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Agile Lieferkette: Shein, BCG und GoodOps erörtern Probleme und Chancen

Von Simone Preuss

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Webinar „Agile Supply Chain and the Future of the Fashion Industry“. Bild: Screenshot

Während die Modebranche weiterhin mit den weitreichenden Auswirkungen der Pandemie und neuen globalen Herausforderungen zu kämpfen hat, ist klar geworden, dass die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen in der Lieferkette zu reagieren, ein entscheidender Faktor für den Erfolg eines Unternehmens ist. Branchenvertreter:innen des Ultra-Fast-Fashion Unternehmens Shein, des Beratungsunternehmens für Nachhaltigkeitsstrategien und -abläufe GoodOps und der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) erörterten jüngst die Herausforderungen und Chancen einer agilen Lieferkette im Webinar „Agile Supply Chain and the Future of the Fashion Industry“.

Wann sind Lieferketten agil?

In der Modebranche gelten Lieferketten dann als agil, wenn sie Produkte innerhalb von zwei bis acht Monaten (oder schneller) von der Entwurfsphase bis in die Regale der Einzelhändler:innen bringen, den Bestand in der Saison entsprechend der Nachfrage auffüllen und Restbestände am Ende der Saison auf ein Minimum beschränken können. Einige der wichtigsten Herausforderungen sind das Kostenmanagement, die durchgängige Zusammenarbeit sowie die Qualitätskontrolle.

„Unternehmen mit flexiblen Lieferketten sind in der Lage, schnell auf kurzfristige Veränderungen der Nachfrage zu reagieren, indem sie einen kund:innenorientierten, durchgängigen Produktliefermechanismus aufbauen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit und die schnelle Koordination von Merchandising, Design, Produktion und Vertriebskanälen“, heißt es im BCG-Bericht „Agility Is Fashion's New Source of Competitive Advantage“.

1. Herausforderung: Verändertes Kund:innenverhalten

Veronique Yang, Geschäftsführerin und Senior Partner bei der Boston Consulting Group, erläutert zu Beginn der Diskussion, wie sich das Verhalten der Kundschaftverändert hat: „Sie erwarten eine größere Vielfalt und ein größeres Angebot an Produkten, die sie durch schnellere Lieferungen und kostenlose Rückgabe und Umtausch erhalten. Gleichzeitig erwarten sie Qualität und einen wettbewerbsfähigen Preis, was den Druck auf Marken erhöht.“ Zumindest bei einem kund:innenorientierten Geschäftsmodell, und Yang zufolge ist das Phänomen Ultra Fast Fashion auf dieses Bedürfnis der Verbraucher:innen zurückzuführen.

„Es ist eine große Aufgabe, und wir versuchen, sie zu erfüllen“, stimmt Donald Tang, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Shein, zu. „Niemand hat eine Antwort darauf, was die neue Normalität ist, aber die Verbraucher:innen sind sehr anspruchsvoll geworden, und der Kampf hat sich intensiviert und ins Internet verlagert“, fügt er hinzu. Das ist der Kampf um ihre Aufmerksamkeit, ihr Geld und den besten Preis: Während Inflation und wirtschaftliche Unsicherheiten die Preise in die Höhe getrieben haben, suchen Verbraucher:innen nach immer günstigeren Angeboten. Tang berichtet, dass eine Umfrage unter 25 Prozent der Shein-Kund:innen ergab, dass 13 Prozent der Befragten auch in der aktuellen Situation eine verantwortungsvollere Wahl treffen wollen, während 87 Prozent zu erschwinglicheren Marken gewechselt haben.

„Diese Veränderungen fanden bereits vor der Pandemie statt, aber die Pandemie hat sie noch beschleunigt“, erklärt Divya Demato, Geschäftsführerin und Mitbegründerin von GoodOps. „Während die Klimakrise und die Rolle der verschiedenen Branchen dabei nicht zu leugnen sind, stehen die Unternehmen oft im Widerspruch zu dieser Realität, und Verbraucher:innen verstehen dies auf unterschiedlichen Ebenen; sie richten sich dementsprechend auf Marken aus.“

2. Herausforderung: lineare Geschäftsmodelle

Für Demato funktioniert ein lineares Geschäftsmodell nicht mehr, insbesondere in der Modebranche. „Die Pandemie hat viele unvorbereitet getroffen; diejenigen, die es geschafft haben, hatten enge Beziehungen zu ihren Lieferbetrieben, aber es gab immer noch viele Ungewissheiten“, sagt sie. „Marken stehen vor der Herausforderung, ihre Bestände zu verwalten. Sie müssen ein Ökosystem für ihre Lieferkette identifizieren und Widerstandsfähigkeit aufbauen“, rät sie.

