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Warum werden so wenige Textilabfälle recycelt?

Von Herve Dewintre

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Mode
Foto: Gretes

Der öffentliche Diskurs ist geprägt von steigenden Strom- und Gaspreisen und der Frage, wo und wie gespart werden kann. Anhänger:innen nachhaltiger Praktiken wie Upcycling in der Modeindustrie kommt dieses Umdenken recht, denn sie haben sich auf diese Fragen schon lange vorbereitet.

Das Zeitalter der Sorglosigkeit und des vermeintlichen Überflusses an Rohstoffen, Energie und Wasser ist vorbei. Die globale Erwärmung, die Unterbrechung von Lieferketten in Verbindung mit der Pandemie und der Stärkung autoritärer Regime verspricht eine Umwälzung unserer Wertmaßstäbe auf globaler Ebene.

Angesichts dieser neuen Anforderungen wird auch die Modebranche aufgefordert, umzudenken. Zur Erinnerung: Die Branche ist eine der umweltschädlichsten der Welt, da sie jedes Jahr Milliarden von Mikrofasern in die Umwelt freisetzt, ganz zu schweigen von dem übermäßigen Wasserverbrauch, der für den Anbau bestimmter Fasern erforderlich ist. Zwei Zahlen, die dies untermauern: Es werden bis zu 20.000 Liter Wasser benötigt, um ein einziges Kilogramm Baumwolle anzubauen. Jede:r Europäer:in produziert mehr als 15 Kilogramm Textilabfälle pro Jahr.

Recycling ist daher eine Notwendigkeit. Aber können alle Materialien recycelt werden? Die Antwort ist nicht ganz einfach.

Naturfasern

Das Recycling von Wolle wird schon lange praktiziert. Es geht bis ins Mittelalter zurück, wie die Messe Première Vision erklärt. Wollhändler:innen leisten die Pionierarbeit auf dem Gebiet des mechanischen Recyclings, was den Stoffen ein neues Leben ermöglichte. Diese Technik wurde auch auf Baumwolle übertragen, die ebenfalls nach Farben sortiert, geschreddert und zu einer neuen Faser verarbeitet werden kann. Baumwolle kann außerdem durch chemisches Recycling zu Zellulosematerialien verarbeitet werden. Leinen und Hanf (deren Anbau unendlich weniger Wasser und Pestizide als Baumwolle erfordert) werden derzeit ebenfalls beliebter.

Nur 1 Prozent der recycelten Materialien stammen aus dem Recycling von Textilien zu Textilien

Bezüglich Leder erinnert die Branche regelmäßig daran, dass es nachhaltig sei, da es ein Abfallprodukt ist: Nutztiere wie Kühe oder Schafe werden nicht wegen ihrer Häute, sondern wegen ihres Fleisches gezüchtet. Auch kann Leder nach dem Ende der Produktlebensdauer zu neuen Textilien recycelt werden.

Metalle können ebenfalls leicht wiederverwertet werden. Es kann eingeschmolzen und neu verwendet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Baumwolle, Wolle, Leder und Metalle alle recycelt werden können.

Die Strategie der Europäischen Union für nachhaltige und zirkuläre Textilien Maßnahmen sieht vor, die Menge der auf Mülldeponien entsorgten Textilien zu reduzieren, indem mehr recycelte Textilien in das Design von Kleidung einbezogen werden müssen. Derzeit wird nur ein Prozent der Textilabfälle recycelt und zu neuen Kleidungsstücken verarbeitet. Für diese Diskrepanz zwischen Erwartungen, Möglichkeiten und Ergebnissen gibt es mehrere Gründe. Der erste und wichtigste Grund: Polyester hat in den letzten 20 Jahren ein rasantes Wachstum erlebt, das vor allem von Fast-Fashion-Unternehmen wie Shein, H&M, Asos, Boohoo und Forever 21 angetrieben wurde.

Der stetig wachsende Verbrauch von synthetischen Materialien erfordert jedoch erhebliche fossile und petrochemische Ressourcen. Synthetische Stoffe können zwar recycelt werden, aber nur wenn sie aus kein Gemisch von Fasern beinhalten, daher werden recycelte Polyesterfasern meist aus PET-Flaschen gewonnen. So können also Abfälle aus der Lebensmittelindustrie wiederverwendet werden, nicht aber Produkte aus der Textilindustrie, die oft synthetische und Naturfasern verwebt. Diese lassen sich dann nicht so einfach wieder trennen. Welche Lösungen gibt es also? Marken und Einzelhandel werden in den kommenden Jahrzehnten keine andere Wahl haben, als ihre Abhängigkeit von synthetischen Stoffen zu reduzieren. Sie sollten aber auch Mono-Materialien (oder maximal Bi-Materialien derselben Art) und lange Fasern bevorzugen, die eine Voraussetzung für das zweite Leben eines Stoffes darstellen.

„Sehr wenige Recyclingbetriebe akzeptieren Kleidungsstücke, die aus mehreren verschiedenen Stoffen hergestellt wurden, wie 95 Prozent Baumwolle und 5 Prozent Elastan. In solchen Fällen wird die Baumwolle recycelt und das Elastan verbrannt, was leider immer Auswirkungen auf die Umwelt hat“, bestätigt die Designerin Grėtė Švėgždaitė, die die Marke Gretes in Litauen gegründet hat. Diese Marke verarbeitet Nachtwäsche, die aus dem Recycling stammt, zu Garn, das von anderen Herstellern verwendet werden kann, wodurch der Stoff in die Produktionskette zurückgeführt und der Druck auf die Mülldeponien verringert wird.

Die Designerin warnt jedoch: „Um von einem vollständigen Recycling und der Umwandlung in ein anderes Produkt zu profitieren, muss ein Kleidungsstück zu 100 Prozent aus einem natürlichen Material bestehen“. Dies wird auch von Première Vision bestätigt, die empfiehlt, Metallfäden und Elasthan über fünf Prozent zu vermeiden, und von komplexen Stoffen wie Jacquard, Jetée-Maschenware, Stoffen mit hoher Elastizität und sehr dicken Materialien oder sehr feinen Garnen abrät. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass bestimmte Ausrüstungen oder Veredelungen wie Knitterschutz, Beflockung und Beschichtungen die Recyclingfähigkeit beeinträchtigen. Auch geklebte oder genähte Stoffe sind problematisch. Zum Schluss noch ein letzter Ratschlag: Auch wenn Recycling ein Teil der Kreislaufwirtschaft ist, sollte ein verantwortungsbewusstes Kleidungsstück vor allem die Fähigkeit haben, Trends zu überdauern und eine lange Lebensdauer erreichen.

Dieser Artikel wurde ähnlich auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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