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Realitätscheck für SS25: Alltägliches trifft auf Wunderliches in Mailand

Von Jule Scott

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Mode

Prada SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Jahrelang war die Mailänder Modewoche die bei weitem aufreizendste der „Großen Vier“. Komfort spielte noch keine Rolle und die Mode war im Wesentlichen dazu da, zu betören. Diese Zeiten scheinen jedoch endgültig vorbei zu sein – zumindest im Moment. Stattdessen boten die Mailänder Laufstege in dieser Saison ein Gefühl von magischem Realismus.

Die Kollektionen für Frühjahr/Sommer 2025 pendelten zwischen der Vergangenheit und der Zukunft hin und her, einige entworfen von Designer:innen mit der metaphorischen rosaroten Brille, während andere Alice im Kaninchenbau in Richtung Wunderland verfolgten. Eine weitere Garde entschied sich, schlicht das Alltägliche zu feiern und die Magie des Banalen zu umarmen.

Die alltägliche Vergangenheit

Ein solcher Designer, der den Alltag zum Leitmotiv macht und in Mailand an der Spitze eines Wandels hin zu tragbaren Kleidern und weg von Schaustücken steht, ist Sabato De Sarno. Zwar hat der Designer erst vor einem Jahr das Ruder bei Gucci übernommen, doch SS25 ist bereits die sechste Kollektion des Mannes, der die Nachfolge von Alessandro Micheles skurriler und wunderbarer Vision antreten durfte. Für manche ist diese Vision ernüchternd. Eine klare Abkehr vom eklektischen Werk Micheles hin zum Minimalismus und der längst vergangenen, aber nie ganz vergessenen Ära von Tom Fords kreativer Leitung der Marke in den Neunziger. Und obwohl man vieles über De Sarnos Vision für Gucci und den sich bisher nicht einstellenden Erfolg sagen kann – im Juli wurde bekannt, dass der Umsatz von Gucci im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gesunken ist – zeigt sich der Designer standhaft und bleibt sich selbst, sowie der Vergangenheit der Marke, unter der er kreiert, treu.

Gucci SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Für SS25 bedeutete das „lässige Grandezza“, oder Casual Grandeur, wie De Sarno es nennt, tragbare Kleidung. Inspiriert wurde diese von Bildern von Jackie Kennedy Onassis – Namensgeberin der berühmten Handtasche der Marke – im Urlaub auf Capri. Die Sechzigerjahre standen im Mittelpunkt der Kollektion, die sich zunächst in Kopftüchern und später in taillierten Etuikleidern in Burgunderrot und Chartreuse ausdrückten. Überdies tauchte die Sensibilität des berüchtigten Jahrzehnts in weit ausgestellten Mänteln, paillettenbesetzter Partymode und winzigen Minikleidern auf. Obendrein gab es bodenlange Mäntel, die zu Jeans und Tanktops getragen wurden, sowie einige legere Anzüge. Seine Interpretation von Tom Fords berühmten ausgeschnittenen Jersey-Kleidern aus dem Jahr 1996 sorgten zudem für eine kleine Dosis Sinnlichkeit, ähnlich wie eine Reihe von Kleidern im Dessous-Stil und kleinen BHs, die in der gesamten Kollektion zu finden waren.

Roberto Cavalli SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Gucci ist jedoch nicht die einzige Marke und Sabato De Sarno sicherlich nicht der einzige Designer, der seine Vision in letzter Zeit auf einer Fülle von Eigenreferenzen aufgebaut hat. Bei Roberto Cavalli beispielsweise schloss Fausto Puglisi seine erste Show seit dem Tod des gleichnamigen Gründers im April mit einer Liste multinationaler Supermodels, die als Favoriten des verstorbenen Designers gelten. Mariacarla Boscono, Joan Smalls, Eva Herzigovina, Natasha Poly, Karen Elsen, Isabeli Fontana und Alek Wek traten auf den Catwalk und trugen Kleider aus den Jahren 2000 bis 2004, die der Cavalli für sie angefertigt hatte. Die rührende Ode an den Mann, der Puglisi zu seinem Nachfolger auserkoren hatte, war rührend, auch wenn sie letztlich die meisten von Puglisis eigenen Kreationen für die Marke in dieser Saison in den Schatten stellte.

Adrian Appiolaza hingegen führte seine Erkundungstour fort, um herauszufinden, was genau Moschino zu Moschino macht. Dafür tauchte er erneut in die Archive ein und setzte seine Reise durch das Archiv der Marke für seine SS25-Kollektion mit dem Titel „Piece of Sheet“ fort. So verwandelte er das Alltägliche, in diesem Fall reinweiße Bettwäsche, in eine Reihe von Kleidern und Kleidungsstücken. Dabei gab er einem Model zugleich auch den Chlorreinige zur Hand, nur für den Fall, dass der unvermeidliche Fleck auftritt.

Moschino SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Fendi hingegen hätte allen Grund gehabt, auf die eigene Vergangenheit zurückzublicken, schließlich feiert die Marke 2025 ihr 100-jähriges Bestehen. Dennoch entschied sich Kim Jones für SS25, einen genaueren Blick auf das Jahrzehnt zu werfen, in dem das Haus gegründet wurde, anstatt auf seine eigentliche Entstehungsgeschichte.

