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Der Preis der Erneuerung: Was steht auf dem Spiel, wenn Marken ihre Kreativdirektor:innen wechseln?

Von Diane Vanderschelden

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Business|Analyse
Guccis früherer Creative Director Alessandro Michele. Credits: Gucci HW20 via Catwalkpictures

Was veranlasst einen Austausch der Kreativen an der Spitze eines Modehauses? Ist es ein Umsatzrückgang, ein Wandel in der Vision des Vorstands oder der Druck der Investoren? Und was noch wichtiger ist: Welche finanziellen Folgen hat es, wenn eine Marke die Kreativdirektor:innen wechselt?

Massimiliano Giornetti, Direktor von Polimoda und ehemaliger Designer für Luxusmarken wie Salvatore Ferragamo und Shanghai Tang, ist ohne Zweifel ein kompetenter Gesprächspartner für dieses Thema. Er antwortete treffend und erklärte: „Anstatt ständig zu fragen, wer welche Marke übernehmen wird, sollten wir uns fragen, was Modehäuser heute von einem Kreativdirektor erwarten. Ist diese Rolle in der heutigen Landschaft noch relevant?“

Angesichts des unerbittlichen Drucks der Marktkräfte, der sich wandelnden Konsumtrends und der regulatorischen Veränderungen – wie dem zunehmenden Druck in Richtung Nachhaltigkeit – sehen sich Marken oft gezwungen, Schritte zu unternehmen, die sie normalerweise nicht wagen würden. Einige sahen sich versucht, einen allzu aggressiven Wandel hin zu "grünen" Initiativen zu vollziehen, obwohl dies nicht dem Kern der Markenidentität entsprach.

Wenn Unternehmen mit diesem Druck des Marktes konfrontiert sind, sehen sie in einem Wechsel ihrer Kreativleitung oft eine Lösung, um sich besser an den Wandel anzupassen, ihm Impulse zu geben oder eine unbefriedigende finanzielle Entwicklung zu korrigieren. Diese Überlegungen mögen zwar nachvollziehbar sein, aber führen manchmal von einem der grundlegenden Schlüssel zum langfristigen Erfolg ab: der Konsistenz.

Der wahre Kompass einer Marke

Ein Sprichwort besagt: „Wenn Menschen nicht wissen, wohin sie gehen, führt jeder Weg ins Leere.“ Bevor Marken sich an Veränderungen anpassen oder versuchen, ihr Wachstum durch einen Wechsel der Kreativdirektor:innen wiederzuerlangen, müssen sie ihre Werte und ihre Vision klar definieren und sich ohne Abstriche an sie halten. Ein Wechsel in der kreativen Führung kann zwar erhebliche Auswirkungen haben und kurz- bis mittelfristig zu schwankenden Finanzergebnissen führen, aber auch zu einer inkonsistenten Markenidentität und letztlich zu Verwirrung bei den Kund:innen führen.

Im Juni gab Chanel bekannt, dass Virginie Viard das französische Modehaus nach 30 Jahren verlässt. Zu Beginn dieses Jahres mussten auch bekannte Namen wie Moschino, Lanvin, Supreme und Givenchy phasenweise ohne Kreativdirektor:innen auskommen.

Diese Vakanzen können als Herausforderung empfunden werden, bieten aber auch die Möglichkeit zur Reflexion und Neuerfindung. Es ist eine Zeit der Ungewissheit, die zu Innovationen führen kann und es Marken ermöglicht, den Markt mit unerwarteten Ausrichtungen zu überraschen und dynamisch und zukunftsorientiert zu bleiben.

Warum also gehen Kreativdirektor:innen?

Der unerbittliche Wettlauf um Innovation führt dazu, dass die Künstlerischen Leiter:innen Modehäuser zunehmend verlassen, weil sie sich ständig neu erfinden müssen und ihre Amtszeit immer kürzer wird. Amy Odell, Herausgeberin des Newsletters „Back Row“, wies in einem Interview mit dem kanadischen Einzelhändler Ssense treffend darauf hin: „Die Amtszeit der Künstlerischen Leiter:innen hat sich verkürzt, da die Marken versuchen, sich neu zu erfinden. In einem gesättigten Markt besteht ein ständiger Druck zu häufigeren Wechseln“.

