SS25 in den Sozialen Medien: Ist weniger wirklich mehr?
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Inmitten der wirtschaftlichen Turbulenzen des Luxussektors waren es nicht die scheinbar endlosen Kreativdirektor:innen-Wechsel oder Alessandros Micheles Valentino-Debüt, die SS25 antrieben. Stattdessen waren Marken und deren Marketingabteilungen mit der Aufgabe konfrontiert, entweder mit weniger Ressourcen kreativ zu werden oder etablierte Regeln zu hinterfragen.
Parallel zu diesen internen Umstrukturierungen reflektierten viele Designer:innen für die Saison SS25 auch die Rolle der Kultur in einer zunehmend digitalen Welt. Das Internet beschleunigt die Modebranche und schafft ein Spannungsfeld zwischen globaler Vernetzung und kultureller Vereinheitlichung. Ausschließlich negativ ist dieser Wandel allerdings nicht, denn heutzutage ist die Mode wieder fest in der Popkultur verankert, und die Fashion Weeks sind dabei zur Bühne geworden – geprägt von prominenten Auftritten und Marketingteams, die nach dem nächsten viralen Moment suchen.
Doch wie beeinflussen solche kurzen Hypes das langfristige Image von Modemarken in den sozialen Medien? Die PR- und Imageagentur Karla Otto hat sich dieser Frage für die Saison Frühjahr/Sommer 2025 angenommen.
Weniger ist Mehr
Marken investierten in einen „Weniger ist mehr“-Ansatz für Talente. Sie pickten weniger Gäste und Prominente heraus, wählten aber diejenigen mit höherem Engagement und größerer Reichweite. Das Ergebnis? Die Frühjahr/Sommer-Saison 2025 wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent und erreichte einen Rekordwert von 840 Millionen US-Dollar (etwa 778 Millionen Euro) beim Earned Media Value (EMV).
Earned Media Value:
- Um die herausragendsten Schauen dieser Saison zu definieren, analysierten die Influencer:innen-Marketing-Plattform Lefty und Karla Otto Instagram-Posts und TikTok-Videos von Influencenden mit mehr als 10.000 Follower:innen. Hierbei betrachtete die Plattform, insbesondere die jeweiligen Impressionen und das Engagement der Fashion-Week-Postings der Influencer:innen. Daraufhin berechnete Lefty das sogenannte Earned Media Value (EMV) der jeweiligen Beiträge beziehungsweise der Brands. Earned Media Value, ist ein Schlüsselindikator für Brands und Influencenden, um die Wirkung ihrer Veröffentlichung nachzuvollziehen. Als Teil des Reports definiert Lefty das Earned Media Value als das Äquivalent der Werbeausgaben, die eine Marke normalerweise für die gewonnenen Impressionen tätigen müsste. Für Instagram und TikTok wurde hierbei mit einem Preis von 100 US-Dollar (93 Euro) pro Cost-per-Mille (CPM), auch Tausend-Kontakt-Preis (TKP) genannt, kalkuliert.
Es ist der „Weniger ist mehr“-Ansatz, der erklärt, warum trotz eines Rückgangs der Influencer:innen (-75 Prozent) und der Anzahl der Beiträge (-21 Prozent) der Gesamt-EMV in dieser Saison in die Höhe schoss. Der Fokus der Marken lag auf Persönlichkeiten mit einer besonders engagierten Fangemeinde und enormer Reichweite.
Earned Media Value der Fashion Weeks im Überblick:
- New York Fashion Week: 132 Millionen US-Dollar; Wachstum von 208 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- London Fashion Week: 20,9 Millionen US-Dollar; Wachstum von 0 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- Milan Fashion Week: 250 Millionen US-Dollar; Wachstum von 68 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- Paris Fashion Week: 437 Millionen US-Dollar; Wachstum von 39 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
Besonders auffällig ist der hohe EMV, den Stars aus koreanischen und thailändischen Musik und Filmphenomenän wie K-Pop, K-Drama und Thai-Drama erzielen, da sie für ihre treuen Anhängerschaften und stark vernetzten Online-Communities bekannt sind. Eine erfolgreiche Umsetzung dieser Strategie demonstrierte Tommy Hilfiger, dessen Zusammenarbeit mit Stars aus diesen Genres 45 Prozent seiner Social-Media-Aktivitäten ausmachte und 54,82 Millionen US-Dollar an EMV generierte – 97 Prozent des gesamten EMV der Marke.
