Parallelwelten und Surrealismus: die Highlights der Couture-Schauen in Paris
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Übernatürlichkeit und Eskapismus kristallisierten sich während der Pariser Haute-Couture-Woche als wiederkehrende Themen auf vielen Laufstegen heraus. Auf unterschiedlichste Weisen interpretiert und trotz allem in ihren Nuancen unverkennbar, kreierten viele Designer Parallelwelten, die Designansätze überdachten und klare Botschaften vermittelten.
Schiaparelli – das Mystische, das Majestätische und das Unaussprechliche
Die Kollektion von Schiaparelli sorgte am Montagmorgen für einen vielversprechenden Auftakt der Haute Couture Fashion Week.
Auf dem Laufsteg präsentierte Schiaparelli klare Silhouetten, die von den üblichen Couture-Elementen wallenden Volumens und schillernden Farben absah. Daniel Roseberry, Kreativdirektor bei Schiaparelli, kreierte alle 23 Looks der Kollektion ausschließlich in Schwarz, Weiß und Gold. Er selbst beschreibt seinen Ansatz als eine „Rückkehr zum Elementaren”. Die Kollektion zeigte eine Welt des Jenseits, die den Wunsch nach Zuflucht in eine andere Realität, als die der letzten Jahre zum Ausdruck brachte. Schlicht geschnittene schwarze Roben wurden um goldene Elementen erweitert, die die Models in übernatürliche Gestalten verwandelten.
Die ersten Ideen für die Kollektion kamen Roseberry ein Jahr zuvor im April. Es war eine Zeit, in der Roseberry über die Rolle von Mode sinnierte und hinterfragte, wie der Surrealismus von Schiaparelli in eine Zeit passte, in der die Realität selber unwirklich scheint. Für die Frühling 2022 Kollektion, habe er sich die Frage nach dem Warum gestellt – warum lieben wir Mode und was ist die Motivation von Designern, immer wieder neue Kreationen zu entwerfen? Er verweist auf die unvergleichliche Harmonie, die Mode erschaffen kann und wie wichtig die stumme Nachricht hinter seinen Entwürfen ist. „Es geht darum, dass Mode, wenn sie richtig gemacht ist, uns helfen kann, das Unaussprechliche zu fühlen. Weil sie immer noch die Macht hat, uns zu bewegen.”
Chanel – Von Pferden, Freude und frühlingshaftem Erwachen
Chanels dritte Couture-Show unter der Leitung von Virginie Viard präsentierte sich zum ersten Mal weniger kulissenhaft als es für das französische Modehaus üblich ist. Gezeigt wurde die Show im Grand Palais Éphèmère, in der der zeitgenössische Künstler Xavier Veilhan eine Ellipsen-Landschaft gestaltete, die entfernt an eine Reitmanege erinnerte.
Die Looks der Kollektion erschienen als frische und verspielte Versionen klassischer Chanel-Elemente. Auch Viard ließ sich während der Kreation der Kollektion von einer unbeschwerten Übernatürlichkeit inspirieren – und griff somit den allgemeinen Trend zum Eskapismus auf. Die Kollektion zeigte eine Bandbreite an Looks, die von Tweed-Hosenanzügen bis zu zarten Tüllkleidern mit der unverkennbaren Chanel-Kamelie reichten. Rüschen und Volants sorgten für einen lieblichen Charme, der durch klar geschnittene Kragenjäckchen wieder durchbrochen wurde.
Für gespaltene Meinungen sorgte insbesondere die Eröffnung der Show. Bevor die Models, von denen viele langjährige Musen und Bekannte des Hauses waren, in den Couture-Kleidern über den Laufsteg schwebten, ritt die Marken-Botschafterin und professionelle Reitsportlerin Charlotte Casiraghi mit einem Pferd durch den von Veilhan geschaffenen Parkour. Ein Auftritt, der Diskussionen um Tierschutz nach sich zog.
Dior – die Handwerkskunst im Mittelpunkt
Die Dior-Show am zweiten Tag der Haute-Couture-Woche überraschte mit einem frischen Ansatz. Der eröffnende Look bestand aus einem transparenten Body, der über und über in feinen Stickereien bedeckt war und einer blickdichten Netzstrumpfhose, deren Rauten mit lurex-ähnlichen Glitzerfäden durchzogen war.