„Alle würden gern die verantwortungsvollen Entscheidungen der Verbraucher:innen erfüllen”, erklärt Tang. Eine Umstellung, die für Shein gut funktioniert hat, war die Digitalisierung kleiner und mittelgroßer Fabriken. „Vor einigen Jahren verschwanden in China kleine Fabriken. Wir haben alle digitalisiert und kleine Fabriken miteinander verbunden, so dass sie zusammen ein großes Unternehmen bilden und konkurrieren können“, berichtet Tang. „Das hat ihre Sichtbarkeit erhöht, sie können jetzt ihre eigenen Kapazitäten einsehen und wir können sie schneller bezahlen, was zu einer besseren Liquidität führt.“

1. Chance: Digitalisierung und Transparenz

Für Tang ist Nachhaltigkeit eine Frage der Technologie und der Plattform. „Wir müssen Technologie für den Planeten und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen nutzen“, sagte er. In dieser Hinsicht sieht er Shein als ein „Befähigungsunternehmen“.

Für Yang ist es nicht nur die Technologie, die einen Unterschied gemacht hat: „Unternehmen haben erkannt, dass eine Lieferkette wirklich wertvoll sein kann, und sie haben begonnen zu prüfen, wie sie stabiler werden kann und sie gleichzeitig Qualität und wettbewerbsfähige Preise beibehalten können.“

Für sie gab es drei wesentliche Veränderungen: das Aufkommen neu gestalteter Lieferkettennetze und sogar -modelle weltweit, mehr Offenheit und Transparenz in der gesamten Lieferkette, wozu auch neue Technologien und die Digitalisierung gehören, und schließlich ein hohes Bewusstsein für Nachhaltigkeit. All dies führe zu Widerstandsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und Verantwortung, was alles sehr wichtig sei, wie Demato betonte: „Es kann immer noch mehr kommen, wie die Pandemie gezeigt hat“.

In Bezug auf die Hilfsmittel, mit denen all dies erreicht werden kann, räumt Yang, die verschiedene Produktkategorien verwaltet, ein, dass die Lieferkette der Modebranche die längste und komplexeste sei. „Sie umfasst viele interne und externe Beteiligte und ist ziemlich fragmentiert“, sagt sie. Sie erfordert die Koordinierung einer großen Gruppe von Parteien mit unterschiedlicher Komplexität, unterschiedlichem Entwicklungsstand und unterschiedlichem Digitalisierungsgrad, und all das zu managen, ist eine Herausforderung. „Alle sollten von den Besten lernen, aber sorgfältig auswählen, was zu ihrem eigenen Geschäftsmodell passt“, rät sie.

2. Chance: On-Demand

„Agilität ist die neue Quelle des Wettbewerbsvorteils und war es schon vor der Pandemie“, betont Tang. Durch das On-Demand-Modell - das Tang als „Game-Changer“ bezeichnet - sorgt Shein auch dafür, dass nichts verschwendet wird, verwaltet seine Bestände gut und konzentriert sich auf die Bedürfnisse der Verbraucher:innen, was für ihn entscheidend für das Wachstum ist. „Wir wollen inklusiver werden; Hautfarbe, Standort, Orientierung usw. spielen keine Rolle, aber man muss die Lieferkette neu konzipieren. Letzten Endes gewinnen die Verbraucher:innen, und man muss einen Weg finden, Gutes zu tun, während es einem gut geht, und es einem gut gehen lassen, während man Gutes tut“, fasst er zusammen.

Demato stimmt zu und vergleicht Sheins On-Demand-Modell für den Einzelhandel damit, wie Walmart einst mit seinem Großhandelsmodell die Preise revolutionierte und wie Amazon den E-Commerce revolutionierte. „Im vorgelagerten Bereich könnte es weniger Abfall geben, aber was ist mit dem nachgelagerten Bereich? Was kann die Technologie tun? Verbraucher:innen werden weiterhin kaufen.“ Für sie geht es um nachhaltigere Materialien und Innovationen im Textilrecycling, da heute aufgrund mangelnder Technologoie nur ein Prozent aller Kleidungsstücke recycelt wird.

Chance und Herausforderung: Nachhaltigkeit

„Die Infrastruktur ist vorhanden, viele Elemente sind vorhanden, aber aus der Perspektive der Kreislaufwirtschaft müssen wir den gesamten Lebenszyklus betrachten. Verbraucher:innen werden sich fragen: 'Lohnt es sich, das zu kaufen? Oder wird es auf der Mülldeponie landen?'“ Dies ist laut Demato eine Gelegenheit für Marken, dem zuvorzukommen.

„Dieser Moment ist wahrscheinlich schon gekommen“, sagt Tang und fügt hinzu, „dass wir herausfinden müssen, was die bevorzugten Materialien sind“. Er wies auch darauf hin, dass „wir hier bisher nur die Halbwertszeit und nicht den gesamten Lebenszyklus sehen". Für ihn kommt es vor allem auf die Zusammenarbeit an: „Niemand ist groß genug, um ein Konzept für das Ende der Lebensdauer ganz allein zu entwickeln.“

Yang stimmt zu, dass die Akteur:innen der Branche zusammenkommen und ihre Macht, ihre Größe und ihr Know-how gemeinsam nutzen müssen. „Mode ist ein Konsumgut, das soziale und ökologische Auswirkungen hat. Die Lieferkette muss dazu beitragen, eine Zukunft für Mode und Verbraucher:innen zu schaffen. Technologie hilft uns, Produktmengen zu reduzieren, Ressourcen zu maximieren und umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen, wenn es um Färben, Waschen und andere Prozesse geht“, resümiert sie stellvertretend für alle Teilnehmer:innen.

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