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Vintage-Spezialist Julien Sanders: „Es wird eine Gegenreaktion auf den Vintage-Trend geben“

Von Julia Garel

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Mode |Interview

Julien Sanders. Bild: Augustin Puzio

Als Experte für Vintage arbeitet Julien Sanders mit Kreativen von Luxushäusern bis hin zur Fast Fashion zusammen. Jede Saison kommen die Kreativteams zu ihm, um sich von den Modearchiven in seinem Pariser Showroom inspirieren zu lassen. Im Interview mit FashionUnited teilt er seine Sicht auf den florierenden Secondhand-Markt und gibt Einblicke in seinen Beruf.

Was genau machen Sie?

Dieses Jahr ist das zehnte Jubiläum meiner Arbeit im Vintage-Bereich. Ich führe nicht nur ein Business, sondern mehrere, die immer mit Vintage und der Geschichte der Mode zu tun haben. Ich habe mit dem Verkauf von Vintage-Kleidung begonnen und nach und nach hat mich das zu anderen Projekten geführt. In Paris habe ich einen Showroom im 11. Bezirk, wo ich hauptsächlich Designschaffende empfange und Veranstaltungen für Privatpersonen organisiere – seit Anfang April habe ich auch eine Boutique in Les Puces de Saint-Ouen, dem berühmten Pariser Flohmarkt. Gelegentlich konsultieren mich Auktionshäuser für Auktionen und zur Begutachtung von Kleidungsstücken, beispielsweise bei Nachlässen.

Ich publiziere auch eine Zeitschrift namens Griffé. Die Idee ist, von den Marken auszugehen, um eine andere Geschichte der Mode zu erzählen und gleichzeitig eine Publikation zu schaffen, die auch ein Werkzeug ist. Soll heißen, dass man sie auch in zehn oder 15 Jahren wieder aufgreifen kann. Und zu guter Letzt habe ich einen Podcast, Le Fil, in dem ich Menschen begegne, die zwischen den 1950er Jahren und Anfang 2000 in der Mode gearbeitet haben.

Haben Sie eine Entwicklung oder Veränderung bei den Anfragen der Kreativen, die zu Ihnen kommen, festgestellt?

Ich sehe keinen Unterschied. Es gibt Designer:innen, die in einer Saison kommen und in der nächsten nicht. Ich habe zwei oder drei Luxusmarken, die regelmäßig kommen, aber nicht viele. Eigentlich variiert es, wenn es einen Wechsel in der kreativen Führung gibt. Die Anfragen hängen von der DNA des Hauses und der künstlerischen Leitung ab. Es gibt zum Beispiel Marken, mit denen ich zusammenarbeite, die sich völlig gegen die Mode der 2000er Jahre wehren, sie sind nicht daran interessiert.

Führen Sie spezielle Recherchen für die Marken durch, die Sie kontaktieren?

Ich mache das nicht mehr, weil es zu zeitaufwendig ist. Aber vor fünf Jahren, als ich nach Paris kam, habe ich viel recherchiert, hauptsächlich nach Accessoires, Schuhen und Lederwaren für Luxusmarken, die mir ein Briefing gaben. Die leitenden Kreativen baten mich, nach inspirierenden Stücken zu suchen. Es war wirklich ein individueller Service. Ich hörte damit auf, weil sich andere Geschäftsfelder entwickelten und weil die Pandemie kam und die Dinge ein wenig verlangsamte. Heute kommen sie, haben ihr Briefing und stöbern im Archiv. Ich treffe keine Auswahl, da sie auch gerne suchen.

Gibt es einen regen Wandel in ihrem Archiv?

Die Auswahl wechselt schnell, weil ich viel verkaufe. Ich bin sehr eklektisch, nicht auf ein Jahrzehnt festgelegt. Ich habe Kolleg:innen, die zum Beispiel nur 70er oder 80er machen. Ich habe ein bisschen von allem und kann mit allem Spaß haben. Unser Geschäftsmodell ist anders. Sie entwickeln ihrerseits ein Markenimage, sei es auf einer minimalistischen Welle, auf einer 70er-Pop-Welle, oder, ich denke an Judith [Prigent] von Moujik, die nur Saint Laurent macht. Ich fahre eine andere Strategie. Ich kaufe Stücke, weil sie mich interessieren. Wir bleiben im Wesentlichen bei Design-Stücken oder sehr gut verarbeiteten Teilen aus den 50er oder 60er Jahren. Ich versuche nicht, ein Markenimage zu entwickeln.

Apropos Marke, welche Namen verkaufen sich heute besonders gut?

Es gibt mehrere. Natürlich gibt es Saint Laurent, weil die Silhouette hyperzeitlos ist. Die Stücke von Saint Laurent verkaufen sich sehr gut bei Privatpersonen und auch bei Kreativen. Sie haben eine gewisse Zeitlosigkeit, die ziemlich verblüffend ist. Er hat einen Look und einen Stil erfunden, nicht Stücke. Andererseits gibt es im Moment zum Beispiel Mugler. Seit der Ausstellung gibt es ein Comeback der Marke, während es früher sehr kompliziert war, Mugler-Stücke an Privatpersonen zu verkaufen. Die Kreativen kauften sie auch damals schon, da sie nach dem Schnitt und den Details suchen.

