Pariser Modewoche für Herren: Wenn das Spektakel die Kleidung übertönt
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Dries van Noten hat das erste Mal seit zwei Jahren wieder in Paris gezeigt. Genau wie Céline, Comme des Garçons und Thom Browne. Nach zwei Jahren mit digitalen Kalendern und nur einer Handvoll Laufstegshows wurde letzte Woche in Paris das Rampenlicht der Mode wieder eingeschaltet. Auch japanische und belgische Designer:innen waren wieder dabei. Es ist auch schon lange her, dass so viele Prominente bei der Herrenmodewoche gesichtet wurden – von Justin Timberlake bis David Beckham. Einkäufer:innen und Journalist:innen strömten aus allen Teilen der Welt herbei – mit Ausnahme von China und Russland.
Virgil Abloh muss sich noch ein wenig gedulden
Der Luxuskonzern Kering hielt sich bei dieser Ausgabe der Modewoche zurück – von Saint Laurent, Balenciaga, Bottega Veneta und Alexander McQueen war nichts zu sehen. Zuvor hatte Gucci in Mailand einige Journalist:innen in eine Vintage-Boutique eingeladen, um eine alles in allem bescheidene Kapsel-Kollektion des künstlerischen Leiters Alessandro Michele und des Popstars Harry Styles zu präsentieren.
Der Luxusgüterkonzern LVMH hingegen veranstaltete in Paris eine Megashow nach der anderen. Louis Vuitton errichtete auf dem Platz vor dem Louvre eine gigantische Konstruktion: eine abstrakte, gewundene "gelbe Ziegelsteinstraße", die in den Himmel führt. Die Show, die nicht nur von einer, sondern gleich von zwei amerikanischen Marschkapellen und Cheerleadern eingeleitet und beendet wurde, ging auf Virgil Ablohs Debüt für Vuitton zurück, das von dem Filmklassiker 'Der Zauberer von Oz' inspiriert war. Superstar Kendrick Lamar rappte live von seinem Stuhl aus über Abloh.
Das Spektakel übertönte die vom Atelier Vuitton entworfenen Kleider. Und trotz des Millionenbudgets gab es kein Geld für Wasser in Flaschen: Das Publikum saß fast eine Stunde lang ungeschützt in der grellen, blendenden Mittagssonne. Es war die x-te Hommage von Vuitton an Abloh. Zweifellos eine aufrichtige Geste für einen talentierten Designer, der viel zu früh gestorben ist. Aber es ist auch an der Zeit, den Mann in Frieden ruhen zu lassen und ein neues Kapitel zu beginnen.
Ein künstlicher Garten in einem echten Garten
Dior baute einen künstlichen Garten mit Tausenden von Blumen und feuchtem Gras in einem Zelt, das in einem echten Garten, am Fuße der Kapelle des Militärkrankenhauses Val de Grace stand. Zu beiden Seiten des Laufstegs waren Nachbildungen von Häusern aufgebaut: Christian Diors Anwesen in Granville in der Normandie und die Charleston Farm in Sussex. Das Anwesen gehörte einst Duncan Grant einem Maler und Mitglied der Bloomsbury Group, an dem Diors künstlerischer Leiter Kim Jones besonderen Gefallen findet.
Die ganze Kulisse hatte etwas Überholtes an sich: Karl Lagerfeld konnte zu seiner Zeit noch Raketen bauen oder für Chanel Eisschollen vom Nordpol zum Grand Palais transportieren. Im Jahr 2022 erscheint ein solcher Exzess unverantwortlich, obwohl Dior versprochen hat, die Blumen wieder einzupflanzen. Außerdem wurde auch hier die Aufmerksamkeit von der Kleidung abgelenkt. In Lagerfelds Fall war das ein Bonus: Seine späteren Kollektionen für Chanel waren selten etwas, das man sich auf die Fahne schreiben konnte. Kim Jones hingegen muss sich für nichts schämen. In der Kollektion ging es, falls es noch nicht offensichtlich war, um die Gartenarbeit. Das faszinierendste Stück: eine Art Culotte mit integrierten Halbleggings, die es in einem Dutzend Varianten gibt.