Diese Prominenten schaffen nicht nur einen unmittelbaren Medienwert durch ihre bloße Anwesenheit bei Veranstaltungen, sondern erzeugen auch einen „Ripple-Effekt“, der weit über die direkte Berichterstattung hinausgeht. Ihr Einfluss erstreckt sich auf Medienbeiträge, Streetstyle-Fotografie und Fangemeinden, die vor den Shows warten. Diese nachhallende Wirkung steigert den digitalen Präsenzwert einer Marke erheblich.
Ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Effekt ist der Auftritt von Jennie, Mitglied der K-Pop-Gruppe Blackpink, bei Chanel, der das große Potenzial eines einzelnen prominenten Profils für die mediale Wahrnehmung einer Marke verdeutlicht. Während die drei Posts der Sängerin auf ihren eigenen sozialen Medien 3,1 Millionen US-Dollar an EMV generierten, wurde ihr kumulativer Effekt für Chanel auf rund 10,35 Millionen US-Dollar an EMV berechnet. Wie das? Obwohl sie nur drei Fotos gepostet hat, haben ihre Fans, Streetstyle-Fotograf:innen, Online-Accounts, Modemedien, Musikmedien und regionale Nachrichten ihre Beiträge veröffentlicht und das Wort – und die Bilder – über das Internet verbreitet.
Ein geografischer Blick auf Influencende und das Earned Media Value der SS25 Saison:
- Asiatisch-Pazifischer-Raum: 40 Prozent der Teilnehmer:innen; generierten 66 Prozent des EMVs mit 257,87 Millionen US-Dollar
- Nordamerika: 28 Prozent der Teilnehmer:innen; 21 Prozent des EMVs mit 82,17 Millionen US-Dollar
- Europa: 24 Prozent der Teilnehmer:innen; 8 Prozent des EMVs mit 31,38 Millionen US-Dollar
- Lateinamerika: 7 Prozent der Teilnehmer:innen; 4 Prozent des EMVs mit 17,04 Millionen US-Dollar
- Afrika: 1 Prozent der Teilnehmer:innen; 1 Prozent des EMVs mit 3,54 Millionen US-Dollar
Die Modebranche ist jedoch nicht nur immer besser in der Lage, den kumulativen EMV einiger der größten und angesagtesten Stars des Internets zu nutzen, sondern erkennt auch das Potenzial des raschen kulturellen Wandels, indem sie aktuelle Stars und Persönlichkeiten in ihre Shows einbezieht und so ihre Relevanz im kulturellen Diskurs unterstreicht. Ein Beispiel dafür sind die Auftritte der Kinder von Oasis-Sänger Liam Gallagher: Lennon Gallagher lief für COS in New York, während Anaïs Gallagher bei den Schauen von Chloé und Stella McCartney in Paris zu sehen war, parallel zu dem wieder auflebenden Interesse an der Band ihres Vaters.
Das TikTok-Paar Nara Smith und ihr Ehemann, das Model Lucky Blue Smith, waren ebenfalls auf allen vier Modewochen vertreten und erzielten einen Medienwert von 3,5 Millionen US-Dollar. Gucci nutzte die Gelegenheit, die Geschichte des Paares in einem Interview auf der Reise zur Show zu präsentieren, während Smith bei Bottega Veneta gefilmt wurde, wie sie mit A$AP Rocky Erziehungstipps austauschte.
Das in der Modewelt viel verwendete Buzzword „Brat“ durfte natürlich auch nicht fehlen, und so war die Präsenz von Brat-Sängerin Charli XCX auf mehreren Shows spürbar. Die Musikerin trat als Hauptact für H&M in London auf, bei einem Event, das vielfach als eine der herausragendsten Veranstaltungen der Saison bezeichnet wurde. Zudem spielten sowohl GCDS als auch Dior Musikstücke aus ihrem erfolgreichen Album. Ein Video, das Rosalía, Anya Taylor-Joy und Yseult zeigte, wie sie zum Song „Guess“ mitwippten, verbreitete sich schnell online und trug zur breiten digitalen Wahrnehmung bei.
Top-Marken für Frühjahr/Sommer 2025 gemessen am EMV
- Dior: 61,9 Millionen US-Dollar; Wachstum von 35 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- Tommy Hilfiger: 56,5 Millionen US-Dollar; Wachstum von 302 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- Prada: 47,9 Millionen US-Dollar; Wachstum von 276 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- Saint Laurent: 35,5 Millionen US-Dollar; Wachstum von 23 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
- Gucci: 33,8 Millionen US-Dollar (18,42 Millionen Euro); Wachstum von 196 Prozent im Vorjahresvergleich (SS24)
Fashion Weeks werden inzwischen jedoch nicht mehr nur von Modemarken, sondern auch von Unternehmen außerhalb der Modebranche genutzt, um ihre kulturelle Relevanz zu stärken. Coperni steigerte seinen EMV um 320 Prozent durch eine Kooperation mit Disney und erzielte einen Wert von 14,44 Millionen US-Dollar. Disney profitierte von der Zusammenarbeit, um seine Position im Luxussegment zu festigen.