Bei Privatpersonen verkaufen sich auch alle Lederwaren von Chanel, Hermès, Louis Vuitton und so weiter sehr gut. Aber das ist nicht das, was ich mache. Ich verkaufe viel Saint Laurent und Mugler. Ich weiß, dass Gaultier sich auch sehr gut verkauft, vor allem sehr ikonische Dinge, wie Mesh-Tops oder enganliegende Stücke.

Es hängt auch wirklich von der Kundschaft ab. Zum Beispiel mögen Amerikaner:innen natürlich Saint Laurent – jeder liebt Saint Laurent – aber auch Stücke von Alaïa, sehr körpernahe Sachen, wie Mugler. Ich unterscheide zwischen zwei Arten von Kundschaft, die französische Frau ist sehr Saint-Laurent-fokussiert und kauft viele Stücke aus den 70er Jahren: Blazer, hoch geschnittene Hosen, Rüschenblusen, während die amerikanische Frau sehr sexy ist. Das ist ein wenig karikaturistisch, aber es ist wahr. Die Amerikaner:innen sind auch sehr Gaultier-orientiert. Und sie haben eine Kaufkraft, die höher ist als die der Franzosen und Französinnen.

Ist der Preis der von Ihnen verkauften Stücke gestiegen?

Ja, das sind sie. Früher konnte ich eine Mugler Jacken für 200 Euro verkaufen, weil ich sie zu niedrigen Preisen kaufte, aber jetzt kann ich sie nicht mehr unter 350 Euro anbieten, weil es nicht mehr möglich ist, sie zu günstigen Preisen zu finden, das ist explodiert. Dasselbe gilt für Gaultier. Saint Laurent wird immer teurer, aber das liegt auch an der Nachfrage: Je mehr Leute diese Marke haben wollen, desto höher gehen die Preise. Bei Saint Laurent gibt es mehrere Labels, mehrere Linien, nicht alles ist Geld wert.

„Viele Menschen verkaufen über das Internet und das treibt die Preise in die Höhe, weil sie Kund:innen direkt auf Plattformen wie Vinted finden können. So stellen sie sich das jedenfalls vor.“

Julien Sanders

Allgemein sind die Preise auch deshalb gestiegen, weil wir alle das Gefühl haben, einen Schatz auf unserem Dachboden zu haben. Das liegt auch daran, dass Vintage in Mode ist und alle sich dafür interessieren. Die Sache ist nur, dass die Leute die Dinge auch viel teurer verkaufen. Alles ist Verhandlungssache, aber man kann selten 50 Prozent aushandeln.

Es gibt auch die Tatsache, dass viele Menschen über das Internet verkaufen und das treibt die Preise in die Höhe, weil man Kund:innen direkt auf Plattformen wie Vinted finden kann. Das ist zumindest die Vorstellung. Es ist nicht immer die Realität. Ein Kleidungsstück muss immer noch anprobiert werden. Was sich sehr gut online an Privatpersonen verkaufen lässt, sind sogenannte ikonische Stücke: Stücke, die hoch gelistet sind, bei denen der Menschen ihre Größe kennen, denn nur wenige Leute werden 260 Euro für einen schwarzen Yves Saint Laurent Blazer ausgeben, ohne ihn vorher anprobiert zu haben oder die Größe zu kennen.

Sie suchen auch auf Vinted?

Ja, ich bin überall aktiv. Ich höre oft von meinen Kolleginnen, dass es immer schwieriger wird, etwas zu finden, aber den Eindruck habe ich nicht. Ich habe vor zehn Jahren angefangen, als es noch kein Vinted gab, also musste ich von Anfang an darüber nachdenken, wo ich Kleidung finden kann.

Wie hoch ist Ihre Gewinnspanne für die von Ihnen verkauften Stücke?

Meine Marge ist wie die von Prêt-à-porter: 2,8. Wenn ich etwas für 50 Euro kaufe, verkaufe ich es für 140 Euro. Ich verdiene 90 Euro, aber das ist nicht der Gewinn, ich muss es dem Finanzamt melden, und ich habe auch Kosten, beispielsweise wenn ich Veranstaltungen mache. Und dann verkaufe ich das Stück nicht unbedingt sofort, manchmal bleibt es sechs oder sieben Monate liegen, bevor ich es verkaufe.

Das kann jedoch variieren. Wenn ein Stück sehr begehrt ist, bedeutet das auch, dass ich sie zu einem höheren Preis kaufen muss, es sei denn, die Person weiß nicht, dass es sehr gefragt ist. Und man darf nicht vergessen, dass die Leute es manchmal einfach nur loswerden wollen und das ist eine echte Erleichterung für sie. Zweitens bedeutet die Tatsache, dass ein Stück gesucht wird, nicht, dass es sofort verkauft wird. Ein Teil für 500 Euro geht nicht sofort weg. Und das bedeutet auch, dass ich, wenn ich etwas für 200 Euro kaufe, ein größeres Risiko eingehe, als wenn ich etwas für 2 Euro kaufe. Es gibt viele Faktoren.