Givenchy baute einen Laufsteg mit Wasser um einen riesigen weißen Kubus auf dem Gelände der stattlichen Ecole Militaire. Matthew Williams kommt nicht viel weiter als seine charakteristischen Stahlschnallen und nüchterne Sportkleidung mit großen Logos. Daran ist nichts auszusetzen, aber es deutet auf einen Mangel an Ehrgeiz bei dem legendären Luxushaus hin. Wofür steht der Name Givenchy noch?
K-Pop im Bauhaus
Ausnahmsweise baute Céline kein eigenes Gebäude an einem historischen Ort, sondern mietete einen Raum im Palais de Tokyo. Der Kulturtempel in einem Art-Deco-Gebäude aus den dreißiger Jahren feiert sein zwanzigjähriges Bestehen. Hedi Slimane hatte dort schon einmal eine Dior-Homme-Show gezeigt und wollte dieses Erlebnis wiederholen. Die meiste Aufmerksamkeit galt den Gästen in der ersten Reihe, darunter Lisa von Blackpink und V von BTS. Es ist selten, dass man Mitglieder dieser beiden koreanischen Popsensationen auf demselben Event sieht, und die Hysterie der Fans war dementsprechend groß. Tausende von schreienden Jugendlichen standen vor den Toren des Gebäudes. Während Hedi Slimane während der Pandemie eine neue, aufregende Richtung einschlug – inspiriert von TikTokkern – kehrte er dieses Mal zu seiner vertrauten, düsteren Ästhetik des Punk mit einer Prise Glam Rock zurück. Er nannte die Kollektion "Dysfunktionales Bauhaus".
Kenzo und Loewe, zwei kleinere Häuser aus dem LVMH-Portfolio, nutzten bestehende Gebäude: eine Schule und einen alten Tennisclub. Für den japanischen Stilvermittler Nigo war es die zweite Kollektion, die er für Kenzo entwarf: Amerikanisch durch die japanische Brille, mit Anspielungen auf Matrosen und High Schools aus den Sechzigern. Das Ergebnis war hervorragend, auch wenn Kenzo heute eher wie eine hippe Streetwear-Marke in der Tradition von Bape oder Billionaire Boys Club wirkt als ein echtes Modelabel.
Amélie Poulain als Blickfang
Auch bei Labels, die nicht zum LVMH-Konzern gehören, lag der Schwerpunkt mehr auf der Show selbst als auf der Kleidung: Ami Paris mietete den Vorplatz der Kirche Sacré Coeur in Montmartre, stellte Carla Bruni, Noah Beck, Catherine Deneuve und Naomi Campbell in die erste Reihe und ließ die Show von Audrey Tautou alias Amélie Poulain aus dem gleichnamigen Kultfilm, der zu großen Teilen am Montmartre spielt, eröffnen. Weitere Models auf dem Laufsteg: Liya Kebede, Karen Elson, Precious Lee, Cara Delevingne und Kristen McMenamy. Der Designer Alexandre Mattiussi hat neue Investoren gefunden, und das Geld ist geflossen. Nach der Show, bei der tragbare, letztlich ganz gewöhnliche Freizeitkleidung für Männer und Frauen gezeigt wurde, wurden die Gäste mit einem Touristenbus zur After-Party gefahren.
Rick Owens ließ auf der Terrasse des Palais de Tokyo drei gigantische Feuerbälle von einem Kran in die Höhe hieven und in einen Teich fallen, als ob es nicht schon warm genug wäre. Und so verlagerte auch er den Schwerpunkt von der Kleidung auf die Show. Das ist wirklich schade, denn sie war hervorragend, vor allem einige Looks in hellen Neonfarben.
Japanische und belgische Modelabels sind zurück
Wie auch immer, Spektakel ist gut. Und die Mode hat sich, sagen wir, seit den 1990er Jahren weiterentwickelt. Es gibt Platz für alles, vor allem in Paris, wo französischer Luxus perfekt mit der internationalen, oft jungen Avantgarde koexistiert. Es war eine Erleichterung, dass die Belgier:innen und die Japaner:innen endlich zurück waren. Vor allem die letztgenannte Gruppe war zum ersten Mal seit 2020 in großer Zahl vertreten, unter anderem mit Shows von Taak, Homme Plissé, Junya Watanabe Man, Comme des Garçons, Maison Mihara Yasuhiro, Kolor und Auralee. Watanabes Show war ein fröhlicher Höhepunkt: Der Designer verwendete Arbeiten von Keith Haring, Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat – was mittlerweile fast schon zum Klischee geworden ist –, mischte sie aber durcheinander und fügte außerdem die Logos von Coca-Cola und Netflix hinzu. Mit Musik von den Talking Heads.