Massimiliano Giornetti, der Direktor von Polimoda, geht sogar noch weiter und erklärt, dass „dieser wilde Tanz der Künstlerischen Leiter:innen eine totale Blindheit der Modehäuser zeigt, deren einziges Ziel plötzliche Künstlerische Richtungswechsel zu sein scheinen, ohne wirklich über die tieferen Bedürfnisse der Marke nachzudenken“. Dieser ständige Zwang zur raschen Neuerfindung führt häufig dazu, dass Designer:innen ersetzt werden, bevor sie die Zeit hatten, ihre Vision vollständig zu verwirklichen.

Der anhaltende Erfolg von Hermès zeigt, dass die Verbraucher:innen Beständigkeit durchaus schätzen. Das französische Modehaus ist nach wie vor eine der erfolgreichsten Luxusmarken. Die Führung des Unternehmens kann – ohne den Druck der Anforderungen großer börsennotierter Konzerne – der Kernvision der Marke treu bleiben kann.

Nicht alle Marken sind mit einem drastischen Führungswechsel erfolgreich. Das italienische Modelabel Gucci zum Beispiel hat einen radikalen Wertewandel vollzogen, der nicht immer zu seinen Gunsten ausgefallen ist. Innovation muss nicht um den Preis der Aufgabe der Identität einer Marke erfolgen. Beispiel Balmain: Unter der Leitung von Olivier Rousteing hat die Marke einen bemerkenswerten Wandel vollzogen, sie hat sich modernisiert und ist dabei ihrer DNA treu geblieben. Jedes Jahr präsentiert Rousteing neue Kollektionen und Kollaborationen, aber die Essenz von Balmain bleibt gleich. Wie er kürzlich erklärte: „Man kann die Vergangenheit in die Zukunft bringen und sie heute relevant machen.“ Was Jahr für Jahr bei Balmain funktioniert, ist, dass die Kund:innen genau wissen, was sie von der Marke erwarten können.

Olivier rousteing, Balmain SS21. Credits: via jhsf

Was erwarten die Modehäuser also wirklich von ihren Künstlerischen Leiter:innen? „Für mich müssen Künstlerische Leiter:innen in der Lage sein, die Identität einer Marke zu gestalten. Es reicht nicht aus, visionär zu sein und eine schöne Kollektion zu entwerfen. Eine moderne Künstlerische Leitung muss Markttrends, Verbraucher:innenverhalten und Finanzanalysen verstehen“, so Giornetti.

Wer bestimmt wirklich den Erfolg einer Marke?

Der Druck, die Identität einer Marke aufrechtzuerhalten, lastet oft auf den Kreativdirektor:innen, aber in Wirklichkeit sind es der Vorstand, die Investor:innen und das Management, die den Kurs bestimmen. Giornetti weist darauf hin, dass die Euphorie der Verbraucher:innen nach der Pandemie Analysten:innen und Händler:innen zu der Annahme verleitete, dass ein zweistelliges Wachstum steile Preiserhöhungen rechtfertigen würde. „Dies war nicht der Fall. Die Verbraucher:innen sehen sich jetzt mit Produkten konfrontiert, deren Preis sich innerhalb von vier Saisons verdoppelt hat, ohne dass sich die Qualität wirklich verbessert hat“, so Giornetti.

Die Besorgnis über sinkende Umsätze führt oft dazu, dass der Kreativen Leitung die Schuld für eine schlechte strategische Vision gegeben wird, obwohl die Entscheidungen von umfassenderen Marketing-, Kommunikations- und Merchandising-Strategien beeinflusst werden, die mit Geschäftsführung und Management ausgearbeitet werden. Diese gemeinsame Verantwortung wird oft übersehen.

„Auf diese Weise sind wir zu unpersönlichen Marken gelangt, denen es an Seele und Identität fehlt. Ein vergeblicher globaler Versuch, eine immer jüngere und per definitionem völlig unloyale Gemeinschaft von Verbraucher:innen zu erreichen, ohne zu verstehen, dass sich die Mode von einem Statussymbol zu einem Symbol des individuellen Ausdrucks entwickelt hat“, beklagte der Direktor von Polimoda.