Die 64 Looks der Kollektion zeigten sich in einer für Dior ungewöhnlich schlichten Silhouette. Durch schmale, fließende Formen, wurden die Kreationen zu bewegten Leinwänden für schimmernde, silberne und goldene Stickereien und glitzernde Applikationen. Auch die Farbpalette der Kollektion entfernte sich von den üblichen Farben-Fröhlichkeit von Maria Grazia Chiuri, Kreativdirektorin bei Dior Femme. Durchscheinende Stoffe in Grau, Weiß und Beigetönen verliehen den Kreationen den Anschein, als seien sie direkt auf die Körper gestickt. Einige der Entwürfe wurden dabei gänzlich als Stickerei hergestellt, ohne eine zusätzliche Stoffunterlage einzusetzen.
Die Show verdeutlichte Chiuris Fokus auf die Handwerkskunst im Entstehungsprozess von Haute-Couture-Kleidern. Mit der Show verarbeitete Chiuri eine wichtige Botschaft: „Es ist sehr wichtig, über das Handwerk zu sprechen. Es ist entscheidend für die Haute Couture. Wir müssen die Verbindung zwischen künstlerischer und handwerklicher Arbeit aufzeigen, da letztere in einigen Ländern, wie Italien oder Indien, als weniger wichtig angesehen wird".
Charles de Vilmorin – ein fiebriger Tanz mit der Unterwelt
Die digitale Präsentation von Charles de Vilmorin am Mittwoch versetzte die Zuschauer in eine fantasievolle, schaurige Nebenwelt. Mittels eines Kurzfilm, erzählte der junge Designer die Geschichte seines eigenen Werdegangs. Innerhalb einer Nacht avanciert sein jüngeres Ich von einem Jungen, der heimlich länger aufbleibt, zu einem Designer theatralischer Kreationen, die von Skeletten in einem Tanz durch die Nacht gewirbelt werden – wie der Name des Films „La Danse Macabre” beschreibt.
Die zehn Looks erinneren entfernt an Kostüm-Kreationen aus Tim-Burton-Filmen. Auch die Szenen und das Narrativ zeigten Parallelen zu Burtons Filmen „Corpse Bride” und „Alice im Wunderland”. Silhouetten aus der Barockzeit und der großzügige Einsatz von Pailletten und Federn verleihen der Kollektion eine deutliche Anlehnung an „Camp” – ein übergeordneter Begriff, der sich als Wertschätzung für die Ästhetik des schlechten Geschmacks und der Ironie definieren lässt.
Vilmorin, der erst im April 2021 seinen Design-Abschluss machte, hat sein gleichnamiges Label während der Pandemie gelauncht – eine persönliche Anekdote, die sich auch in der Handlung des Films widerspiegelt. Der kleine Junge kreiert die Haute Couture Kleider aus seinem eigenen Schlafzimmer heraus, mit nur einer einzigen Nähmaschine. Dabei ist seine größte Inspiration die eigenen Vorstellungskraft.
Jean Paul Gaultier – Kreationen für die Avantgarde
Glenn Martens, der die diesjährige Kollektion als Gast-Designer bei Jean Paul Gaultier entwarf, bediente sich ebenfalls des Stilmittels der Theatralik. Seine Kreationen spiegelten die Suche nach dem Übernatürlichen auf eine innovative Art und Weise in der Haute Couture wider.
Mittels voluminöser Drapierungen und Materialkombinationen, schuf der Gast-Designer Kreationen, die klassische Jean Paul-Gaultier-Elemente, wie Korsettformen und Streifendesigns enthielten. Zugleich rückte Martens diese Elemente durch surreale Details in ein außerirdisches Licht. Highlights der Kollektion waren unter anderem zwei Entwürfe, die mit Metall-Sporen besetzt waren. Auf metaphorische Art und Weise lässt sich in diesen Designs eine Abschottung zur realen Umwelt erkennen – ein Versuch sich den Pandemie-bedingten Entwicklungen der letzten Jahre gegenüber unantastbar zu machen.
Einfarbige, skulpturale Roben und verhüllende Tüllschleier ließen die Models wie Herrscherinnen ferner Planeten erscheinen. Die 36 Looks der Kollektion vereinten so das Selbstbewusstsein und die Dramatik für die Jean Paul Gaultier bekannt ist mit einem Science-Fiction-Touch.