Wie sehen Sie die Entwicklung Ihres Unternehmens?

Heute arbeite ich seit zehn Jahren allein und teile die Räumlichkeiten mit anderen Verkäufer:innen, wenn ich Veranstaltungen mache. Im Showroom sind wir zu zweit, aber wir sind zwei verschiedene Persönlichkeiten. Mein Ziel ist es, das Vintage-Geschäft beizubehalten, aber jemanden zu beschäftigen, der sich darum kümmert, damit ich mich auf meine beiden anderen Projekte konzentrieren kann: die Zeitschrift und den Podcast. Im Moment jongliere ich mit all diesen Dingen, aber die Idee ist, kurzfristig Verkaufspersonal zu beschäftigen. Das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr auf die Jagd gehen werde, denn das ist es, was ich am meisten liebe.

Wie sehen Sie Modemarken, die ihre eigene Secondhand-Plattform entwickeln?

Darüber kann ich kein urteilen. Das Ziel ist es, zu verkaufen. Ich finde jedoch, dass es wie Greenwashing aussieht, da ihr Geschäftsplan nicht auf Kreislaufwirtschaft basiert. Aber es ist wie bei vielen Marken, die Upcycling betreiben, ohne auf Kreislaufwirtschaft eingestellt zu sein. Sie denken nicht darüber nach, was mit dem Produkt passiert, wenn es weggeworfen wird. Ich denke daher, dass es vor allem um das Image und das Sammeln von Daten geht. Denn es ist natürlich interessant zu sehen, was die Kund:innen kaufen, was gut als Secondhand-Piece funktioniert. Wenn man zum Beispiel weiß, dass dieser rosa Pullover als Vintage-Teil gut funktioniert, dann könnte es interessant sein, ihn neu aufzulegen. Die Hauptaufgabe der Brands besteht darin, neue Kollektionen zu verkaufen. So sehe ich das. Das ist weder gut noch schlecht, nur die Rhetorik entspricht nicht der Realität.

Auf der Fashion Week Herbst/Winter 23 für Damen verwiesen viele Marken auf ihr Erbe. Wie interpretieren Sie dies?

Ich denke, dass sie einfach auf den Markt reagieren. Wir haben einen Vintage-Trend und dieser Trend betrifft nicht nur Menschen, die einen ökologischen Ansatz haben, sondern alle. Wenn alle anfangen, Vintage-Blazer aus den 1970er Jahren zu tragen, wird natürlich das, was auf der Straße ist, auch auf den Laufsteg gebracht. Wenn also eine Kundin, die keine Lust hat, Vintage zu kaufen, weil das nicht ihr Ding ist, sieht, dass alle eine Jacke aus den 70er Jahren tragen, wird sie natürlich auch eine Jacke aus den 70er Jahren wollen. Aus diesem Grund beginnen Marken, Kollektionen zu entwerfen, die wie Vintage aussehen.

Wenn Vintage ein Trend ist, bedeutet das, dass er wahrscheinlich verschwinden wird?

Das glaube ich nicht. Das beunruhigt mich nicht. Ich glaube, dass Secondhand nicht verschwinden kann, weil es ein so starkes Umweltbewusstsein gibt, zumindest in Europa. Aber es wird einen Gegentrend geben, das ist mechanisch, sobald es eine Bewegung gibt, gibt es eine Gegenbewegung. Im Moment wird es zu schlecht angesehen, wenn man sagt: „Nein, Vintage ist schrecklich, das sollte man nicht tragen“. Ich weiß nicht, was sich daneben entwickeln wird, aber ich denke, dass es eine Gegenreaktion auf diesen Trend geben wird, was nicht bedeutet, dass dies Vintage abschwächen wird.

Vintage entspricht auch einem Zeitgeist, der besagt, dass „früher alles besser war“. Solange es dieses nostalgische „früher war alles besser“ gibt, werden die Leute weiterhin Secondhand kaufen.

Können Sie uns abschließend noch einmal den Unterschied zwischen Vintage und Secondhand erläutern?

Secondhand ist alles, was zeitgenössisch ist. Und Vintage sagt man, wenn etwas 20 Jahre alt und älter ist. 2023 ist also alles, was von vor 2003 ist, Vintage. Der Begriff ‚Vintage’ kam Mitte der 70er Jahre auf und erlangte in den frühen 80ern Bekanntheit. Ich bin der Meinung, dass das, was heute auf dem Vintage-Markt ist, Stücke ab den 60er Jahren sind, davor spricht man eher von ‚antik‘ oder ‚retro‘. Aber es gibt auch Dinge vom Anfang des letzten Jahrhunderts, wie hoch geschnittene Hosen, die man heute noch tragen kann, weil sie wie ein Hemd zu den Basics einer Garderobe gehören.

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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