Marke Umsatz davor (million euro) Umsatz danach(million euro) Wachstum in Prozent
Saint Laurent 470 Millionen Euros (2012) 970 Millionen Euros (2016) 106,38 Prozent
Céline 250 Millionen Euros (2008) 750 millionen Euros (2017) 200 Prozent
Balmain 30 Millionen Euros (2011) 300 Millionen Euros (2023) 900 Prozent
Gucci 3,9 Milliarden Euros (2015) 9,7 Milliarden Euros (2021) 148,72 Prozent
Burberry 830 Millionen Euros (vor Bailey) 3.21 Milliarden Euros (nach Bailey) 286,75 Prozent
Grafik: Umsatzwachstum pro Marke nach dem Wechsel des Kreativdirektors auf der Grundlage der zuvor erhobenen Daten.

Konkret: Wie kann Umsatzwachstum durch eine neue kreative Vision aussehen?

Ein Wechsel von Kreativdirektor:innen kann tiefgreifende finanzielle Auswirkungen auf ein Modehaus haben, da er oft mit einer Veränderung der Markenidentität und der Attraktivität für die Kundschaft einhergeht. Dieser Wechsel birgt sowohl Wachstumspotenziale als auch das Risiko, einen treuen Kundenstamm zu verprellen, was ihn zu einer strategischen Entscheidung für Luxusmarken macht.

Hedi Slimanes Amtszeit bei Saint Laurent von 2012 bis 2016 ist eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür, wie ein neuer Kreativdirektor den finanziellen Erfolg steigern kann. Slimane modernisierte die Ästhetik der Marke durch die Betonung von Rock'n'Roll-Einflüssen und hochmodernen Designs, die bei einer neuen Generation von Verbraucher:innen großen Anklang fanden. Seine Umgestaltung führte zu einem 33-prozentigen Umsatzanstieg, von 470 Millionen Euro auf 970 Millionen Euro in nur drei Jahren, zeigen die Daten aus der Dissertation „Der Einfluss der Wechsel von Designer:innen auf Luxusmarken wie Celine and Yves Saint Laurent“ von Kaitong Ou von der Lancaster University.

Hedi Slimane bei der SS23-Fashion-Show von Saint Laurent. Credits: Launchmetrics Spotlight

Burberrys finanzielle Renaissance

Bei Céline hat Phoebe Philo während ihrer zehnjährigen Amtszeit die Marke auf ähnliche Weise wiederbelebt und Céline zurück ins Rampenlicht der Modewelt gebracht. Philos minimalistische und doch schicke Ästhetik verschaffte dem Haus eine treue Fangemeinde. Schätzungen zufolge steigerte sie den Jahresumsatz der Marke auf 700 bis 800 Millionen Euro, wie Vogue Business berichtet. Ihr Weggang hinterlässt eine spürbare Lücke, und die Fans trauern um das Ende ihrer unverwechselbaren Vision.

Christopher Baileys Einfluss auf Burberry war sowohl in kreativer als auch in finanzieller Hinsicht transformativ. Als er den Posten des Kreativdirektors übernahm, war das Image von Burberry etwas veraltet. Bailey führte eine moderne, luxuriöse Identität ein und positionierte die Marke neu, indem er sie als aufstrebend und nicht als zugänglich positionierte. Während Baileys 17-jähriger Amtszeit „stieg der Umsatz von Burberry von rund 716 Millionen Britischen Pfund 2005 auf den bisher höchsten Wert von rund 2,77 Milliarden Britischen Pfund 2017“, zeigen Daten von Statista.

Prozentuales Umsatzwachstum pro Marke nach dem Wechsel der Kreativdirektor:innen. Credits: FashionUnited.

Guccis Metamorphose

Gucci, unter der Leitung von Alessandro Michele, ist ein weiteres Paradebeispiel für einen Kreativdirektor, der einen immensen finanziellen Erfolg verbuchen konnte. Als Michele 2015 das Ruder übernahm, leitete er eine sofortige Transformation der Markenidentität ein und richtete sie auf eine maximalistische, eklektische Ästhetik aus, die den Zeitgeist traf. Seine Kollektionen belebten das Angebot der Marke und kamen vor allem bei Millennials und der Generation Z gut an. 2019 machte Gucci nach Angaben von Vogue Business 80 Prozent des Umsatzes der Muttergesellschaft Kering aus, wobei der Umsatz im dritten Quartal um 10,7 Prozent auf 2,37 Milliarden Euro stieg.