Und dann waren da noch die Belgier:innen. Dries Van Noten hatte bereits während der Damenmodewoche ein zaghaftes Comeback mit einer statischen Präsentation in einem alten Herrenhaus präsentiert. Für die Herrenkollektion gab es dagegen endlich eine richtige Show, auf dem Dach eines Parkhauses in Montmartre, bei Sonnenuntergang, mit einer Kollektion, die zwischen Romantik und Hardcore-Techno schwankte – es gab weite Pyjamas und Anspielungen auf Rennfahreruniformen. Einer der schönsten Momente der Woche.
Walter Van Beirendonck, der Anfang des Monats als Direktor der Antwerpener Modeakademie in den Ruhestand ging, präsentierte im Théâtre de la Madeleine eine melancholische Show. Inspiriert wurde er von Ikarus, der mit seinen künstlichen Flügeln zu nah an die Sonne flog und ins Meer stürzte. Die Show begann eher düster, mit viel Schwarz und Gold. Ein zweiter Teil war eher im für Van Beirendonck typischen technicolor-orientierten Stil gehalten.
Bei Y/Project kombinierte Designer Glenn Martens seine Experimente mit Denim, seine andauernde Kollaboration mit Gaultier und seine typischen, auf verschiedene Weisen tragbaren Outfits. Eine sehr reife Show: Martens, der auch für Diesel entwirft und in der letzten Saison eine Couture-Linie für Gaultier geschaffen hat, ist ein etablierter Designer geworden – einer der wichtigsten seiner Generation.
Jan Jan Van Essche hielt in seinem Ausstellungsraum eine kleine Präsentation, bei der man die von ihm verwendeten edlen Materialien und Techniken aus nächster Nähe betrachten konnte. Sehr schön: einige dicke Pullover und Mützen, für die sich Van Essche von der Arbeit der Bauhaus-Künstlerin Annie Albers inspirieren ließ.
Best of
Zu den Höhepunkten in Paris gehörten die Schauen von Van Noten und Van Beirendonck, aber auch Hermès, die vielleicht einzige Luxusmarke, die in der vergangenen Woche keinen großen Auftritt brauchte, um ihre Geschichte zu erzählen. Die Herrenmode-Designerin Véronique Nichanian, inzwischen vielleicht die Designerin mit der längsten Erfolgsgeschichte in der Modebranche, verjüngt ihre Ästhetik weiter, diesmal mit wunderschönen Regenjacken aus glasartigem Kunststoff in leuchtendem Orange und Pink.
Die lebenden Bilder von Lemaire in einem leeren Museumssaal gaben einen guten Einblick in seine zeitlose Garderobe, die für den nächsten Sommer etwas leichter zu sein scheint. Die in Tel Aviv ansässige Hed Mayner gehört zur gleichen Schule von Designer:innen, die sich an ein eher kunstsinniges, intellektuelles Publikum wenden: übergroße Leinentuniken, irgendwo zwischen Messdiener und Militär.
Thom Browne kleidete Männer in die Art von Tweed, die man normalerweise mit Chanel assoziiert, aber dafür in Pastellfarben. Er kombinierte sie mit Jockstraps, ebenfalls aus Tweed. Fabelhaft – nicht für jeden, aber zumindest wagt Browne zu träumen und die Grenzen zu erweitern.
Die beste Show in Paris war zweifellos die des Briten Craig Green, die in einem minimalistischen weißen Raum stattfand. Die Kleidung war schon für sich genommen spektakulär genug. Green versteckt seine Entwürfe gerne unter unpraktischen, skulpturalen Konstruktionen: Fallschirme, dieses Mal auch Leitern und Gerüste. Aber auch die Looks selbst, in einer Palette von Weiß bis hin zu allen Farben des Regenbogens, waren in dieser Saison unwiderstehlich.
Dieser übersetzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.nl.