Rückblick: Emotionale Modenschauen Teil 1
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In Mailand, London und Paris wurden die Präsentationen der Frühjahr/Sommer-Herrenkollektionen 2021 ins Internet verlegt. Jeder konnte hinter seinem Bildschirm einen Ersatz für die Fashion Week anschauen, von einem Video zum anderen zappen und zahlreiche Online-Inhalte sehen. Der neue Ansatz war natürlich Gegenstand einer Debatte, die die gesamte Branche beschäftigte. "Originalität und Zeitersparnis" befanden die einen, "Mangel an Emotionen" die anderen. Letztere Kritik veranlasste FashionUnited, das Gedächtnis der Modefachleute anzuzapfen und sie nach ihren emotionalsten Erinnerungen an die Laufstege, die sie miterlebt haben, zu befragen.
Inspiration, Neugierde, Aufregung, Coolness... die Shows umfassen ein breites Spektrum an Emotionen, die man heute gut Revue passieren lassen kann. Zum Auftakt dieser Reihe von Interviews: Vincent Grégoire, Leiter der Abteilung Inspiration der Beratungsagentur für “Innovation & Creativity” Nelly Rodi mit Sitz in Paris, Tokio und New York.
Können Sie sich an eine Kollektion erinnern, die Sie zu Tränen gerührt hat?
Vincent Grégoire: Alexander McQueens Kollektion für Frühjahr/Sommer 2004, inspiriert durch den Film They Shoot Horses, Don't They? [Deutscher Titel: Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß]. Zum einen, weil sie im Wagram-Saal gezeigt wurde, zum anderen, weil es Alexander war. Er hat damals den Nerv der Zeit getroffen.
Eine Show, bei der Sie Gänsehaut hatten?
Die jüngste Zusammenarbeit zwischen Christian Lacroix und Dries van Noten. Ich fand diesen Austausch interessant, es gab eine Form des Respekts für das Althergebrachte, es hat mich begeistert. Im Moment bin ich an allen Kooperationen sehr interessiert. Ich freue mich viel mehr, Persönlichkeiten wie Gaultier und Sacai zum Beispiel oder Raf Simons und Miuccia Prada zusammenarbeiten zu sehen. Ich denke, das ist nur fair.
Ein Designer, der wusste (oder immer noch weiß), wie man Sie überraschen kann.
François Girbaud. Für mich ist er ein wahrer Schöpfer, ein Designer, ein Entdecker, ein Ingenieur, ein Visionär. Er hat es immer noch in sich. Ich denke, sein Talent wird in Frankreich nicht genügend anerkannt.
Eine Schau, die Sie verärgert hat?
Alle Modenschauen von Kanye West. So sehr ich die Installationen von Vanessa Beecroft [der Künstlerin hinter den Yeezy-Laufsteginszenierungen] auch geliebt habe — das finde ich langweilig.
Eine Kollektion, die Ihnen ein Gefühl der Gelassenheit gegeben hat?
Die jüngste Präsentation von Olivier Saillard für J.M. Weston. Ich finde seine Meditation über Reparatur und Restaurierung interessant. Es hat etwas sehr Intimes: ein kleiner Kreis von Gästen, Models, die keine sind, aber Charaktergesichter haben. Mir gefällt die ganze Philosophie, die er J.M. Weston einflößt, das ist ziemlich innovativ in Sachen Luxus. Ich fand, dass es ein bisschen außerhalb des üblichen Luxussystems lag und das hat mich ein wenig mit dieser Branche versöhnt.
Ein Spektakel, das Sie empört hat?
Davon gab es zwei. Zuerst die Demos zum 1. Mai mit dem Schwarzen Block. Mir gefällt nicht, wie der Schwarze Block die Botschaft dieses Tages verdirbt. Und dann die Modenschauen von Victoria's Secret. Diese nicht-inklusive Mode ist seit Rihanna völlig veraltet. Es ist gut, dass sie aufhören.
Eine Kollektion, deren Aussage Sie nicht verstanden haben?
Die Dior Damenmodenschauen. Ich verstehe nicht, was Feminismus mit diesem Haus zu tun haben soll. Monsieur Dior zwang die Frauen in seine eng geschnürten Silhouetten, er machte Statuen aus ihnen. Ich finde den Feminismus von Dior sehr opportunistisch.
Eine Modenschau, bei der Sie alles tragen wollten?
Die Parade am 14. Juli. Ich liebe Militäruniformen!
Ein Designer, der Ihre Neugierde weckt?
Ein junger: Ruben Bissoli und seine Marke 81GB. Er kapert Logos und Grafiken. Fast wie ein Hacker.
Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Bilder: Porträt von Vincent Grégoire. Catwalkimages, Dries Van Noten PE20.
Fotos: Louis Vuitton Menswear S/S 21