Fendi SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Der britische Designer suchte im Gründungsjahrzehnt des Hauses nach Inspirationen und orientierte sich an der liberalen Modernität der Zwanzigerjahre. Die feminine Kollektion umfasste durchsichtige, von den sogenannten Flapper-Kleidern inspirierte Modelle sowie literarische Anspielungen auf Romane wie Virginia Woolfs “Mrs. Dalloway” und F. Scott Fitzgeralds “The Great Gatsby”. Beide Bücher wurden im selben Jahr veröffentlicht, in dem auch Fendi, damals noch ein reiner Lederwarenhersteller, geboren wurde.

KI, Kindheitstage und die Frage des Alters

Während Kim Jones schon oft Literatur in seine Kleidungsstücke eingewoben hat – frühere Kollektionen enthielten etwa Anspielungen auf das modische Bloomsbury-Set, eine englische Gruppe von Künstler:innen, Intellektuellen und Wissenschaftler:innen – bleiben die wahren Kräfte hinter der Intellektualisierung in Mailand Raf Simons und Miuccia Prada.

Das Duo schuf eine Kollektion für SS25, die ein unmittelbares Resultat der von Online-Algorithmen geschaffenen Mikrotrends und der Lawine sich ständig verändernder Mode. Anstatt sich jedoch auf einen einzigen Trend zu konzentrieren oder diesen gar anzustoßen, versuchte Pradas jüngste Kollektion mit dem Titel 'Infinite Present', die Regeln der Chronologie zu entwirren und gleichzeitig Mode für das Zeitalter des Algorithmus zu machen. Dabei mag die Kollektion teils unzusammenhängend wirken, doch genau darin liegt der Punkt der Kollektion, bei der es sich eher um ein Sammelsurium von Mode als um eine Kuration zu handeln scheint.

Prada SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Wenn überhaupt, dann schien es eher so, als hätten Prada und Simons das Archiv des Modehauses auf Shuffle gestellt und zugelassen, dass eine Vielzahl algorithmisch generierter Looks, die keinem festen Stil oder einer Epoche zugeordnet werden können, entstehen. Dabei drehten die beiden auch an der Uhr und stellten Chronologien infrage, denn ikonische Stücke aus dem Prada-Archiv, seien es Schuhe aus 1996, 2012 und 2011 oder schmale Gürtel und Kleider aus der Frühjahrs-/Sommerkollektion 2024, tauchten plötzlich erneut auf dem Laufsteg auf.

Störungen in der Matrix, oder besser gesagt Ungenauigkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI), ließen die Kollektion zudem erstarren. Allerdings nicht in Form von eingefrorenen Bildschirmen, sondern durch steif stehende Ärmelpartien und Krägen, sowie Trompe-l’oeil-Details, etwa Pelzkragen und Gürtel, die bei näherem Hinsehen nur flache Lederprints und nichts als eine optische Täuschung waren.

Matthieu Blazy hingegen schien für Bottega Veneta sein Telefon oder jegliche Technologie ausgeschaltet zu haben und sich stattdessen dem kindlichen Staunen und der Schönheit des Alltäglichen hinzugeben. Der Designer setzte seinen ersten Akzent – und hinterließ ein Zeichen in den sozialen Medien – mit der Wahl der Sitzgelegenheiten für die Show, indem er Bänke oder Stühle gegen niedrige Ledersitzsäcke in Tierform austauschte. Gerüchten zufolge wurde jedes Tier ausgewählt, um den darauf sitzenden Gast zu repräsentieren, doch unabhängig davon, verwandelte die skurrile Wahl die Location in einen Spielplatz, noch bevor der erste Look auf dem Laufsteg zu sehen war.

Blazy entwarf für SS25 eine Kollektion, die dem inneren Kind gewidmet war und aufgrund der überdimensionalen Silhouetten auch nicht selten an Kinder erinnerte, die sich in den Kleidern ihrer Eltern verkleidet hatten. Das Ergebnis war eine verspielte und überdimensionale Kollektion, die das Alltägliche romantisierte. Einkaufstüten, Blumen und Bürokleidung trafen auf karierte Hemden und T-Shirts mit Tiermotiven. Die Kollektion war waren einem Gefühl des Erwachsenwerdens und des Experimentierens geprägt, vor allem weil die Looks nicht nur teils überdimensioniert, sondern auch zerknittert und chaotisch wirkten. Doch all das tat Blazy, ohne diejenigen zu verprellen, die Bottega Veneta als eine raffinierte und stromlinienförmige Marke mit einem außergewöhnlichen Fokus auf Textur und Form kennengelernt haben. Für sie hat er präzise geschneiderte Hemden und Anzüge, drapierte Jersey-Kleider und einen mittlerweile für Bottega fast synonymen Fransenmantel im Angebot.

Bottega Veneta SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

„Als Kind erlebt man das Abenteuer des Alltäglichen – man hat das Gefühl, dass alles passieren kann, egal, wie fantastisch es ist, und man ist nicht so sehr an reguläre Erwartungen und Konventionen gebunden“, schrieb der Designer in seinen Shownotes für SS25. „Die Tür ist offen für die Möglichkeit seltsamer Realitäten und Wunder.“

Und obwohl seine Worte sicherlich darauf abzielten, seine eigene Kollektion zu beschreiben, treffen sie doch eine Aussage über den gesamten Zustand der Mode – mit all ihren Unsicherheiten und Herausforderungen im Moment. Am Ende des Tages stehen die Möglichkeiten oder vielmehr die Türen für Kreativität und ihre endlosen seltsamen, wunderlichen, kraftvollen und fantasievollen Chancen nach wie vor weit offen; es gilt nur zu hoffen, dass dies auch so bleibt.

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