In der Beauty-Branche erzielte L’Oréal mit seiner „Walk Your Worth“-Runway-Show einen EMV von 58,84 Millionen US-Dollar, nur übertroffen von Dior. Diese Entwicklungen verdeutlichen, wie Marken kulturelle Ereignisse wie die Fashion Weeks nutzen, um neue Zielgruppen zu erreichen und ihre Bindung zu bestehenden Kunden zu stärken. Laut einer Kantar-Studie aus dem Jahr 2023 beeinflusst die kulturelle Relevanz einer Marke etwa ein Viertel aller Kaufentscheidungen, was die Bedeutung dieser Strategie weiter unterstreicht.
Fashion-Tainment
Fashion hingegen ist bekannt für ihre Dualität: Während viele auf die kleinen Bildschirme ihrer Social-Media-Accounts schauten, um contentwürdige Talente zu finden, richteten andere ihren Blick auf die große Leinwand in Richtung Kino und Unterhaltung.
Tommy Hilfiger katapultierte sich mit einer Show, die einen Hauch von Grandeur und eine außergewöhnliche Produktion ausstrahlte, auf den zweiten Platz der meisten EMV-Einnahmen. Seine SS25-Show fand an Bord der MV John F. Kennedy, zuvor die Staten Island Ferry, statt und bot eine Performance der Rap-Gruppe Wu-Tang Clan sowie eine starke Gästeliste, die K-Pop- und Thai-Drama-Stars umfasste, wodurch der EMV der Marke saisonal um 302 Prozent wuchs.
Eine Sache, auf die Hilfiger nicht stark setzte, die sich jedoch als ebenso effektiv in dieser Saison erwies, war ein Oscar-würdiger Front Row. Im Verlauf der Saison machten Schauspieler:innen 20 Prozent des medialen Anteils aus, wobei ihr EMV um 43,15 Prozent auf insgesamt 173,2 Millionen US-Dollar anstieg, trotz einer insgesamt niedrigeren Teilnehmer:innenzahl.
Dies deutet auf einen gezielteren Ansatz hin, bei dem die Medienpräsenz bekannter Schauspieler:innen genutzt wird. Das Einbinden von aktuellen Talenten, wie beispielsweise thailändischen Schauspieler:innen oder neuen Netflix-Entdeckungen, kann besonders bei jüngeren Zielgruppen Anklang finden. Gleichzeitig können etablierte Namen wie Diane Kruger oder Willem Dafoe von der emotionalen Verbindung profitieren, die das Publikum zu den berühmten Rollen hat, die sie gespielt haben.
Top-Medienprofile im Frühjahr/Sommer 2025, gemessen am EMV
- Media: 30,11 Prozent des gesamten EMV
- Musiker:innen: 26,98 Prozent des gesamten EMV
- Schauspieler:innen: 20,57 Prozent des gesamten EMV
- Influencer:innen: 11,23 Prozent des gesamten EMV
- Models: 5,25 Prozent des gesamten EMV
- Industry, Fotograf:innen, Athlet:innen: 3,89 Prozent des gesamten EMV
Zusätzlich nutzen viele Modehäuser den Trend zu fesselnden Modedokumentationen, um eine tiefere Verbindung zu den Kund:innen aufzubauen. So launchte Mugler einen Tag vor seiner Show eine Dokumentation, die das 50-jährige Bestehen der Marke feierte, während Victoria Beckham bei ihrer Show von einem Netflix-Team begleitet wurde, das offenbar eine Serie über ihre Mode- und Beautyprojekte filmt.
Außerdem dienen die Bildschirme dazu, die Inszenierungen der Modenschauen über deren Ablauf hinaus zu verlängern. Nach der viralen Couture-Show produzierte Maison Margiela einen Film mit dem Titel „Nighthawk“, der auf dem Konzept von John Galliano für die Kollektion basierte und am Ende der Paris Fashion Week veröffentlicht wurde. Diese Herangehensweise zeigt, wie ikonische Modenschauen in der Unterhaltungswelt referenziert werden können und eröffnet neue Möglichkeiten für das Storytelling.