Micheles Abgang 2022 markierte jedoch einen Wendepunkt, als Sabato De Sarno ernannt wurde, um einen „kühnen Reset“ für die Marke zu leiten. Dies verdeutlicht das heikle Gleichgewicht zwischen der Wahrung der Markenidentität und der Innovation; obwohl Micheles Kreativität die Einnahmen erheblich steigerte, wurde eine Neuausrichtung als notwendig für das zukünftige Wachstum von Gucci erachtet.

Daniel Lees minimalistischer und doch innovativer Ansatz verhalf Bottega Veneta während seiner dreijährigen Amtszeit von 2018 bis 2021 zu einem durchschlagenden Erfolg, berichtet BurdaLuxury. Lees Schwerpunkt auf moderner Raffinesse und schlanken Designs führte zu einem bemerkenswerten Umsatzanstieg, sogar während der Pandemie – Bottega Veneta verzeichnete im dritten Quartal 2020 einen Umsatzanstieg von 4,8 Prozent, erinnert Vogue Business und trotzte damit den damaligen Branchentrends. Nach seinem Weggang übernahm Matthieu Blazy das Ruder und setzte die Entwicklung der Marke fort, wobei er versprach, neue kreative Richtungen einzuschlagen und gleichzeitig die etablierte Identität des Hauses zu bewahren.

Daniel Lee, Kreativchef von Burberry. Credits: Burberry

Ein heikler Balanceakt zwischen Kreativität und finanziellen Strategien

Während der Erfolg von Slimane, Philo und Michele das Potenzial für immense finanzielle Gewinne verdeutlicht, sind Wechsel von Kreativdirektoren nicht ohne Risiken. Gucci ist ein Beispiel dafür, wie Veränderungen in der ästhetischen Vision ein anderes Publikum anziehen können, was zwar kurzfristig von Vorteil ist, aber langfristig zu Problemen führen kann. Micheles maximalistische Entwürfe zogen neue, jüngere Kunden an, aber die Frage blieb, wie lange er das Momentum aufrecht aufrechterhalten konnte.

In ähnlicher Weise haben Marken wie Burberry und Dior Turbulenzen erlebt, als ihre Kreativdirektor:innen das Unternehmen verließen, was die Volatilität unterstreicht, die diese Übergänge begleiten kann. So verließ Raf Simons Dior nach drei Jahren aufgrund kreativer Differenzen, was die Kontinuität der Marke störte und zu einem vorübergehenden Wachstumsstillstand führte.

In der Luxusmodebranche, wo sich Kreativität und Kommerz überschneiden, kann die Amtszeit von Kreativdirektor:innen über Erfolg oder Misserfolg einer Marke entscheiden. Die finanziellen Auswirkungen dieser Veränderungen sind tiefgreifend, und die richtige Vision kann eine Marke zu ungeahnten Höhen führen.

„Mode ist ein in die Zukunft projizierter Augenblick, der bereits vergangen ist, ein Paradoxon der Zeit”, sagt Giornetti. „Die größte Herausforderung für Kreativdirektor:innen besteht daher darin, etwas zu schaffen, das die Zeit überdauern kann und nach Unsterblichkeit strebt“.

Zusammenfassung
  • Der Wechsel von Kreativdirektor:innen in Modehäusern ist eine komplexe Entscheidung mit potenziellen finanziellen Folgen, die sowohl Wachstum als auch Markeninkonsistenz bedeuten kann.
  • Marken müssen ihre Werte und Visionen klar definieren, bevor sie Veränderungen vornehmen, um langfristigen Erfolg zu gewährleisten; Beständigkeit, wie bei Hermès, kann ein wichtiger Erfolgsfaktor sein.
  • Der Erfolg hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Fähigkeit der Kreativdirektor:innen, die Markenidentität zu gestalten und Markttrends zu verstehen, sowie die übergreifenden Marketing- und Managementstrategien.

Dieser übersetzte und gekürzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.fr.

Analyse
Balmain
Bottega Veneta
Burberry
Celine
Chanel
Gucci
Hermès