Das Ergebnis war ein Kollektion voller Kontraste, und schillernd schönen Gegensätze, die einzig und allein durch die Vision von Michele zusammengebracht werden konnten: verschiedene Epochen und Stilrichtungen, Punk á la Vivienne Westwood, Viktorianische Spitze, Union-Jack, Karomuster, wilde Tier-Prints und Flohmarkt-Chic.

Herbst/Winter 2018: Dr. Frankenstein, der Kopf im Arm und ein Baby-Drache

Gucci Herbst/Winter 2018. Fotos: Dan Lecca / Gucci

2018 schien Guccis Herbst/Winter Kollektion weniger von Alessandro Michele, als von Doktor Frankenstein persönlich inszeniert worden zu sein. Ein Operationssaal als Kulisse, ein langsam schlagendes Herz als musikalische Begleitung und Models, die Replika ihrer eigene Köpfe unter dem Arm trugen – und dann waren da auf einmal auch noch Baby-Drachen. Die Mode, die keineswegs unauffällig war, trat bei so viel Stoff für Diskussionen förmlich in den Hintergrund.

Frühjahr/Sommer 2020: Zwangsjacken, Freizügigkeit und Freiheit

Gucci Frühjahr/Sommer 2020. Fotos: Gucci

Immer wieder thematisieren Modeschöpfer:innen die menschliche Psyche und dennoch schockierte es, als Alessandro Michele 21 Models in verschiedenen Gucci-Zwangsjacken über den Laufsteg schickte. Die Kollektion, die darauf folgte, schien jedoch mehr ein Befreiungsschlag als ein kreatives Gefängnis, denn Michele präsentierte seine bis dato freizügigsten Entwürfe, die sowohl die sexuelle Freiheit der 70er Jahre, als auch Guccis “Sex Sells”-Ära unter Tom Ford in Erinnerung riefen.

Herbst/Winter 2020: Ein Blick hinter die Kulissen

Gucci Herbst/Winter 2020. Fotos: Gucci

Im Februar 2019 erlaubte Michele Zuschauer:innen einen Blick hinter die Kulissen und machte den Backstage-Bereich seiner Modenschau kurzerhand zur Hauptattraktion. In einem 360-Grad-Schaukasten wurden Models vor den Augen der Zuschauenden hergerichtet und präsentieren das fertige Ergebnis in einer Inszenierung, die an lebendig gewordene Schaufensterpuppen erinnerte. Gleichzeitig zelebrierte Michele jedoch auch die Arbeit seines Teams und illustrierte die Mühe und Präzision, die hinter jeder einzelnen Modenschau steckt.

Herbst/Winter 2021: Gucciaga oder Balencigucci?

Gucci x Balenciaga Herbst/Winter 2021. Fotos: Gucci

Kollaborationen sind nicht mehr unbedingt bahnbrechend, doch als das Balenciaga Logo plötzlich über den Gucci Laufsteg wanderte, hielt die Modewelt für eine Sekunde den Atem an. Es ist anzumerken, dass sowohl Balenciaga als auch Gucci Teil der Kering Gruppe sind und dennoch ist die Zusammenarbeit zweier Designer von Alessandro Michele und Demna Gvasalias Kalibers bislang einzigartig. Doch neben der spektakulären Inszenierung mit Blitzlichtgewitter und Gucci-Gang-Soundtrack, ist es vor allem die Mode, die in diesem Fall beeindruckte. Neben Logomania setzte die Kollektion vor allem auf Schneiderkunst. Diese wiederum traf auf Glitzer und Elemente des Reitsports, die sowohl als Hommage an die BDSM-Kultur als auch an Guccis frühen Jahr als Sattelmacher für Italiens Elite gewertet werden können. Außerdem verneigte sich Michele erneut vor Vorgänger Tom Ford und schickte ein Replikat eines roten Samt-Anzuges aus der Ford-Ära über den Laufsteg.

Frühjahr/Sommer 2022: Love-Parade auf dem Hollywood Boulevard

Gucci "Loveparade" Frühjahr/Sommer 2022. Fotos: Gucci

Erst stürmte “House of Gucci” die Kinosäle und kurz darauf stürmte Alessandro Michele mit seiner “Loveparade”-Kollektion den Hollywood Boulevard, denn dieser wurde zur Kulisse für seine Frühjahr/Sommer 2022 Kollektion. Die Entwürfe, die zum Teil an Stars wie Macaulay Culkin, Jodie Turner-Smith und Michele-Double Jared Leto präsentiert wurden, waren eine Ode an die Filmindustrie und die vielen, verschiedenen ikonischen Charaktere der Filmgeschichte.

Herbst/Winter 2022: Eine sportliche Überraschung

Gucci Herbst/Winter 2022. Fotos: Gucci x Adidas

Der Anzug stand im Zentrum der Herbst/Winter Kollektion, egal ob für Herren, Damen oder als sportliche Jogging-Version. Für letzteres holte sich Alessandro Michele Verstärkung von den wohl bekanntesten drei weißen Steifen der Sport- und Modebranche: Adidas. Die Markenzeichen des Sporartiklers aus Herzogenaurach, darunter neben den drei Streifen, die Hosenbeine, Mützen, Korsetts und Jacken zierten, auch ein kombiniertes Trefoil-Logo mit Gucci-Slogan, verliehen dem Glamour-Faktor der Kollektion einen für Michele ungewohnt sportlichen Touch.

Frühjahr/Sommer 2023: Das doppelte Lottchen

Gucci Frühjahr/Sommer 2023. Fotos: Gucci

Und plötzlich sah die Modewelt doppelt! Twinsburg, Guccis Frühjahr/Sommer 2023 Kollektion, widmete sich dem Phänomen der Zwillinge und das nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, denn identische Looks wurden von eineiigen Zwillingen getragen, die Hand in Hand über den Laufsteg schritten. Damit thematisiert Michele nicht nur eine persönliche Erfahrung, seine Mutter und seine Tante sind eineiige Zwillinge, sondern setzte auch ein politisches Zeichen, am Vorabend der Wahlen in Italien – denn Zusammenhalt ist nicht nur in Alessandro Micheles Universum unerlässlich. Es ist ein beeindruckendes Finale für Michele, denn auch wenn es damals noch niemand wusste, scheint diese Kollektion die letzte von Alessandro Michele für Gucci gewesen zu sein.

Alessandro Micheles Abschied von Gucci ist das Ende einer Ära, nicht nur für das florentinische Modehaus, dessen Zukunft bis dato noch unklar ist, sondern auch für die gesamte Modewelt. In den letzten Jahren brachte der Modeschöpfer mit seiner Designsprache, aber vor allem mit seinem außergewöhnlichen Modenschauen und Inszenierungen, die Welt immer wieder zum Staunen, auch wenn die einstige Revolution sich modisch zum Schluss ein wenig nach Schema F anfühlte, ohne Frage skurril und magisch – aber dennoch schematisch.

Alessandro Michele
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